THEMEN DER ZEIT
Flächendeckende Notfallreform: Luftrettung maßgeblicher Faktor
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Die geplante Krankenhausreform der Ampelkoalition soll die Krankenhauslandschaft neu strukturieren und eine gute Versorgung sichern. Neben der Einteilung in sogenannte Level muss auch die Luftrettung besser aufgestellt werden, um die schnelle Erreichbarkeit zu gewährleisten
Bund und Länder haben sich auf die Erarbeitung einer umfassenden Krankenhaus- und Notfallreform verständigt. Damit soll eine qualitative und wirtschaftlich hochwertige Krankenversorgung vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Fachkräftemangels und der sich beschleunigenden demografischen Entwicklung gewährleistet werden. Zur Sicherung einer effizienteren und flächendeckenden Versorgung ist auch die Einführung von einheitlichen Versorgungsstufen (neu: Level) zur Ordnung einer stärker arbeitsteiligen Krankenhauslandschaft geplant. Menschen in medizinischer Not müssen sich darauf verlassen können, im Notfall umgehend in das richtige Krankenhaus gebracht zu werden. Daher ist diese umfassende Transformation, durch die zukünftig die richtige Versorgung am richtigen Ort zur richtigen Zeit erreicht werden soll, notwendig. Luftrettung wird bei der Umsetzung dieses Versprechens mehr als bereits heute absehbar – insbesondere für hochkomplexe Notfälle – eine entscheidende Rolle spielen. Dazu muss diese aber selbst umfassend weiterentwickelt werden. Von insgesamt 1 673 Krankenhäuser in Deutschland erfüllen 1 071 Kliniken die Vorgaben des G-BA für die Notfallversorgung der Stufen 1–3, davon 424 Kliniken die Notfallstufe 2 oder 3. Zusammen versorgen sie 57 Prozent aller stationären Patienten (1). In den laufenden Reformanstrengungen von Bund- und Ländern zeichnet sich ab, dass insbesondere die G-BA-Notfallstufen zentral merkmalgebend für eine zukünftig stärker an Leveln ausgerichtete Krankenhausversorgung sein könnten. Für die weit überwiegende Anzahl der Menschen in Deutschland ist bereits heute innerhalb von 30 Autofahrminuten ein Krankenhaus der Notfallstufe 2 oder 3 erreichbar (2, 3).
Teil des vorgeschriebenen Mindestversorgungsangebots in diesen Kliniken der erweiterten oder umfassenden Notfallversorgung ist die Möglichkeit, nahezu alle akuten Erkrankungen und Verletzungen, insbesondere entsprechende Tracer-Diagnosen (Kreislaufstillstand, Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Schwerverletzte/Polytrauma, Sepsis und ST-Hebungsinfarkt) fachgerecht versorgen zu können, auch wenn noch deutliche Defizite in der Schlaganfallversorgung in Notfallstufe 2 bestehen (4). Neben erkennbarer hoher Versorgungsdichte in nahezu allen Ballungsräumen verbleiben ländliche Regionen, in denen der Weg zum nächsten Krankenhaus der Notfallstufe 2 oder 3 länger als 30 Autominuten ist. Teilweise befinden sich dort Häuser der Notfallstufe 1 (Basis), die quantitativ und qualitativ nur in einem begrenzten Umfang in der Lage sind, notfallmedizinische Diagnostik und Therapie bereitzustellen. Bereits vor dem weiter drohenden Personalverlust infolge des demografischen Wandels ist die fachgerechte erweiterte oder umfassenden Notfallversorgung in einem kritischen Zeitfenster in einigen ländlichen Regionen nur durch den Einsatz der Luftrettung gewährleistet.
Zurzeit gibt es in Deutschland 82 Luftrettungsmittel (Rettungshubschrauber, Intensivtransporthubschrauber und Dual-Use-Hubschrauber), die den 112-Leitstellen zur Disposition im Notfall zur Verfügung stehen. Hinzukommen fünf SAR-Hubschrauber der Bundeswehr, sechs Hubschrauber des Offshore-Rettungsdienstes sowie einige Luftrettungsmittel im grenznahen Ausland (5). Jenseits von SAR-Dienst und Offshore-Rettung sind nur 16 der 82 Luftrettungsmittel in Deutschland zurzeit im 24-Stundenbetrieb eingesetzt. Die überwiegende Zahl der Luftrettungsmittel werden in der Regel von 7 Uhr beziehungsweise Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang in einem Radius von 50–70 km eingesetzt, auch wenn längere Flugstrecken möglich sind und in der Regel für Verlegungen auch in Anspruch genommen werden. Einige wenige Standorte werden gegenwärtig in Tagesrandzeiten vor- und nach Sonnenaufgang- und -untergang sowie mit einem Wetterradar zur verbesserten wetterbedingten Einsatzbereitschaft betrieben.
