ArchivDeutsches Ärzteblatt20/2023127. Deutscher Ärztetag: Mit den Augen des anderen

SEITE EINS

127. Deutscher Ärztetag: Mit den Augen des anderen

Schmedt, Michael

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Auch wenn die Leistungen der Ärztinnen und Ärzte in der Coronapandemie auf der Eröffnung des 127. Deutschen Ärztetages in Essen nochmals zu Recht gewürdigt wurden – klar wurde: Es ist der erste nachpandemische Deutsche Ärztetag. Es war endlich wieder von Gesundheitspolitik, nicht mehr von Coronapolitik die Rede. Und so verfing auch nicht mehr die übliche Taktik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), seine Zuhörer – sprich die Ärztinnen und Ärzte – mit einer großen Portion Lob wieder für sich zu gewinnen, nachdem die Kritik an seinem Vorgehen bei seinen Reformvorhaben in den vergangenen Monaten immer lauter geworden war.

Der Applaus für seinen Dank an die Ärztinnen und Ärzte für ihr Engagement in der Pandemie war folglich im Vergleich zum vergangenen Jahr merklich zurückhaltender. Und als er gar von der ärztlichen Selbstverwaltung als Partner sprach, rührte sich keine Hand mehr. Die Geduld der Ärzteschaft mit dem Bundesgesundheitsminister ist hörbar zu Ende.

Und das hat der Minister sich selbst zuzuschreiben. Die mangelnde Einbeziehung derjenigen, die die Gesundheitsversorgung tragen, wie es der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. (I) Klaus Reinhardt, richtigerweise monierte, kann auf Dauer nicht funktionieren. Lauterbach bemühte sich zwar, seine vorherigen Aussagen zur Selbstverwaltung, diese seien doch Lobbyisten, zu relativieren. Überzeugend war dies indes nicht. Immer wieder versuchte er zu erklären, dass er doch ständig mit Wissenschaftlern spräche, um mit ihnen „Werkstücke“ zu erarbeiten, die er dann „intensivst“ mit der Selbstverwaltung besprechen wolle.

Aber warum nicht von Anfang an? Warum so wichtige und zeitkritische Reformen wie die der Krankenhausstrukturen, zur Digitalisierung und zur Gesundheitsversorgung insgesamt erst im stillen Kämmerlein diskutieren und damit in die Länge ziehen? Kritischen Diskussionen kann Lauterbach doch sowieso nicht aus dem Weg gehen, wie die Krankenhausreform sehr deutlich macht. So sind zum Beispiel die möglichen negativen Auswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung infolge der geplanten Strukturveränderungen in der Krankenhauslandschaft so offensichtlich, dass es auch den vom Minister so viel befragten Wissenschaftlern hätte auffallen müssen. Gerade die ärztliche Weiterbildung ist nicht nur der Garant für eine gute medizinische Versorgung; sie muss allein schon deshalb reibungslos und in vollem Umfang angeboten werden, damit sich die bekannten Nachwuchsprobleme nicht noch weiter verschärfen. All dies müsste auch im Interesse des Arztes Karl Lauterbach sein.

Die jetzt von Lauterbach angekündigten „intensivsten“ Diskussionen wären also gar nicht nötig gewesen, hätte man die Selbstverwaltung vorher gefragt. Jetzt verlängern sich die Reformen oder haben im schlimmsten Fall negative Folgen für die Gesundheitsversorgung.

Dass der Deutsche Ärztetag direkt zu Beginn seiner Sitzungen am ersten Tag den Finger in die Wunde legte und forderte, die geplanten Reformen am medizinisch-fachlichen Sachverstand und Versorgungswissen der Ärzteschaft auszurichten, ist nur folgerichtig. Karl Lauterbach hätte es sicher geholfen, wenn er viel früher den Rat des Psychotherapeuten Alfred Adler beherzigt hätte, auf den Klaus Reinhardt in seiner Rede hinwies: Mal auch mit den Augen des anderen zu sehen. Das ist der Garant für bessere und schnellere Lösungen.

Michael Schmedt
Chefredakteur

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote