ArchivDeutsches Ärzteblatt19/2023Patientenvertretung: Ein schlafender Riese im Gesundheitswesen

POLITIK

Patientenvertretung: Ein schlafender Riese im Gesundheitswesen

Beerheide, Rebecca

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Die Organisation von Interessen der Patientinnen und Patienten ist vielschichtig: In vielen Verbänden unterschiedlicher Größe und Struktur engagieren sich mehr als drei Millionen Menschen. Fast alle eint: Die zeitliche und finanzielle Begrenzung durch das Ehrenamt.

Foto: melita/stock.adobe.com
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Bei der Bundesregierung, im Gemeinsamen Bundesausschuss, im Deutschen Ethikrat, in den Ethikkommissionen der Universitätskliniken, bei regionalen und lokalen Initiativen sowie in den Verwaltungsgremien der Krankenkassen und deren Verbänden: Überall dort sind Vertreterinnen und Vertreter von Patienten- sowie Versicherteninteressen eine wichtige Bank. Sie sollen qua Amt die Interessen von Patienten und Versicherten in das Gesundheitswesen einbringen. Dazu gibt es eine Vielzahl von Verbänden, Vereinen, Einzelpersonen und Stiftungen, die ebenso Anliegen von Patientinnen und Patienten adressieren. Schätzungen gehen von rund 300 Organisationen mit Bezug zur Gesundheit aus. Diese organisieren sich in Dachverbänden wie zum Beispiel der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, dem Paritätischen oder der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Beim Dachverband der Verbände der Seltenen Erkrankungen (ACHSE) werden 130 Verbände unterschiedlicher Größe angegeben. Die 96 Krankenkassen haben jeweils Versichertengremien und -beteiligung. Insgesamt schätzt das Bundesgesundheitsministerium, dass sich circa 3,5 Millionen Menschen in den rund 100 000 Selbsthilfeorganisationen engagieren.

Seit 2004 ist die Patientenbeteiligung in vielen Gremien der Selbstverwaltung – dazu zählt auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – sowie ein Patientenbeauftragter der Bundesregierung per Gesetz festgeschrieben.

Im Gesundheitswesen haben die institutionalisierten Vertreterinnen und Vertreter von Versicherten und Patienten sich in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten in vielen Institutionen einen Platz erarbeitet, ihre Beteiligung ist institutionalisiert, in Satzungen festgeschrieben. In Verwaltungsräten der Krankenkassen sind seit 1952 Versichertenvertreter, die gleichberechtigt mit den Vertretern der Arbeitgeber die Mandate im Gremium innehaben. Je nach Institution haben Versicherten- und Patientenvertreter unterschiedliche Antrags-, Rede- oder Mitberatungsrechte.

„Man muss das Vertrauen haben, dass das Engagement irgendwann in Regelungen mündet.“ Stephan Kruip, Deutscher Ethikrat und Mukoviszidose e.V. Foto: privat
„Man muss das Vertrauen haben, dass das Engagement irgendwann in Regelungen mündet.“ Stephan Kruip, Deutscher Ethikrat und Mukoviszidose e.V. Foto: privat

Und trotz der Repräsentanz und institutionellen Verankerung können sich Vertreterinnen und Vertreter von Patienten- und Versicherteninteressen nach eigener Einschätzung nicht immer so beteiligen, wie es für die Durchsetzung der Forderungen nötig wäre. „Das Problem liegt für mich in der Beschränkung“, erklärt Stephan Kruip, der im Deutschen Ethikrat die Interessen von Menschen mit einer genetischen Behinderung vertritt, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Das beginnt bei der täglichen Lektüre von interessanten Texten bis hin zu Reisen ins europäische Ausland. Ich reise zur Plenar- und Arbeitsgruppensitzungen nach Berlin, dafür bin ich zwei Tage im Monat von meinem Arbeitgeber freigestellt. Alles andere muss ich so beschränken, ohne dass ich mein Berufsleben zu sehr einschränke. Oder eben für Verpflichtungen Urlaub nehmen.“ Kruip, der für das Europäische Patentamt arbeitet, ist einer von 24 Mitglieder im Deutschen Ethikrat, der sich aus verschiedenen Professionen und Blickwinkeln mit medizinethischen Themen beschäftigt. „Und ein Sitz ist für einen Menschen mit einer genetischen Behinderung, den ich als Mukoviszidose-Betroffener ausfülle.“ Er versteht sich aber nicht als Vertreter von Verbänden, die sich für Menschen mit Behinderung oder anderen Benachteiligungen einsetzen. „Ich wirke an dem Diskurs im Ethikrat vor meinem Hintergrund mit. Da bin ich weder gebunden durch Interessen noch habe ich das Ziel, die Gruppen zu vertreten – das wäre gar nicht möglich.“