Aktuell ist in Deutschland zu Tageslichtzeiten und unter Voraussetzungen von Wetterbedingungen, die einen sicheren Tagflugbetrieb zulassen, eine flächendeckende, teilweise mehrfach redundante Versorgungsabdeckung durch die Luftrettung gegeben (Grafik 1). Diese lässt zu Tageslichtzeiten auch in Gebieten mit fehlender Erreichbarkeit einer Klinik mit G-BA-Notfallstufe innerhalb von 30 Autominuten den Transport von Notfallpatienten von jedem Punkt in Deutschland in ein geeignetes Notfallzentrum zu (Grafik 1).
Während in Deutschland an der überwiegenden Zahl der Luftrettungsstandorte noch Maschinen des Typ Airbus Helicopters H135 eingesetzt werden, kommen an allen bisher im Dienst befindlichen 24/7-Luftrettungszentren inzwischen Airbus Helicopters H145 oder vergleichbar zum Einsatz, die unter anderem eine erweiterte Reichweite (Einsatzradius > 100 km) und größere Crew beziehungsweise erweiterte (intensiv)medizinische Ausstattung zulassen. Mit den 16 existierenden 24/7-Luftrettungsstationen zeigen sich aber selbst unter Berücksichtigung eines erweiterten Einsatzradius von 100 km in der flächendeckenden, zeitkritischen Luftrettungsabdeckung außerhalb der Tageslichtzeiten deutliche, teilweise großflächige Lücken (Grafik 2).
Luftrettung zu jeder Zeit und an jedem Ort
Trotz der geplanten Erweiterung eines bisherigen Tagesflugstandorts in Baden-Württemberg sowie zwei weiteren in Nordrhein-Westfalen schlagen die Autoren die Ausweitung der Betriebszeiten von weiteren sieben bisherigen Tageslichtstationen sowie die substitutive, öffentliche Beauftragung zweier existierender Offshore-Rettungsmittel im Bereich von Nord- und Ostsee vor (Tabelle 1). Hierdurch würde sich eine flächendeckende, überwiegend redundante Erreichbarkeit der Luftrettung innerhalb von 30 Flugminuten auch in der Nacht, insbesondere auch im Bereich aller zurzeit existierender Kliniken der Notfallversorgung (einschließlich Basisstufe) ergeben (Grafik 3). Das eine solche Ausweitung der 24/7-Luftrettung nicht nur vor dem Hintergrund effizienterer Strukturen in der stationären Notfallversorgung, sondern auch als Teil einer kosten- und fachkräfteschonenderen, präklinischen Notfallversorgung einhergehen würde, konnte bereits 2016 in dem BMBF-geförderten Projekt PrimAir für dünn besiedelte Regionen in Deutschland gezeigt werden (6).
Luftrettung bei jedem Wetter notwendig
Dennoch ergeben sich auf dem Weg zu einem verlässlichen, allwettertauglichen und rund um die Uhr verfügbaren Luftrettungsnetzwerk in Deutschland weiterer Nachholbedarf. Der Blick in die europäischen Nachbarländer beispielsweise Schweiz, Niederlande, Norwegen und Dänemark zeigt, dass dort in den vergangenen Jahren systematisch Instrumentenflugverfahren (Point-in-Space) im Bereich der Luftrettung etabliert wurden, die insbesondere nachts und bei schlechtem Wetter einen sicheren Rettungsflugbetrieb vor allem bei der Verlegung von Notfallpatienten von einem kleinen in ein größeres Krankenhaus zulassen (7, 8, 9, 10). Diese Verlegungen werden gerade im ländlichen Raum, in der Herzinfarkt- und Schlaganfallversorgung zunehmend essenziell werden.
