ArchivDeutsches Ärzteblatt20/2023Marburger Bund: Eigene Gesundheit beachten

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Marburger Bund: Eigene Gesundheit beachten

Kurz, Charlotte

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Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hinterlässt oftmals Spuren bei der Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte. Die Delegierten der 141. Hauptversammlung des Marburger Bundes haben in Essen Forderungen beschlossen, um die Gesundheitsversorgung sicherzustellen und sich gleichzeitig auch selbst zu schützen.

Eine werteorientierte Patientenversorgung sollte neben der guten Versorgung von Patientinnen und Patienten auch die Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte besser berücksichtigen. Das erklärte Susanne Johna, die erste Vorsitzende des Marburger Bundes. Foto: Jürgen Gebhardt
Eine werteorientierte Patientenversorgung sollte neben der guten Versorgung von Patientinnen und Patienten auch die Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte besser berücksichtigen. Das erklärte Susanne Johna, die erste Vorsitzende des Marburger Bundes. Foto: Jürgen Gebhardt

Die Realität in den deutschen Krankenhäusern ist von einer massiven Arbeitsverdichtung, regelmäßigen Überschreitungen der Höchstarbeitszeitgrenzen und einer erheblichen Bürokratiebelastung geprägt. Das berichteten Krankenhausärztinnen und -ärzte bei der 141. Hauptversammlung des Marburger Bundes (MB) am 13. und 14. Mai in Essen. Dies geht oftmals auf Kosten der eigenen Gesundheit. Um das zu ändern und die Gesundheitsversorgung in Zukunft sicherzustellen, müssen sich Ärztinnen und Ärzte verstärkt von ökonomischen Zwängen befreien, forderte die erste Vorsitzende der Ärztegewerkschaft, Dr. med. Susanne Johna, auf der Hauptversammlung. Gleichzeitig sieht Johna den Staat in der Verantwortung für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen, um die Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte zu schützen.

„Dieser Druck, alles in hoher Taktung machen zu müssen, ist es, der uns Ärztinnen und Ärzten zu schaffen macht. Von diesem Druck müssen wir uns befreien“, sagte Johna. „Das geht am Ende nur mit einem kompletten Perspektivwechsel: weg von der Idee, Gesundheit sei eine Ware, hin zu einer werteorientierten Patientenversorgung.“

Teil des Genfer Gelöbnisses

Zu diesen Werten gehöre es, Ärztinnen und Ärzte in die Lage zu versetzen, neben dem Patientenwohl auch ihrer eigenen Gesundheit gerecht zu werden. Das ist mittlerweile auch Teil des ärztlichen Gelöbnisses (Genfer Deklaration), betonte Johna. Dort heißt es: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“

Die vielen bürokratischen Aufgaben raubten Ärztinnen und Ärzte zusätzlich Zeit, die sie für die Patientenversorgung benötigten. Bevor der Gesetzgeber neue bürokratische Vorgaben erlasse, müssten bestehende Regelungen auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden, so Johna. Der MB hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau vorschlägt (Kasten).

Gegen diese Missstände wolle der MB auf allen Ebenen sowohl tarifpolitisch als auch gesundheitspolitisch vorgehen, kündigte Johna an. Zudem regte sie ein Verbandsklagerecht an. „Wir brauchen Verbündete, um dieses Recht der Gewerkschaften durchsetzen zu können“, sagte sie. Ein solches Recht würde den MB in die Lage versetzen, in einem formalen Verfahren darauf hinzuwirken, dass die zuständigen Behörden Verstöße der Krankenhäuser ahnden und wirksam unterbinden würden.

Diesbezüglich appellierte sie auch an die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. „Richten sie Dienstzimmer so ein, dass Sie selbst bereit wären, dort ein paar Stunden zu verbringen“, forderte Johna.

Außerdem bekräftigte sie die Tarifforderung des MB, für die Klinikärztinnen und -ärzte an kommunalen Häusern ab 1. Januar 2023 eine lineare Erhöhung der Entgelte mit einem Inflationsausgleich sowie einer Lohnerhöhung um 2,5 Prozent zu ermöglichen. Diesbezüglich habe der VKA die Mediziner bislang in vier Verhandlungsrunden im Regen stehen lassen.

Die knapp 200 Delegierten verabschiedeten einen Antrag, der den Gesetzgeber auffordert, dem Fachkräftemangel mit adäquaten Maßnahmen zu begegnen und damit auch die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Darin heißt es unter anderem: „Erforderlich ist eine umfassende Fachkräftestrategie im Gesundheitswesen mit einer Erhöhung der Studien- und Ausbildungskapazitäten. Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochene Erhöhung der Medizinstudienplätze an staatlichen medizinischen Fakultäten ist dringend umzusetzen.“

Hinsichtlich der geplanten Krankenhausreform pochte Johna auf eine ausreichende Finanzierung der Investitionskosten durch Bund und Länder. „Eine Krankenhausreform zum Nulltarif ist gescheitert, bevor sie angefangen hat“, sagte Johna. Es brauche mehr Kooperation und Koordination statt Fehlversorgung und Verdrängungswettbewerb.