Auch für die Versichertenvertreterin Katrin von Löwenstein, die im Verwaltungsrat der Barmer sitzt und zusätzlich im Finanzausschuss der Krankenkasse die stellvertretende Vorsitzende ist, ist die Vereinbarkeit von Beruf, Ehrenamt und Familie eine Herausforderung. „Viermal im Jahr bin ich für drei bis vier Tage unterwegs bei Präsenzterminen. Für diese Termine erhält man vom Arbeitgeber eine Freistellung. Zusätzliche Verpflichtungen fallen in den Bereich Freizeit oder Urlaub“, sagt von Löwenstein im Gespräch. Dazu zählen beispielsweise Teilnahme an Landeskongressen, inhaltliche Weiterbildung oder die Netzwerkarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern von Patientenorganisationen. „Die Vor- und Nachbereitungen der Termine können intensiv sein, gerade wenn es um Haushaltsentwürfe oder Ähnliches geht. Als Mutter von drei Kindern und dazu mit einem Vollzeitjob mit Führungsverantwortung komme ich vor allem am Abend zu diesen Aufgaben“, berichtet von Löwenstein, die für die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg arbeitet.

„Patientenvertretungen sind inhaltlich einer Sache verpflichtet und für mich wichtige Impulsgeber.“ Katrin von Löwenstein, Verwaltungsrat Barmer. Foto: Barmer
„Patientenvertretungen sind inhaltlich einer Sache verpflichtet und für mich wichtige Impulsgeber.“ Katrin von Löwenstein, Verwaltungsrat Barmer. Foto: Barmer

Die Erfahrungen, die aus den Gremien der Versicherten sowie aus den Patientenvertretungen kommen, sollten die Akteure Gesundheitswesen nicht unterschätzen. So sei die Patientenvertretung aus der Sicht von Martin Danner, der Sprecher des Koordinierungsausschusses der Patientenvertretung im G-BA, „ein schlafender Riese“: „Es gibt ganz viele Bürgerinnen und Bürger, die Erfahrungen mit dem Versorgungssystem machen, die aber auch berufliches Hintergrundwissen haben, die man in der Patientenvertretung braucht. Diese Kenntnisse muss man verknüpfen.“ Als Geschäftsführer der BAG Selbsthilfe, die als Dachorganisation von 125 bundesweiten Selbsthilfeverbänden behinderter und chronisch kranker Menschen und ihrer Angehörigen sowie 13 Landesarbeitsgemeinschaften und sieben außerordentliche Mitgliedsverbände agiert, hat Danner diese Koordinierungsaufgabe innerhalb der Patientenorganisationen im G-BA. In den rund 80 Ausschüssen sind etwa 300 Patientenvertreter an den Beratungen mitbeteiligt. Für die neun Unterausschüsse des G-BA gibt es jeweils eigene Sprecherinnen und Sprecher. Die Arbeit dieser Ehrenamtlichen wird von elf Hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt.