Trotz mehrjähriger Vorbereitung konnte bisher selbst ein Pilot-Betrieb in Schleswig-Holstein auf Grund von Verwaltungshemmnissen und untergesetzlichen Auflagen bisher nicht umgesetzt werden (11). Von einem flächendeckenden satellitengestützten Flugsicherungsnetzwerk des unteren Luftraums, dass für die Luftrettung sämtliche Krankenhäuser mit virtuellen Luftstraßen miteinander verbindet, wie dies inzwischen etwa in der Schweiz mit dem Low Flight Network (LFN) der Fall ist, ist Deutschland noch weit entfernt (12). Bund und Länder sollten sich insbesondere vor dem Hintergrund der sich absehbar ändernden Krankenhauslandschaft und Notfallversorgung die systematische Einrichtung vergleichbarer Instrumentenflugverfahren und Instrumentenflugrouten in der Luftrettung zeitnah angehen.
Eine weitere Herausforderung beim effizienten Einsatz der Luftrettung stellt die effizientere Disposition und Steuerung von Hubschraubern durch die 112-Leitstellen dar. Die überwiegende Anzahl der rund 240 deutschen Leitstellen kann in ihren Einsatzleitsystemen nur bodengebundene Rettungsmittel verarbeiten und den Echtzeit-Standort und Status der Luftrettung im Nahbereich weder darstellen noch zur Errechnung und Abgleich von georeferenzierten Eintreffzeitprognosen berücksichtigen. Dies führt regelhaft in der stark kommunal geprägten Struktur der Leitstellen dazu, dass zulasten der Patienten ein Einsatzmittel im Notfall entsendet wird, das eine weniger günstige Eintreffzeitprognose hat. Insbesondere an Grenzen von Gebietskörperschaften und der Bundesländer wird häufig nicht in einer „Next-Best-Strategie“ auf das jeweils aktuell nächste Luftrettungsmittel zurückgegriffen, sondern vornehmlich Luftrettungsmittel des eigenen Zuständigkeitsbereichs entsendet, auch wenn diese viel weitere Anflugwege haben. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Qualität braucht es einen verbindlichen respektive nachweislichen Anspruch der Patienten, durch das jeweils nächste, geeignete (Luft-) Rettungsmittel versorgt worden zu sein. Bei Neuinvestitionen sollten Hubschrauber bevorzugt werden, die sowohl Rettungseinsätze als auch Intensivtransporte fliegen können, wie etwa Airbus Helicopters H145, um für universelle Verwendungen zur Verfügung zu stehen.
Übersicht über alle Luftrettungslandeplätze fehlt
Nach Änderungen im europäischen Luftfahrtrecht dürfen Luftrettungslandestellen (Public Interest Sites) in Deutschland nur noch eingeschränkt und unter bestimmten Voraussetzungen betrieben werden (13). Viele Krankenhäuser in Deutschland haben inzwischen reagiert und ihre Landestellen entsprechend der gesetzlichen Vorgaben ertüchtigt oder teilweise neue, reguläre Landeplätze gemäß § 6 Luftverkehrsgesetz gebaut. Da die Aufsicht über Errichtung und Erhalt von Luftrettungslandeplätzen aber den Landesluftfahrbehörden obliegt, gibt es bis auf eine Übersichtsliste verbliebener älterer Landestellen (14) keine systematische, aktuelle Übersicht über alle Luftrettungslandeplätze in Deutschland. Der fehlende Überblick stellt sowohl in der Praxis für die Luftrettungsbetreiber, die Leitstellen und mittelbar auch für die für Gesundheit zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen ein Problem dar. Bund und Länder sind aufgerufen, eine einheitliche, gesetzliche Meldeverpflichtung für Landestellen- und Landeplatzbetreiber zu schaffen, die einen vollständigen Überblick in Datenbanken wie dem Luftfahrthandbuch AIP VFR (15) der Deutschen Flugsicherung und eine effiziente Steuerung der Notfallversorgung auf Ebene der Leitstellen und Aufsichtsbehörden zulässt.
Es braucht dringend eine Ertüchtigung zusätzlicher Luftrettungsstandorte für den 24/7-Betrieb sowie die Einrichtung eines LFN für die Luftrettung zwischen allen Kliniken. Eine Meldepflicht der Landeplätze nach § 6 LuftVG und Erstellung einer einheitlichen, öffentlich einsehbaren Liste aller Landeplätze ist ebenso unabdingbar wie die Ertüchtigung aller alter PIS-Landestellen.
- Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2023; 119 (18): A 806–12
Anschrift der Verfasser:
Universität Witten/Herdecke
Dr. med. Janosch Dahmen
Alfred-Herrhausen-Str. 50
58448 Witten
janosch.dahmen@uni-wh.de
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1823
oder über QR-Code.
Universität Witten/Herdecke und Kliniken der Stadt Köln: Bouillon
Sprecher der leitenden Hubschrauberärzte an den Luftrettungszentren der Zivilschutzhubschrauber und Bundeswehrkrankenhaus Hamburg: Royko
Universität Witten/Herdecke und Kliniken der Stadt Köln: Karagiannidis
1. | Karagiannidis C, Busse R, Augurzky B: Ineffiziente Strukturen überwinden. Deutsches Ärzteblatt 2023. 120 (12): A 506–508. https://cfcdn.aerzteblatt.de/pdf/120/12/a506.pdf?ts=20%2E03%2E2023 +15%3A12%3A11 VOLLTEXT |
2. | Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern. https://www.g-ba.de/themen/bedarfsplanung/notfallstrukturen-krankenhaeuser/. |
3. | Karagiannidis C, Busse R, Augurzky B: Sicherung der stationären Gesundheitsversorgung 2023. Deutsches Ärzteblatt 2023. 120 (15): A 645–649. https://cfcdn.aerzteblatt.de/pdf/120/15/a645.pdf?ts= 14%2E04%2E2023+08%3A21%3A43 VOLLTEXT |
4. | Fischer M, Kehrberger E, Marung H. et al.: Eckpunktepapier 2016 zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Prähospitalphase und in der Klinik. Notfall Rettungsmed 2016. 19: 387–395. https://doi.org/10.1007/s10049-016-0187-0 |
5. | rth.info: Luftrettungs-Standortinfothek. https://www.rth.info/stationen.db/stationen.php (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
6. | Projekt PrimAIR. https://www.projekt-primair.de (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
7. | Rega – Schweizerische Rettungsflugwacht: Retten bei jedem Wetter. https://www.rega.ch/im-einsatz/modernste-technologie/retten-bei-jedem-wetter (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
8. | MovingDot. PINS PROCEDURES. https://www.movingdot.nl/nl/services/design-and-development/helicopter-operations/pins-procedures (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
9. | Alstrup K, Møller TP, Knudsen L et al.: Characteristics of patients treated by the Danish Helicopter Emergency Medical Service from 2014–2018: a nationwide population-based study. Scand J Trauma Resusc Emerg Med 2019. 102 (27). https://doi.org/10.1186/s13049–019–0672–9 |
10. | EGNOS: a tool for Norsk Luftambulanse AS in their commitment to improve the entire Norwegian air ambulance service. 2020. https://egnos-user-support.essp-sas.eu/sites/default/files/documents/Success%20stories/EGNOS%20a%20tool%20for%20Norsk%20Luftambulanse%20AS_0.pdf (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
11. | DRF Luftrettung. Point in Space – mit satellitengestützter Navigation noch mehr Menschenleben retten!. 2020. https://www.drf-luftrettung.de/8/de/hintergrunde/point-space-mit-satellitengestuetzter-navigation-noch-mehr-menschenleben-retten (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
12. | Schindler A: Hospital approach flight through the clouds. The Rega Magazine 2018. 91: 16–17. https://www.rega.ch/fileadmin/seiteninhalt/2_Im_Einsatz/4_Modernste_Technologie/2_Retten_bei_jedem_Wetter/Approach_under_IFR_1414_The_Rega_Magazine_Issue_91_11.pdf. |
13. | Dahmen J, Bieler D, Buck BC et. al.: Luftrettung: Handlungsbedarf bei Landeplätzen an Krankenhäusern. Deutsches Ärzteblatt 2017. 114 (48): A 2270. https://www.aerzteblatt.de/archiv/195050/Luftrettung-Handlungsbedarf-bei-Landeplaetzen-an-Krankenhaeusern VOLLTEXT |
14. | Luftfahrt-Bundesamt: Landestellen im öffentlichen Interesse (PIS). https://aip.dfs.de/BasicVFR/2023APR06/chapter/87dc152d4c7ebe742e291327e8f46e4e.html (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
15. | Deutsche Flugsicherung: Luftfahrthandbuch AIP VFR. https://aip.dfs.de/BasicVFR/2023APR06/chapter/87dc152d4c7ebe742e291327e8f46e4e.html (zuletzt aufgerufen am 14. April 2023). |
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