POLITIK
Junge Ärztinnen und Ärzte: Die Zukunft gehört dem Team
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Junge und angehende Ärztinnen und Ärzte wollen interprofessioneller arbeiten. Eine gute Kommunikation, eine funktionierende Weiterbildung und eine klare Aufgaben- und Verantwortungsteilung sind dabei wichtig, so der Konsens beim Dialogforum im Vorfeld des Deutschen Ärztetages.
Zunahme von chronischen Erkrankungen, von Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit – angesichts dieser Entwicklungen in der Patientenversorgung ist Teamarbeit nach Ansicht vieler junger Ärztinnen und Ärzte mittlerweile unabdingbar. Für die Teilnehmenden des von der Bundesärztekammer organisierten „Dialogforums Junge Ärztinnen und Ärzte“ zum Thema „Besser (be)handeln im Team“ im Vorfeld des 127. Deutschen Ärztetages in Essen steht fest: Die Zukunft liegt in einer interprofessionellen und teamorientierten Patientenversorgung.
Tatsächlich wünscht sich ein Großteil der nachwachsenden Ärztegeneration verstärkt kooperative Formen der Zusammenarbeit und eine Arbeitsteilung mit anderen im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen in Teammodellen. Dies zeigen verschiedene Befragungen unter jungen Ärztinnen und Ärzten sowie Medizinstudierenden, zuletzt beispielsweise auch das PJ-Barometer des Marburger Bundes.
Teamarbeit gefragt
Nicht verwunderlich waren daher für Dr. med. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg und Moderator des Forums, die Ergebnisse einer Live-Umfrage unter den etwa 150 Teilnehmenden. Sie bestätigten das Meinungsbild: So können sich 63 Prozent der angehenden und jungen Ärztinnen und Ärzte medizinische Versorgungsangebote durch Physician Assistants (PA) im Vorfeld einer ärztlichen Versorgung vorstellen. 71 Prozent wären bereit, zur ärztlichen Entlastung Aufgaben auch dauerhaft an andere Berufe abzugeben. Veränderungsbedarf bei der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld sahen sogar 87 Prozent der Teilnehmenden des Dialogforums junge Ärztinnen und Ärzte.
Auch Mira Faßbach, Mitglied im Ausschuss „Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Arbeitsbedingungen“ der Ärztekammer Nordrhein und Mitglied im Bündnis junger Ärztinnen und Ärzte, verblüffen die Ergebnisse nicht. „Interdisziplinäre, teamorientierte Zusammenarbeit ist im Klinik- und Praxisalltag längst Realität. Damit sind wir groß geworden“, sagte sie. Es müsse aber bekannt sein, wer welche Kompetenzen und Verantwortlichkeiten habe. „Dies muss festgelegt und auch klar kommuniziert werden.“
Zum Bedauern der jungen Ärztinnen und Ärzte gibt es derzeit jedoch nur wenige Konzepte und Strukturen, die die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen regeln. Hinderlich sei oft auch das traditionell gewachsene Hierarchieverständnis, bedauerte Dr. med. Melissa Camara Romero, Co-Vorsitzende des Ausschusses „Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Arbeitsbedingungen“ der Ärztekammer Nordrhein. Bei der jüngeren Ärztegeneration seien die Hierarchien flacher geworden, man duze sich mit den Angehörigen der anderen Gesundheitsberufe und schaue, wie die jeweiligen Kompetenzen am besten umgesetzt werden könnten.
Rollenbilder fehlen noch
„Wir lernen interprofessionelle Zusammenarbeit in der Regel durch Vorbildfunktionen in den vielen Praktika, angefangen vom Pflegedienstpraktikum über die Famulaturen und das Praktische Jahr“, sagte Camara Romero. Doch häufig fehlten diese Rollenbilder noch. Sie persönlich könne sich sowohl in der Aus- als auch in der Weiter- und Fortbildung gemeinsame Module mit anderen Gesundheitsfachberufen vorstellen. So könnten Hierarchien weiter abgebaut, das gegenseitige Verständnis vertieft und der persönliche Austausch gefördert werden.
Vor allem für junge Ärztinnen und Ärzte sei es allerdings schwer, im Alltag abzuschätzen, was die verschiedenen Gesundheitsfachberufe an Kompetenzen mitbringen würden, so Camara Romero. „Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit braucht man aber eine Idee, was der andere selbstständig erledigen kann und wo die Grenzen liegen.“
„Wir müssen aus den alten Denkstrukturen raus“, betonte auch Faßbach. Zwar müssten die Ärztinnen und Ärzte den „Hut aufhaben“, aber auch alle anderen Gesundheitsberufe müssten ihre Kompetenzen einbringen können.
Wesentlich ist in einem interprofessionellen Team die Kommunikation. Auch darin waren sich die Diskutierenden einig. Als zentrale Rolle im interprofessionellen Team muss der Arzt oder die Ärztin nicht nur mit den Patientinnen und deren Angehörigen kommunizieren, sondern eben auch im Team“, sagte Camara Romero. Techniken könnten bereits im Studium vermittelt werden. „Grenzen entstehen immer dort, wo Uneinigkeit besteht“, erklärte sie. Im interprofessionellen Team trage der Arzt oder die Ärztin die Endverantwortung und müsse so bei Uneinigkeit den Entscheidungsprozess moderieren und im Zweifel die Entscheidung treffen. „Dabei ist es wichtig, alle Sichtweisen einzubeziehen und gleichberechtigt zu hören.“
Auch für Steffen Veen, ebenfalls Co-Vorsitzender des Ausschusses „Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Arbeitsbedingungen“ der Ärztekammer Nordrhein, ist dies unerlässlich. Für ihn ist klar, dass Ärztinnen und Ärzte auch hinsichtlich des Fachkräftemangels in Zukunft mehr mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten müssen. „Es wird wahrscheinlich keine Zukunft geben, in der 5 000 zusätzliche Medizinstudienplätze auf einmal geschaffen werden“, so Veen. Entscheidend werde aber die Ausgestaltung der interprofessionellen Zusammenarbeit sein.
Risiko Ökonomisierung
Als Risiko sieht Veen vor allem die Ökonomisierung, wenn es etwa kostengünstiger sei, dass gewisse Tätigkeiten von Nichtärzten übernommen werden. „Die Weiterbildung leidet immer als erstes unter der Ökonomie in den Kliniken“, warnte er. Fünf Thesen zur Weiterentwicklung der Weiterbildung, die eng mit der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsfachberufen verknüpft sind, stellte deshalb Prof. Dr. med. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Co-Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer, auf. Erstens brauche es eine neue Weiterbildungs- und Feedbackkultur. Ein „Weiter so“ der letzten zehn bis 20 Jahre dürfe es nicht geben, so Herrmann. Damit verbunden sollte zweitens eine bessere Vorbildfunktion der Weiterbildungsbefugten sein. Dies sei in der Vergangenheit teilweise verloren gegangen. „Wir brauchen ärztliche Haltungen, um unser Rollenverständnis klarer auszuarbeiten“, sagte Herrmann. Zudem forderte er drittens eine Reduzierung der fachlichen Inhalte der Weiterbildung. Stattdessen sollten mehr soziale, kommunikative sowie Führungskompetenzen in der Weiterbildung aufgebaut werden. Dies würde auch die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen erleichtern. Viertens brauche es in der Weiterbildung auch verstärkt Simulationstrainings, in denen möglichst interdisziplinär verschiedene Situationen geübt werden können. Damit könnten auch Führungsrollen trainiert werden, bevor man in den Realbetrieb geht. Fünftens würden andere Gesundheitsberufe den ärztlichen Bereich entlasten können und Ressourcen und den Raum dafür schaffen, den Ärztinnen und Ärzte für die Weiterbildung benötigen.
Keine ärztliche Konkurrenz
Herrmann sieht andere Gesundheitsfachberufe wie den Physician Assistant (PA) nicht als Konkurrenz für Ärztinnen und Ärzte, sondern als gute Unterstützung des ärztlichen Teams. Dies empfindet auch der Präsident der Landesärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, so: „Bange vor Konkurrenz muss in unserem Beruf niemand sein“, beruhigte er. Er glaubt, dass Ärztinnen und Ärzte in Zukunft eher froh sein werden, wenn es Menschen geben wird, mit denen sie sich bestimmte Aufgaben teilen können.
Voraussetzung sei aber, dass diese Aufgabenteilung klar abgestimmt werde, so Henke. Bei einem Punkt dürfe es keinen Kompromiss geben. „Es darf keine schleichende Veränderung des ärztlichen Berufsbildes geben, die dazu führt, dass uns der zentrale Punkt unserer Rolle – die Mittlerrolle zum Patienten – genommen wird“, betonte der Präsident der einladenden Kammer des diesjährigen Deutschen Ärztetages. „Wir sind in einer Zeit, in der wir fast alle 14 Tage von einem neuen Gesundheitsberuf hören“, sagte er. „Wir denken uns immer, das wird schon dazu beitragen, dass die Versorgung hochwertiger wird.“ Aber die Entstehung neuer Gesundheitsberufe führe auch manchmal Probleme mit sich, etwa aufgrund von Schnittstellen, die neuen Abstimmungsbedarf zwischen den verschiedenen Berufsgruppen auslösten. Das wiederum habe auch Auswirkungen auf die ärztliche Praxis und die Weiterbildung.
Mit der Aufgabenteilung und Zusammenarbeit der Berufe im Gesundheitsbereich hat sich auch bereits die Bundesärztekammer beschäftigt, wie Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer und Vorsitzender einer Arbeitsgruppe „Zukünftiges Rollenverständnis der Ärzteschaft in einer teamorientierten Patientenversorgung“, auf dem Forum erläuterte. So seien im August 2020 Thesen zur Kooperation zwischen Ärzteschaft und Gesundheitsfachberufen verabschiedet und auf dem 125. Deutschen Ärztetag vorgestellt worden.