Ehrenamt vor Ort

Auch andere Organisationen bemühen sich in ihrer ehrenamtlichen Arbeit, Menschen mit Kenntnissen vom Gesundheitssystem sowie als Wissende über ihre Erkrankung zu vernetzen. So findet der Mukoviszidose-Verein oft ehrenamtliche Mitstreiter unter den Patienten in den örtlichen Spezialambulanzen. „In jeder Ambulanz sollte möglichst ein Patientenbeirat vorhanden sein. Mit dieser Arbeit wächst das Know-how und auch auf höherer Ebene können die Interessen vertreten werden“, sagt Kruip, der auch Vorsitzender des Mukoviszidose e.V. ist. Dabei geht es oft um einfache Dinge, die aber das Leben der Patientinnen und Patienten schwer machen können: „Beispielsweise ist der Parkplatz von der Ambulanz zu weit weg, und manche Patienten, die mit dem Auto kommen, können nicht so weit laufen.“

Gerade die Vertretung von Patienteninteressen auf regionaler und lokaler Ebene sei noch deutlich ausbaufähig, sagt Danner vom G-BA: „Luft nach oben gibt es auf der lokalen Ebene. Es ist eine Herausforderung, beispielsweise kundige Menschen für Zulassungs- und Berufungsausschüsse zu finden.“ In den Ausschüssen wird beispielsweise über die Neubesetzung von Arztsitzen gesprochen. Kruip sieht einzelne Aktionen vor Ort als Möglichkeit der Einflussnahme: „Das Gesundheitswesen ist so komplex und hat so viele Entscheider, dass man unter Umständen am besten fährt, wenn man sich vor eine Klinik stellt und mit Plakaten und Megafon da mal Radau macht.“

Blickt man auf die Bundesebene, so berichten die Versichertenvertreterinnen in Krankenkassen von Erfolgen in einzelnen Bereichen; „Die Barmer war eine der ersten Kassen, die die Meningokokken-B-Impfung übernommen hat. Wir hatten das als Versichertenvertreterinnen und -vertreter immer wieder als Thema aufgerufen, denn die drei nötigen Impfungen kosten die Versicherten für ihre Kinder jeweils rund 120 Euro. Wir haben uns dafür eingesetzt, der Vorstand konnte dem Anliegen folgen, es war finanzierbar. Darauf bin ich stolz.“

„Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ermöglicht Selbstgestaltung.“ Heike Lange, Verwaltungsrat Techniker Krankenkasse. Foto: TK
„Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ermöglicht Selbstgestaltung.“ Heike Lange, Verwaltungsrat Techniker Krankenkasse. Foto: TK

Bei der Techniker Krankenkasse (TK) ist Versichertenvertreterin Heike Lange Mitglied im Sozialpolitischen Ausschuss. „Der Ausschuss setzt sich dafür ein, dass neue Leistungen in die Satzung aufgenommen werden, wenn sie sinnvoll und wirtschaftlich tragbar sind, wie zum Beispiel die Schutzimpfung zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs für weibliche und männliche Versicherte von neun bis 26 Jahren“, sagt Lange im Gespräch mit dem DÄ. „Abschließend legen wir als Verwaltungsrat fest, dass die Kasse die Satzungsleistung anbietet und die Kosten übernimmt.“

Beide Vertreterinnen von Versicherteninteressen betonen, dass sie bei ihren Anträgen an die Gremien sowie in den Entscheidungen im Verwaltungsrat der jeweiligen Krankenkassen den Blick auf alle Versicherten und deren Beiträge zur Krankenkasse im Blick haben. Hier ist der Unterschied zu den Vertretern von Patienteninteressen: „Patientinnen- und Patientenvertretungen sind inhaltlich einer Sache verpflichtet. Sie sind für mich oft Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet oder in einem Erkrankungsbereich und damit wichtige Impulsgeber“, sagt von Löwenstein von der Barmer. „Schließlich sind für uns Verwaltungsrätinnen und -räte Patientinnen und Patienten mit ihren verschiedenen Erkrankungen eine wichtige Teilgruppe, auch wenn wir am Ende natürlich allen Versicherten verpflichtet sind.“

