ArchivDeutsches Ärzteblatt19/2023Semaglutid: Therapie missbraucht

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Semaglutid: Therapie missbraucht

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Wer seinen Wohlstandsbauch wie Techmilliardär Elon Musk loswerden will, engagiert inzwischen keinen Ernährungsberater oder Personal Trainer mehr. Er lässt sich einfach das Medikament Semaglutid spritzen, das allerdings nur zur Behandlung von Diabetes (Ozempic) und Adipositas (Wegovy) zugelassen ist. Die Wirkung ist vereinfacht gesagt simpel: Das künstliche Hormon GLP-1 signalisiert dem Körper „ich bin satt“.

Die Gewichtsabnahme funktioniert sehr effizient, weshalb Semaglutid als „Gamechanger“ in der Adipositas-Therapie gilt, wie die meisten Fachleute prognostizieren. Und das ist bitter nötig. Die World Obesity Federation geht weltweit von einer Milliarde stark übergewichtiger Menschen aus. Dem Robert Koch-Institut zufolge ist die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig; jeder Fünfte ist sogar adipös.

Was in der medizinischen Therapie zu Recht Hoffnung macht, hat auch eine gesellschaftliche Debatte um den Missbrauch von Semaglutid losgetreten. Denn der Hype um das Medikament kam nicht aus der Wissenschaft, sondern lag eben an den 13 Kilo, von denen Musk stolz berichtete, dass er sie abgenommen habe. Die sozialen Medien waren wie so oft der Katalysator von vermeintlich guten Nachrichten für alle, die mal ein paar Kilo abnehmen möchten. Allein auf Tiktok verzeichneten die Hashtags #Ozempic und #Wegovy mehr als 600 Millionen Aufrufe, die aber schwerwiegende Folgen haben können. So meldete der Hersteller Novo Nordisk Lieferengpässe wegen einer extrem hohen Nachfrage für Ozempic. Diese wird insbesondere in den USA dadurch verstärkt, dass Menschen sich das Mittel besorgen, die überhaupt nicht den Kriterien für die Verschreibung entsprechen – siehe Elon Musk. Zweifelhaft ist in diesem Zusammenhang auch der Selbstversuch einer ZEIT-Redakteurin, die pikanterweise eine Koch-Kolumne in der Wochenzeitung hat. Obwohl sie die Problematik benennt, dass Ozempic ein Diabetes-Medikament ist, das ihr nicht zusteht und es schon Lieferengpässe gibt, testete sie es.

Nach der Lektüre des langen Textes kann man sich schon fragen, wie viele Leserinnen und Leser wohl dieser Schleichwerbung für ein verschreibungspflichtiges Medikament ohne eine Indikation auf den Leim gehen. Dies ist die gefährliche Lifestyle-Komponente eines für die Adipositas-Therapie Erfolg versprechenden und wichtigen Medikamentes. Das Schönheitsmerkmal Schlanksein wird für den mit sich unzufriedenen, aber Normalgewichtigen zu einem Wunsch, der nun viel einfacher zu erreichen scheint.

Dieses Schönheitsideal verfängt fatalerweise gerade bei Kindern und Jugendlichen, auch weil sie sich stark über die sozialen Medien informieren. Die Zielgruppe für den Missbrauch ist unter Jugendlichen groß: Vergangene Woche vermeldete die Kaufmännische Krankenkasse, dass die Zahl der Jugendlichen mit Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie bundesweit gestiegen ist. Vergessen sollte man auch nicht, dass der Hunger nach dem Absetzen von Semaglutid schnell wieder da ist und damit auch die verlorenen Pfunde, meist noch mehr als zuvor – der berühmte Jo-Jo-Effekt. Es ist wohl eine Lebenstherapie.

Diese gefährliche Gemengelage macht deutlich, wie wichtig eine gute Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung ist. Nicht von ungefähr ist diese auch ein Schwerpunktthema des kommende Woche beginnenden Deutschen Ärztetages in Essen.

Michael Schmedt
Chefredakteur

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