MEDIZIN: Kurzmitteilung
Versorgung mit oralen Antikoagulanzien bei Vorhofflimmern
Analyse der Leitlinienadhärenz im Rahmen des ARENA-Projekts
The management of atrial fibrillation with oral anticoagulant drugs—an analysis of guideline adherence in the setting of the ARENA project
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Zur Reduktion von Schlaganfällen bei Patientinnen und Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern (VHF) wird in Leitlinien abhängig vom CHA2DS2VASc-Score eine Therapie mit oralen Antikoagulanzien (OAK) empfohlen (1). Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin haben Empfehlungen ihrer Initiative „Klug entscheiden“ herausgeben, die Positiv- und Negativ-Empfehlungen für Patientinnen und Patienten mit VHF beinhalten (2). Wir untersuchten die Leitlinienadhärenz im Hinblick auf eine Unter- beziehungsweise Überversorgung mit OAK im Rhein-Neckar-Raum.
Methoden
Das ARENA-Projekt ist eine Kampagne zur Verbesserung der Therapie bei VHF in der Metropolregion Rhein-Neckar. Bestandteil ist ein Register, in dem Patientinnen und Patienten mit VHF prospektiv erfasst und nachbeobachtet wurden (3). Die vorliegende Analyse beinhaltet alle Personen, bei denen ein CHA2DS2VASc-Score berechnet werden konnte. Da bei Patientinnen und Patienten ohne Indikation zur Therapie mit OAK nach einer Kardioversion oder einer Pulmonalvenenisolation für wenigstens vier Wochen eine Gabe von OAK empfohlen wird, wurden diese aus der Analyse zur Überversorgung ausgeschlossen. Um unabhängige Prädiktoren für eine Therapie mit OAK zu bestimmen, wurden für die Patientengruppen mit Klasse-I-Indikation und ohne Indikation jeweils ein logistisches Regressionsmodell berechnet.
Ergebnisse
Zwischen 18.08.2016 und 13.07.2019 wurden 2 769 Patientinnen und Patienten in 11 Kliniken (n =1 908, 68,9 %) und 5 Praxen eingeschlossen. Die Grafik zeigt die Aufteilung in Personen mit Klasse-I-Indikation (CHA2DS2VASc-Score > 1 Männer und > 2 Frauen), Klasse-IIa-Indikation (CHA2DS2VASc-Score 1 Männer und 2 Frauen) und ohne Indikation zur OAK (CHA2DS2VASc-Score 0 Männer und 1 Frauen).
Von 2 348 analysierten Personen hatten 1 946 (83 %) eine Klasse-I-Indikation. Bei diesen wurde die OAK-Therapie in 23,7 % mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und in 76,3 % mit Nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK) durchgeführt, während 134 (6,9 %) keine OAK erhielten. Von diesen 134 Patientinnen und Patienten bekamen 81 (60 %) eine Therapie mit Thrombozytenhemmern. Als Prädiktoren für eine OAK-Therapie ergaben sich ein bereits bekanntes VHF, ein persistierendes oder permanentes VHF und ein begleitendes Klappenvitium, wohingegen ein höheres Blutungsrisiko seltener mit einer Gabe von OAK assoziiert war (Tabelle).
Von den 264 Patienten mit Klasse-IIa-Indikation wurden 217 (82,2 %) mit OAK (VKA 19,4 %, NOAK 80,6 %) therapiert, 9 (3,4 %) erhielten Thrombozytenhemmer und 38 (14,4 %) keine antithrombotische Therapie. Lediglich 80 Patienten hatten keine Indikation für eine Therapie mit OAK, von diesen wurden 31 (38,8 %) dennoch mit OAK therapiert, davon 28 (92 %) mit NOAKs. Prädiktoren für eine Übertherapie waren persitierendes oder permanentes VHF, ein Klappenvitium sowie das höhere Alter.
Zusammenfassend erhielten 1 861 (91,9 %) von 2 026 Personen, für die eine eindeutige Empfehlung bestand, die von den Leitlinien empfohlene Therapie. Von den 2 290 entlassenen Patientinnen und Patienten konnten 2 141 (93,5 %) nachbeobachtet werden. Die 1-Jahres-Kaplan-Meier-Schätzwerte für den kombinierten Endpunkt Tod, Schlaganfall, Herzinfarkt und schwere Blutung in den drei Gruppen ergab, dass für Klasse-I- (9,7 % versus 13,3 %, Hazard Ratio 0,69 95-%-Konfidenzintervall: [0,42; 1,14]) und Klasse-IIa-Indikation (1,9 % versus 4,3 %, HR 0,42 [0,08; 2,31]) eine OAK-Therapie mit einem Trend zu weniger Ereignissen assoziiert war. Demgegenüber zeigten sich, bei Personen, bei denen bei keine Indikation bestand, numerisch mehr Ereignisse bei der Gabe von OAK (3,2 % versus 2,1 %, Hazard Ratio 1,50 [0,09; 23,98]).
Diskussion
Die vorliegende Analyse von Patientinnen und Patienten mit VHF im Rhein-Neckar-Raum ergab eine hohe Adhärenz zu den Leitlinien in der Indikationsstellung zur Therapie mit OAK. Über 90 % der Patientinnen und Patienten mit eindeutiger Empfehlung wurden den Leitlinien entsprechend behandelt. Nur 7 % der Personen mit Klasse-I-Indikation wurden entgegen den Leitlinien nicht oral antikoaguliert, formal also unterversorgt.