Die Vertretung von Einzelinteressen, die aber große Auswirkungen auf das gesamte System haben, beschäftigt auch den Mukoviszidose-Verein, besonders beim Punkt hochpreisiger Arzneimittel: „Wir haben bei der Mukoviszidose Medikamente, die sehr teuer sind, aber eine ganz tolle Wirkung haben. Mit einem Preis von 250 000 Euro pro Jahr fürs Gesundheitswesen stellen sie für die Allgemeinheit ein Problem dar. Und in diesem Zielkonflikt, haben wir uns als Mukoviszidose e.V. entschieden, nicht einfach wegzuschauen“, berichtet Kruip. So äußere sich der Verband, dass zwar der Preis zu hoch sei, andererseits wird bei der Politik dafür geworben, „dass die Preisfindungsregelungen nicht so verändert werden, dass die Medikamente vom Markt verschwinden. Wir sind ja daran interessiert, dass Medikament lebenslang zu nehmen.“ Über den Ethikrat hat Kruip die Diskussion sowie eine Tagung zu hochpreisigen Medikamenten angestoßen (siehe DÄ 27–28/2022) „Und als Ergebnis kann man den Erfolg so berechnen, dass man die Entscheider dazu bewegt hat, bei einer Neuregelung der Bewertung der Orphan Drugs die Rechte der Pharmafirmen bei der Preisgestaltung etwas eindämmen.“ Insgesamt plädiert er beim ehrenamtlichen Einsatz für ein langfristiges Engagement: „Man muss das Vertrauen haben, dass das Engagement irgendwann in Regelungen mündet.“

„Mir persönlich geht es darum, auch die zu hören, die selbst nicht laut sein können.“ Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Foto: picture alliance/SZ Photo Metodi Popow
„Mir persönlich geht es darum, auch die zu hören, die selbst nicht laut sein können.“ Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Foto: picture alliance/SZ Photo Metodi Popow

Als festen Ansprechpartner für Patientenverbände versteht sich auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung: Seit 2004 mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten. Seit dem 12. Januar 2022 hat diese Position Stefan Schwartze (SPD) inne: „Das ist eine wichtige Rolle, dessen Bedeutung in unserem Gesundheitssystem durch die gesetzliche Verankerung noch einmal verdeutlicht wird“, sagt Schwartze dem . Der § 140 h SGB V weist dem Patientenbeauftragten klare Aufgaben zu: Er soll die Belange von Patientinnen und Patienten in allen relevanten politischen Bereichen vertreten – nicht nur im Gesundheitswesen. Auch alle anderen Bundesministerien, Bundesbehörden sowie öffentliche Stellen des Bundes müssen den Beauftragten bei der Arbeit unterstützen. In der Gesetzgebung muss der Patientenbeauftragte immer dann gehört werden, wenn die Belange von Patientinnen und Patienten betroffen sind – egal aus welchem Ministerium ein Gesetz kommt. „Ich verstehe mein Amt auch als Ansprechpartner für Selbsthilfegruppen, Patientenorganisationen oder Betroffene und versuche, auch deren Anregungen in die Politik einzubringen. Deshalb bildet der Austausch mit den Patientenorganisationen einen Schwerpunkt meiner Arbeit“, sagt Schwartze. „Mir persönlich geht es darum, auch die zu hören, die selbst nicht laut sein können. So gibt es bei den Seltenen Erkrankungen oft nur sehr kleine Organisationen, denen aber Gehör verschafft werden muss. Auch mit vernünftigen Aktivisten aus Social-Media-Kampagnen muss man reden.“

Schwartze will sich in seiner Amtszeit für die Stärkung der Patientenorganisationen einsetzen – nicht so sehr mit Finanzmitteln, sondern vor allem mit neuen Strukturen. „Wir brauchen im G-BA eine Stärkung der hauptamtlichen Struktur, die die Ehrenamtlichen besser als bisher unterstützen kann und dabei hilft, die hochkomplexe Arbeit in den Gremien zu koordinieren und zu bewältigen“, sagt Schwartze. Ebenso will er eine „Stärkung bei den Weiterbildungs- und Schulungsangeboten, mit einem Schwerpunkt auf die Einarbeitung zu den Strukturen bis hin zu den politischen Rahmenbedingungen.“

Als weitere Stärkung von Interessen von Patientinnen und Patienten sieht Schwartze auch das neue Gesetz für die Unabhängige Patientenberatung (UPD), das zu Beginn des Jahres im Bundestag verabschiedet wurde. In dem Gesetz wurde die Trägerschaft der UPD von einem bisherigen Ausschreibungsmodell an einen privaten Anbieter auf eine Stiftung öffentlichen Rechts umgestellt. „Mit dem Gesetz und der Neuaufstellung der UPD als Stiftung ist eine dauerhafte Konstruktion und nachhaltige Verbesserung der Strukturen gelungen“, so Schwartze. Künftig sind im Stiftungsrat sieben Patientenorganisationen vertreten, die „somit Verantwortung für die UPD übernehmen“, sagt Schwartze. Aus diesem Kreis soll demnächst auch ein geschäftsführender Vorstand gewählt werden (zur Historie siehe Kasten).