Wichtig sei, Abteilungsstrukturen so zu ermöglichen, dass der Weiterbildungsauftrag auch realisiert werden könne. Hierbei sei ein funktionierender trägerübergreifender Verbund wichtig, der eine nahtlose Rotation durch alle Weiterbildungsabschnitte gewährleistet. „Krankenhäuser, an denen ärztliche Weiterbildung erfolgt, sind bei der Krankenhausplanung zu bevorzugen“, betonte Johna. Die Delegierten setzten sich per Antrag dafür ein, dass die Weiterbildung bei der Krankenhausreform stärker berücksichtigt wird. Zudem forderte die Hauptversammlung den Gesetzgeber weiter dazu auf, die geplante Vorhaltefinanzierung als erlösunabhängige Vergütungskomponente zu gestalten. Damit soll vermieden werden, dass ein zusätzliches zweites Fallpauschalensystem in reduzierter Form neben den DRG-Pauschalen etabliert wird. Das DRG-System sollte einem ebenfalls angenommenen Antrag zufolge komplett abgeschafft werden.

Einfacher Zugang zu Digitalem

PD Dr. med. Peter Bobbert, Mitglied im MB-Vorstand, sprach sich in Essen leidenschaftlich für die Digitalisierung im Gesundheitswesen aus. Um diese voranzutreiben, braucht es einfache Zugangswege zu digitalen Anwendungen. Er warnte davor, wiederholt Fehler bei der Entwicklung der elektronischen Identität (eID) zu machen. Die eID als digitaler Schlüssel, um sich für Gesundheitsanwendungen künftig einfacher anmelden zu können, könne der Digitalisierung einen Schub verleihen, wenn sie richtig und zeitnah eingeführt werde.

Er plädierte für einen sogenannten Single Sign-On, mit dem man sich einmal anmeldet und damit auf verschiedene Anwendungen auf dem Handy zugreifen könne. Momentan werde aber ein höheres Sicherheitsniveau diskutiert, sodass etwa eine PIN und TAN benötigt werde oder der Personalausweis an das Smartphone gehalten werden müsse, um den elektronischen Schlüssel bedienen zu können.

Dies werde aber dazu führen, dass viele die eID nicht benutzen wollen oder können. Denn manche Hardwareanforderungen an das Handy haben nur bestimmte, meist teurere Smartphones, so Bobbert. Wenn die eID aber nur mit guten, teuren Handys genutzt werden könne, schließen wir viele aus, kritisierte er. Die Gesundheitsversorgung der Zukunft müsse auch die soziale Teilhabe beachten.

Die Delegierten forderten den Gesetzgeber per Antrag auf, hier nachzubessern. Sie erklärten, dass Versicherte nach entsprechender Aufklärung die Möglichkeit haben müssten, eigenverantwortlich und nach individueller Abwägung über die für sie akzeptablen Sicherheitsstandards und den damit verbundenen Anwendungszugang der eID zu entscheiden. Charlotte Kurz

Konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau

Anfang des Jahres hat der Marburger Bund eine Taskforce eingerichtet, die Vorschläge entwickelt, wie Dokumentationsanforderungen für Ärztinnen und Ärzte im stationären Bereich abgebaut werden können. Vorschläge für den ambulanten Sektor sollen folgen. Zu einer „schlagartigen Entbürokratisierung“ würde einem Zwischenbericht zufolge die Abschaffung des Systems der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) sorgen.

Darüber hinaus müsste es mehr Opt-out-Lösungen bei Patienteneinwilligungen und Einverständniserklärungen geben. Bei vielen medizinischen Fragen, wie Aufklärungen für Eingriffe könne man davon ausgehen, dass Einwilligungen ohnehin von fast allen Patienten erteilt werden, schreibt die Taskforce. Diese Maßnahme würde Zeit sowie auch Papier sparen.

Abrechnungsarten insbesondere bei ambulanten Behandlungen in Kliniken müssten zudem vereinheitlicht werden. Durch einheitliche Softwarelösungen und weniger Schnittstellenprobleme würde der Zeitaufwand zusätzlich reduziert, schlägt die Arbeitsgruppe vor. Auch bei der Dateneingabe in den Kliniken müsste es künftig einheitliche Schnittstellen geben, sodass Ärztinnen und Ärzte nicht mehr die gleichen Daten in mehrere Systeme eingeben müssen. Softwareanbieter müssten gesetzlich auf eine Datenarchitektur mit standardisierten Schnittstellen verpflichtet werden.

Um mehrfache Prüfungen durch den Medizinischen Dienst (MD) zu vermeiden, schlägt die Taskforce zudem die Erstellung eines Krankenhausregisters pro Bundesland vor. In diesem müssten die jeweils einmal überprüften Kriterien verzeichnet werden.

Die Taskforce fordert auch eine Reduzierung der gesetzlichen Vorgaben bei der Qualitätssicherung. Hier sollte der Fokus mehr auf Stichproben und bereits vorhandene Daten gelegt werden.

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