Integration, kein „Feigenblatt“
Aber auch die Ansichten und Meinungen der jungen Ärztinnen und Ärzte sollen in die Berufspolitik integriert werden. Dies sei ein wesentliches Anliegen für die Bundesärztekammer und nicht nur ein „Feigenblatt“, betonte Dr. med. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer und Schirmherrin des jährlich stattfindenden Dialogforums.
Das Thema „Interprofessionalität“ wird die Ärzteschaft auf jeden Fall in Zukunft beschäftigen. Die Entwicklungen der letzten Jahre, wie die Akademisierung von Gesundheitsfachberufen oder die Entstehung neuer Berufe, seien unumkehrbar, so Bodendieck. Durch Aktualisierungen der Berufsgesetze sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen käme es an vielen Stellen zu Erweiterungen der Kompetenzen bestehender Berufe. Grundsätzlich stehe die Ärzteschaft dem positiv gegenüber; sie dürfe aber ihre zentrale Rolle in der Patientenversorgung nicht vergessen. Im Fokus aller an der Patientenversorgung beteiligten Berufsgruppen müssten evidenzbasiertes und qualitätsgesichertes Handeln zur Gewährleistung einer hohen Patientensicherheit stehen, betonte er. „Die Qualität steht über allem.“ Charlotte Kurz,
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Interviews und die gesamte Veranstaltung: http://daebl.de/BK55
Was junge Ärztinnen und Ärzte denken
Nach meiner Ansicht gibt es aktuell noch großen Verbesserungsbedarf in der interprofessionellen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Um bestehende Vorurteile gar nicht erst zu erlernen, muss Interprofessionalität schon in der Ausbildung gelehrt werden. Es gibt bereits mehrere Ansätze, aber bisher leider keine nationalen Regelungen. Fabian Landsberg (25), Medizinstudent, Heidelberg
Hinsichtlich der interprofessionellen Zusammenarbeit können wir Ärztinnen und Ärzte viel mehr gewinnen als verlieren.Unsere Arbeitsbedingungen müssen deutlich verbessert werden und ein Teil der Lösung liegt auch in der verstärkten Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen. Alexandra Archodoulakis (24), Studentin im PJ, Berlin
Wir arbeiten heute schon eng mit anderen Gesundheitsberufen zusammen. Ich war für sechs Monate in einer dermatologischen Praxis. Eine Medizinische Fachangestellte hatte dort auch kleinere chirurgische Eingriffe übernommen und führte selbst venöse Ultraschalluntersuchungen durch. Von ihr konnte ich viel lernen. Leonard Mathias (32), Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Greifswald
In meiner Klinik erlebe ich eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit. Allerdings ist die Zeit oft knapp für die Kommunikation untereinander. Diese sollte in der Weiterbildung gestärkt und gefördert werden. Wünschen würde ich mir beispielsweise gemeinsame Visiten in der Neurologie. Friederike Fabian (30), Ärztin in Weiterbildung, Neurologie, Stuttgart
Andere Gesundheitsberufe sind durchaus in der Lage, unsere Arbeit zu erleichtern. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass notwendige Ausbildungsinhalte wie zum Beispiel OP-Assistenzen oder weitere praktische Erfahrungen für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung wegfallen und von anderen Berufsgruppen übernommen werden. Kathrin Schawjinski (37), Ärztin in Weiterbildung, Orthopädie, Hamburg
Der teamorientierten Patientenversorgung gehört die Zukunft. Dabei dürfen aber nicht die Besonderheiten des ambulanten Sektors aus dem Fokus geraten. Um ineffiziente Parallelstrukturen zu vermeiden, müssen Ärztinnen und Ärzte die Versorgung unter einem Dach in Teampraxen dirigieren. Nils Vogel (33), Facharzt für Allgemeinmedizin, Köln
Interprofessionelle Lehrveranstaltungen sind leider bis heute nicht ausreichend im Curriculum verankert, sondern nur an einigen Universitäten für einzelne Fächer etabliert. Wünschenswert wäre die wissenschaftliche, strukturelle und finanzielle Förderung weiterer Stationen und darauf basierend die Entwicklung bundesweiter Mindeststandards. Giulia Ritter (21), Medizinstudentin, Bonn
Ein gutes interprofessionelles Konzept, das in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen ist, sind interprofessionelle Ausbildungsstationen (kurz: IPSTAs). Die aktuellen Ergebnisse des PJ-Barometers des Marburger Bundes zeigen eine hohe Zufriedenheit der Studierenden, die einen Teil des Praktischen Jahres auf einer IPSTA verbringen konnten. Pauline Graichen (21), Medizinstudentin, Marburg
Während meiner Weiterbildung in der Allgemeinmedizin habe ich bisher gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit mit VERAHs (Versorgungsassistent/-in in der Hausarztpraxis, Anm. d. Red.) gemacht. Durch diese Entlastung kann sich meine Weiterbilderin zum Beispiel auch meiner ärztlichen Weiterbildung besser widmen. Louisa Hecht (29), Ärztin in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Nürnberg
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