„Die Versorgung muss patientenorientierter ausgestaltet werden. Das darf nicht auf die Patientenvertretungen abgeschoben werden.“ Martin Danner, BAG Selbsthilfe. Foto: BAG Selbsthilfet
„Die Versorgung muss patientenorientierter ausgestaltet werden. Das darf nicht auf die Patientenvertretungen abgeschoben werden.“ Martin Danner, BAG Selbsthilfe. Foto: BAG Selbsthilfet

Die Patientenorganisationen versprechen sich viel von der Neuaufstellung der UPD: „Im immer komplexer werdenden Gesundheitswesen muss es eine vertrauensvolle Beratung geben. Wir sehen schon, dass alle Leistungsbereiche, auch Ärzte und Krankenkassen, Beratung anbieten, aber es muss auch eine unabhängige Beratung geben“, erklärt BAG-Geschäftsführer Danner. Seine Organisation gehört auch zu den sieben Mitgliedern, die derzeit gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband die Arbeit an der Satzung vorantreiben sollen.

Beim Aufbau der neuen UPD-Strukturen erlebt er derzeit „Aufbruchstimmung“ unter den sieben Patientenorganisationen, die dies nun übernehmen werden. Als Patientenbeauftragter der Bundesregierung sieht Schwartze derzeit alle Beteiligten unter hohem Zeitdruck: „Bis Jahresende muss das künftige Beratungsangebot der UPD fertig sein, denn die Beratung soll ja nahtlos weitergehen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen weiterarbeiten können.“ Außerdem müsse „konzeptionell-inhaltlich“ noch Arbeit geleistet werden, da in allen 16 Bundesländern persönliche Beratungen angeboten werden sollen. Außerdem soll die UPD künftig mit anderen Beratungsstellen und Organisationen kooperieren.

Danner erhofft sich aus der Arbeit der UPD auch noch stärkere Impulse für die Versorgung: „Sobald die Defizite, die in den Beratungen angesprochen werden, auch zu generellen Informationen zusammengefügt und aufbereitet werden, können Lösungen für das ganze System entstehen. Dann kann die Patientenberatung einen Input zu einer weiteren Entwicklung von Versorgung geben.“ Dieser Informationsfluss war in den vergangenen acht Jahren, in denen die Patientenorganisationen die UPD nicht betrieben haben, kaum möglich, sagen die Patientenorganisationen.

Förderung durch Geldgeber

Bleibt die Frage der Finanzierung der Aktivitäten von Patientenverbänden: Während die UPD weiterhin aus Geldern des GKV-Spitzenverbandes sowie der privaten Krankenversicherung (PKV) finanziert werden soll, müssen die ehrenamtlich tätigen Vereine ihre Finanzierung oft anderweitig organisieren. Mitgliederbeiträge, Spenden, aber auch Zuwendungen von anderen Seiten werden für Geschäftsstellen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für Aktivitäten benötigt. Für Organisationen, die im Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten sind, gibt es deutliche Vorgaben: „Bei Verbänden haben wir strenge Kriterien zu der Zuwendung von Geldern von der Industrie“, sagt Danner von der BAG. „In Deutschland haben wir die komfortable Situation, dass es die Selbsthilfeförderung durch die Krankenkassen gibt. Daher muss im Prinzip keiner zur finanziellen Unterstützung auf Unternehmer zugehen.“ Gemäß dem Präventionsgesetz von 2016 müssen die gesetzlichen Krankenkassen die Selbsthilfeorganisationen unterstützen. Dieser Betrag wird pro Versicherten gerechnet und lag im Jahr 2021 bei 1,19 Euro und somit in Summe bei 87,3 Millionen Euro. Diese Gelder können von Patientenorganisationen unter anderem bei den Landesverbänden der Krankenkassen für ihre Arbeit beantragt werden.

