POLITIK
Praktisches Jahr: Nicht fair gegenüber den Studierenden


Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ) sind aufgrund des Personalmangels in den Kliniken stark belastet und oft im Dauereinsatz, werden aber zu selten und zu wenig gefördert, wie aus dem „PJ-Barometer 2023“ hervorgeht. Fünf Jahre nach der letzten PJ-Umfrage hat der Marburger Bund erneut die Rahmenbedingungen im PJ beleuchtet.
Pauline Graichen, Medizinstudentin im 10. Semester in Marburg, beschäftigt sich während ihres derzeitigen Promotionssemesters nicht nur mit experimentellen Arbeiten im Labor. Als Vorsitzende des Sprecherrates der Medizinstudierenden im Marburger Bund weist sie auf die unverändert kritische Situation der Medizinstudierenden im Praktischen Jahr (PJ) hin, die bereits 2019 bundesweit Tausende Medizinstudierende zu Demonstrationen auf die Straße trieb. „Wir fordern faire Bedingungen im Praktischen Jahr des Medizinstudiums“, war ein Slogan, der damals auf vielen Plakaten zu lesen war. Zudem war er Inhalt einer Petition für ein faires PJ im Medizinstudium, die von mehr als 100 000 Unterstützern unterzeichnet wurde.
„Getan hat sich bisher nur wenig. Es gilt, endlich die Reform des Medizinstudiums umzusetzen“, mahnt Graichen bei der Präsentation des aktuellen „PJ-Barometers 2023“ des Marburger Bundes (MB) Anfang Mai in Berlin. Die Onlinebefragung, an der im März/April dieses Jahres rund 1 700 Medizinstudierende im PJ sowie Ärztinnen und Ärzte, deren PJ nicht länger als drei Jahre zurückliegt, teilnahmen, zeigt ähnliche Ergebnisse wie das „PJ-Barometer 2018“ des MB: Bundesweite Lehrstandards fehlen für diesen letzten Abschnitt des Medizinstudiums immer noch. Auch Studien- und Lernzeiten werden den Studierenden weiterhin nur sehr heterogen eingeräumt. Zudem erhalten sie für ihre Vollzeittätigkeit in der Klinik – oft inklusive von Diensten in der Nacht und an Wochenenden – meist nur sehr geringe Aufwandsentschädigungen, die bundesweit variieren. Krankheitstage während des PJ müssen sie durch maximal 30 mögliche Fehltage pro Jahr abdecken und in diesem Fall auf Urlaub oder freie Prüfungsvorbereitungszeit verzichten. „Die Lehrkrankenhäuser und Unikliniken sind eigentlich zu einer guten praktischen Ausbildung gesetzlich verpflichtet. Wir erwarten, dass sie diesen Auftrag erfüllen und Studierende im Praktischen Jahr nicht wie billige Hilfskräfte behandeln“, fordert die Medizinstudentin.
Häufig die „Lückenbüßer“
„Es geht im PJ um die Vertiefung der im Studium erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten und nicht darum, uns als Lückenbüßer zu missbrauchen“, betont sie. Eines der größten Anliegen der Studierenden sei es, im PJ mehr fachliche Anleitung und Mentoring zu bekommen. Die Realität sieht jedoch oft anders aus: Der aktuellen Umfrage des MB zufolge verbringt zwar mehr als die Hälfte der PJ-Studierenden 40 bis 50 Stunden pro Woche in der Klinik. Dabei komme ihnen jedoch angesichts der schwierigen Personallage in den Kliniken meist die Rolle des „Lückenbüßers“ zu, die überall dort zum Einsatz kommen, wo es gerade an Personal mangelt, kritisiert Dr. med. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des MB. Besonders bedenklich sei, dass ein Großteil (77 Prozent) auch ärztliche Kernleistungen ohne Anleitung und Aufsicht der Ausbildenden übernehmen würde.
Ein weiteres ungelöstes Problem ist für viele PJ-Studierende die Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts. Da Nebenjobs aufgrund der hohen Arbeitsbelastung im PJ kaum zu realisieren sind, ist ein Großteil der Befragten (78 Prozent) auf elterliche Zuwendungen angewiesen. Zwar habe sich in den vergangenen Jahren in Sachen Aufwandsentschädigung einiges getan, räumt Graichen ein. Doch in der Regel liege sie immer noch deutlich unterhalb des BAföG-Höchstsatzes von derzeit 934 Euro.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.