Der wesentliche Einflussfaktor, der gegen eine orale Antikoagulation spricht, ist ein erhöhtes Blutungsrisiko. Patientinnen und Patienten mit Klasse-IIa-Indikation wurden in über 80 % der Fälle antikoaguliert, daher wird im Zweifel eher eine OAK gegeben.
Im Gegensatz zum niedrigen Anteil von Patientinnen und Patienten mit Untertherapie ergab sich mit 39 % ein relativ hoher Anteil von Personen mit Übertherapie bei Patientinnen und Patienten ohne Indikation zur OAK-Therapie, was die Tendenz zur Gabe von OAK bei Personen mit Vorhofflimmern unabhängig vom Embolierisiko zeigt. Allerdings ist diese Gruppe numerisch mit 31 Personen klein.
In einer Übersichtsarbeit mit fast 10 000 000 Personen aus allen fünf Kontinenten ergab sich ein Anstieg des Anteils von Patientinnen und Patienten mit OAK-Therapie von 42 % im Jahr 2010 auf 78 % im Jahr 2018 (4). Vergleichbare Ergebnisse gibt es aus Deutschland; und auch hier ging dieser Anstieg einher mit der Einführung der NOAKs (5).
In unserer Untersuchung waren nur 7 % der Patientinnen und Patienten mit klarer Indikation nicht antikoaguliert, ein im internationalen Vergleich sehr niedriger Wert. Möglicherweise ist dies auch durch einen Selektionsbias zu erklären, da Personen die einwilligen, an einem Register teilzunehmen, eine Positivauswahl darstellen. Wie schon in vorhergehenden Untersuchungen (5) zeigte sich in ARENA bei leitliniengerechter Therapie numerisch eine niedrigere klinische Ereignisrate. Bei einer OAK-Therapie bei Patientinnen und Patienten ohne Indikation erwies sich eher ein gegenteiliger Trend.
Zusammenfassend weisen unsere Daten auf eine gute Befolgung der Leitlinien im Hinblick auf die OAK-Therapie bei VHF und bei leitliniengerechter Therapie auf eine niedrige Ereignisrate.
Uwe Zeymer, Steffen Schneider, Matthias Hochadel, Thomas Kleemann, Martin Borggrefe, Ibrahim Akin, Hugo Katus, Dierk Thomas, Karl Werdan, Jochen Senges
Förderung
Das Projekt ARENA wurde gefördert vom DGK-Zentrum für kardiologische Versorgungsforschung, von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Düsseldorf; von der Deutschen Herzstiftung, Frankfurt; vom Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen, und von Boehringer Ingelheim, Deutschland.
Interessenkonflikt
DT erhielt Beratungshonorare von Bristol-Myers Squibb, Daiichi Sankyo und Pfizer Pharma. Er wurde für Vorträge honoriert von Bayer Vital, Boehringer Ingelheim Pharma, Bristol-Myers Squibb, Daiichi Sankyo, Medtronic, Pfizer Pharma, Sanofi-Aventis, Abott/St. Jude Medical und ZOLL CMS. Er ist Mitglied im Lenkungsausschuss des AFNET e. V. und Sprecher des Basic Science Cluster der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.
UZ erhielt Vortragshonorare von Bayer-Vital, Boehringer-Ingelheim, BMS, Daiichi Sankyo und Pfizer.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 18.10.2022, revidierte Fassung angenommen: 12.01.2023
Zitierweise
Zeymer U, Schneider S, Hochadel M, Kleemann T, Borggrefe M, Akin I, Katus H, Thomas D, Werdan K, Senges J: The management of atrial fibrillation with oral anticoagulant drugs—an analysis of guideline adherence in the setting of the ARENA project. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 324–5.
DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0009
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Medizinische Klinik B, Klinikum Ludwigshafen (Zeymer, Kleemann)
DGK-Zentrum für kardiologische Versorgungsforschung, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Düsseldorf (Zeymer, Schneider, Werdan)
Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Mannheim (Borggrefe, Akin)
Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie, Innere Medizin III, Universitätsklinikum Heidelberg (Katus, Thomas)
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III, Universitätsklinikum Halle (Saale) (Werdan)
Konsensus Kommission „Klug entscheiden“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) (Werdan)
1. | Hindricks G, Potpara T, Dagres N, et al.: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): The Task Force for the diagnosis and management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. Eur Heart J 2021; 42: 373–498 CrossRef CrossRef MEDLINE |
2. | Baldus S, Werdan K, Levenson B, Kuck KH: Klug entscheiden: . . . in der Kardiologie. Dtsch Arztebl 2016; 113: A-1312 VOLLTEXT |
3. | Sadlonova M, Senges J, Nagel J, et al.: Symptom severity and health-related quality of life in patients with atrial fibrillation: findings from the observational ARENA study. J Clin Med 2022; 11: 1140 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Grymonprez M, Simoens C, Steurbaut S, De Backer TL, Lahousse L: Worldwide trends in oral anticoagulation use in patients with atrial fibrillation from 2010 to 2018. Europace 2022; 24: 887–98 CrossRef MEDLINE |
5. | Hohnloser SH, Basic E, Nabauer M: Uptake in antithrombotic treatment and its association with stroke incidence in atrial fibrillation: insights from a large German claims database. Clin Res Cardiol 2019; 108: 1042–52 CrossRef MEDLINE |
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