Nähe und Ferne zur Industrie

Aber es gibt auch unterschiedliche Stufen der Zusammenarbeit zwischen Organisationen und Industrie. Im Mukoviszidose-Verein gibt es eine klare Haltung: „Wir sind ein von der Industrie unabhängiger Selbsthilfeverein, der ausschließlich die Interessen der Patienten vertritt. Und alles, was uns daran hindert, wird unterlassen“, sagt Vorsitzender Kruip. Gleichzeitig gibt es aber Verbindungen zur Industrie: „Wir können bei uns den Kommunikationskanal auch nicht abreißen lassen. Wir sind der Betreiber des deutschen Mukoviszidose-Patientenregisters. Das wird natürlich auch dafür genutzt, die Sicherheit und Wirksamkeit eines Medikaments nach der Zulassung durch Pharmaunternehmen zu überprüfen“, erklärt Kruip. Den Aufwand, den der Verein hat, um das Register zu führen, lasse man sich von der Industrie bezahlen. „Unser Register ist inzwischen ein Vorbildregister im Bereich der Seltenen Erkrankungen. Wir haben den Datenschutz gut vorangetrieben, die Struktur der Pseudonymisierung über einen Drittanbieter geregelt.“ Dies alles wurde über Spenden finanziert, das Betreiben kostet etwa eine halbe Million Euro pro Jahr, so Kruip. „So ein Register wird teuer, weil wir auch den Ambulanzen Geld geben müssen, damit Dokumentare, die davon was verstehen, die Daten der Patienten eingeben. Und das müssen wir den Ambulanzen auch bezahlen.“ Durch die Bezahlung für die Daten aus dem Register gab es auch schon einmal Probleme mit der Kassenförderung für die Selbsthilfe, sagt Kruip. „Aber wir als Verein stehen mit unseren Mitgliedsbeiträgen sowie den Spenden finanziell gut da. Mit dem Patientenregister können wir die Versorgung verbessern, dafür benötigen wir die Entgelte von der Industrie. Die wiederum verdienen Milliarden mit den Medikamenten.“

Die Vielfalt des Gesundheitswesens spiegelt sich also auch in der Vertretung der Versicherten- und Patienteninteressen. Denn die Frage, wer von den Akteuren „die“ Patienten vertritt, lässt sich kaum beantworten. „Ich sehe Stärke durch Vielfalt. Es ist gar nicht unser Ziel, dass wir einen Sprecher haben, der oder die immer die Patientensicht dokumentiert“, sagt Danner von der BAG Selbsthilfe und Sprecher der Patientenorganisationen im G-BA. „Wir haben schon die Erwartung an das System, dass die Kompetenzen dort abgefragt werden, wo sie anfallen. Das Vertrauen können alle Akteure haben, dass wir in Deutschland ein funktionierendes Kommunikationssystem unter den Patientenorganisationen haben.“

Katrin von Löwenstein von der Barmer sieht keine Gegensätze: „Beide Blickwinkel haben eine Berechtigung und sind letzten Endes zwei Seiten einer Medaille. Patienten- und Versicherteninteressen gehören zusammen und müssen auch in einem für beide Seiten fairen Verhältnis zusammengeführt werden. Die daraus wachsende Zusammenarbeit mit der Patientinnen- und Patientenvertretung beispielsweise im Gemeinsamen Bundesausschuss ist sehr wertvoll“, so von Löwenstein. Und sie hat weitere Gemeinsamkeiten ausgemacht: „Wir arbeiten alle ehrenamtlich und engagieren uns.“ Für Heike Lange von der TK ist mit Blick auf die Sozialwahlen, bei denen bis Ende Mai die Verwaltungsräte der Krankenkassen neu gewählt werden, das Engagement wichtig: „Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ermöglicht Selbstgestaltung.“

Für Danner vom G-BA hat beides seinen Platz: „In der Versichertenvertretung einer Krankenkasse kann man einzelne Krankheitsbilder wie Asthma oder Diabetes nicht spezifisch abbilden. Darum geht es dort ja auch nicht. Sondern eher um Kontrollfraktionen oder strategische Ausrichtungen der Krankenkassen. Im G-BA geht es eher um Betroffenensicht und die Betroffenenkompetenz.“

Für Betroffene ist das Gesundheitswesen oft aber widersprüchlich: „Was uns verunsichert, ist der unterschiedliche Umgang in den Sektoren mit Geld: Bei der Medikamentenversorgung spielt Geld offenbar keine Rolle. Da werden Beträge anstandslos ohne sichtbare Reibereien nach dem Katalogpreis für Deutschland bezahlt. Und bei der Versorgung in den Ambulanzen, da wird um Centbeträgen gefeilscht“, sagt Kruip vom Mukoviszidose-Verein.

Einblicke in die Versorgung

Bei der künftigen Beteiligung von Patienten sieht der Patientenbeauftragte der Bundesregierung für sich noch viel zu tun: „Ich erwarte keinen Tag, an dem es keine Beschäftigung mehr für mich als Patientenbeauftragten gibt“, sagt Schwartze. „Es wird immer Änderungen, neue Herausforderungen, neue Situationen und daraus resultierend neue Handlungsbedarfe geben.“ Dabei spielten die Patientenorganisationen eine wichtige Rolle: „Sie reflektieren das Erleben der konkreten gesundheitlichen Versorgung und spiegeln die Sorgen, Probleme und Bedürfnisse der Betroffenen.“ Danner von der BAG Selbsthilfe sieht aber auch die Politik gefordert: „Die Versorgung muss patientenorientierter ausgestaltet werden. Ich habe manchmal den Eindruck, dass man die Aufgabe auf die Patientenvertretungen abschiebt und sich Gesundheitspolitik darum nicht mehr kümmern muss. Das kann nicht der Weg sein. Das Ziel, die Versorgung auf die Patienten auszurichten, muss von allen verfolgt werden.“

Für Kruip bleibt die Herausforderung, dass Patienten gehört werden: „In einer guten Ambulanz mit einem engagierten Ambulanzleiter und engagiertem Personal stehen Patienten im Mittelpunkt. Leider hat man den Eindruck, dass in diesem komplexen Gesundheitswesen der Patient manchmal laut auftreten muss, damit er im Mittelpunkt bleibt und nicht vergessen wird.“ Rebecca Beerheide

Unabhängige Patientenberatung (UPD)

Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) wurde im Jahr 2000 als Modellvorhaben gegründet. Bis 2010 wurde die UPD vom Sozialverband VdK Deutschland, der Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Verbund unabhängige Patientenberatung als Gesellschafter betrieben. Nach dieser zehnjährigen Modellphase wurde die Beratung im Zuge des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) in die Regelversorgung übernommen. Die letzte Förderphase für die UPD endete im Dezember 2015, bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 wurde durch eine europaweite Ausschreibung ein neuer Träger für die UPD gesucht. Die bisherigen Betreiber der UPD verloren die Ausschreibung gegen den Gesundheitsdienstleister und Call-Center-Betreiber Sanvartis aus Duisburg. Mit der Übernahme durch Sanvartis wuchs die Kritik an der Vergabepraxis sowie an der flächendeckenden Beratung. In der Gesundheitspolitik setzte sich vor der Bundestagswahl 2021 die Meinung durch, die UPD organisatorisch auf neue Füße zu stellen und die Praxis, alle fünf bis sechs Jahre eine Neuausschreibung des Trägers vorzunehmen, zu beenden. Wegen der Bundestagswahl wurde die aktuelle Förderphase um ein Jahr verlängert. Die Ampelregierung hat nun ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Trägerschaft der UPD in eine Stiftung des öffentlichen Rechts umgewandelt werden soll. An der Neukonzeption im Stiftungsrat sowie im Vorstand sollen nun wieder Patientenorganisationen beteiligt werden. Finanziert wurde die UPD von Geldern der gesetzlichen Krankenkassen. Der GKV-Spitzenverband zahlte bisher jährlich rund neun Millionen Euro, demnächst sollen es 12 Millionen Euro werden. Auch die privaten Krankenversicherungen werden daran beteiligt.

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