

Bei der geplanten Krankenhausreform scheint es einen ersten vorläufigen Konsens zwischen Bund und Ländern zu geben. Einig sind sich beide Seiten bei den Leistungsgruppen und der Vorhaltefinanzierung. Eine Planung der Kliniken anhand der Versorgungsstufen wird hingegen wohl nicht kommen.
Nach rund fünf Monaten Beratung und vielen Treffen von Bund und Ländern auf der Fach- als auch auf der Ministerebene gibt es offenbar ein grobes Grundgerüst einer bundesweiten Krankenhausreform. „Die Grundstruktur der Reform steht“, verkündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 1. Juni nach Beratungen mit den Bundesländern. Einige Vertreter der Länder sprachen im Nachgang sogar von einer „Sternstunde“.
Lauterbach kündigte an: „Es wird Vorhaltepauschalen und Leistungsgruppen geben.“ Dafür gebe es gemeinsamen Konsens. Bezüglich der geplanten drei Versorgungsstufen ist aber keine Einigung abzusehen. Hier scheinen sich die Bundesländer durchgesetzt zu haben.
Geplant sei – nach einer mehrjährigen Übergangsphase – 60 Prozent der Betriebskostenfinanzierung über Vorhaltepauschalen und 40 Prozent über diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) abzüglich der Pflegepersonalkosten zu berechnen, erklärte Lauterbach. Das Pflegebudget soll künftig in der Vorhaltefinanzierung enthalten sein.
Keine neue Bürokratie
Die Vorhaltefinanzierung soll durch eine Absenkung der bisherigen aDRG (DRG abzüglich Pflegepersonalkosten) entstehen. Das geht aus einem Eckpunktepapier aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hervor, das dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) vorliegt. Demnach soll eine Differenzierung des Vorhalteanteils nach Schweregraden und Leistungsmengen im weiteren Verfahren geprüft werden, wobei eine starre Verknüpfung an Fallzahlen ausgeschlossen wird. Für die Höhe des Vorhaltebudgets sei die bedarfsbezogene Zuweisung der Leistungsgruppen an die Krankenhäuser durch das Land maßgeblich.
Die Ärzteschaft hatte die Vorhaltefinanzierung im Vorfeld begrüßt, allerdings auch angemahnt, dass dadurch keine neuen bürokratischen Maßnahmen für die Ärztinnen und Ärzte erfolgen dürften. Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte in einem Eckpunktepapier zur Krankenhausreform etwa gefordert, Doppelungen von kontrollbehafteten Strukturvorgaben zwischen Abrechnungskomplexcodes und Leistungsgruppenanforderungen zu vermeiden.
Dieser Gedanke scheint auch im BMG angekommen zu sein. So heißt es in dem Papier aus dem Ministerium, dass Änderungen bezüglich der Vorhaltevergütung im Zusammenhang mit Maßnahmen der Entbürokratisierung zu prüfen seien. Auch Lauterbach sprach davon, im Zuge der Krankenhausreform entbürokratisieren zu wollen.
Die Leistungsgruppen sollen sich nach den bereits erarbeiteten 60 somatischen Leistungsgruppen aus Nordrhein-Westfalen (NRW) richten. Modellierungen hätten gezeigt, dass 98 bis 99 Prozent der bereits erbrachten Fälle im stationären Bereich den Leistungsgruppen aus NRW zugeordnet werden können, so Lauterbach. „Wir sehen in den vorläufigen Ergebnissen teilweise Qualitätsdefizite, aber auch eine gute Struktur der Versorgung“, so Lauterbach.
NRW-System funktioniert
Über alle Bundesländer hinweg betrachtet konnten insgesamt 99,16 Prozent aller stationären Fälle den Leistungsgruppen zugeordnet werden. Das geht aus einer Übersicht hervor, die dem DÄ vorliegt. Für die Auswertung verwendeten die Firmen Oberender und BinDoc im Auftrag des BMG das Datenjahr 2021. Alle Klinikstandorte des Verzeichnisses des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) wurden berücksichtigt. Insbesondere der Gesundheitsminister aus NRW, Karl-Josef Laumann (CDU), zeigte sich über diese Ergebnisse erfreut. „Das NRW-System wird funktionieren“, so Laumann.
Die Zahlen zeigen darüber hinaus, dass mit dem Status quo 1 301 der bundesweit 1 719 Krankenhausstandorte etwa die Leistungsgruppen „Allgemeine Innere Medizin“ oder „Allgemeine Chirurgie“ erfüllen könnten. Andere Gruppen wie beispielsweise die „Interventionelle Kardiologie“ könnten 772 Standorte erbringen. Bei komplexeren Gruppen nimmt die Zahl deutlich ab. So könnten lediglich 41 Standorte die Leistungsgruppe „Komplexe Endokrinologie und Diabetologie“ erbringen.
Klar ist zudem, dass die 60 Leistungsgruppen aus NRW zunächst um drei weitere ergänzt werden sollen: „Allgemeine Kardiologie“, „Infektiologie“ und „Neuropädiatrie“. An der Zuordnung zu diesen Gruppen wird derzeit noch gearbeitet.
Mit den Leistungsgruppen sollen Qualitätskriterien klar definiert werden, die Kliniken erfüllen müssen, um entsprechende Leistungen anbieten und abrechnen zu können. Mit den Gruppen soll sichergestellt werden, dass bundesweit die gleiche Versorgung mit der gleichen Qualität angeboten wird, betonte Lauterbach.
In der geplanten mehrjährigen Übergangsphase, bis die Reform und insbesondere die Umstellung der Finanzierung greift, soll transparent gemacht werden, welche Kliniken bestimmte Leistungsgruppen erfüllen können. In dieser Phase dürfen sie diese dennoch anbieten, auch wenn sie die Qualitätskriterien nicht erfüllen sollten. Nach der Übergangsphase werden die betroffenen Leistungen aber nicht mehr bezahlt, erklärte Lauterbach.
Bei einem Punkt hingegen besteht nach wie vor keine Einigkeit: Den geplanten Versorgungsstufen. „Bei den Leveln werden wir keine Freunde“, sagte der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) in Richtung Lauterbach. Dieser ergänzte: „Da kommen wir nicht überein.“
Die Hamburger Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sprach von einem „großen Entgegenkommen des Bundesministers“ und dass viele Punkte, die den Ländern wichtig sind, in den Prozess aufgenommen worden sind. Damit ist Lauterbach den Bundesländern bei dem Streit um die Levels tatsächlich entgegengekommen. Allerdings will der Bund die Stufen nicht fallen lassen, sondern plant, diese für eigene Zwecke einzusetzen. So werde der Bund eine Transparenzübersicht gestalten, die als Deutschlandkarte Patientinnen und Patienten zeigen soll, welche Kliniken welche Leistungsgruppen anbieten können, kündigte Lauterbach an. „Wir werden als Bund Qualitätsunterschiede von Klinik zu Klinik transparent machen“, so der Minister. Diese Übersicht soll die Kliniken auch in die drei geplanten Levels einstufen, auch wenn die Bundesländer nach der Reform nicht von diesen sprechen oder die Stufen anders benennen sollten. Die entsprechende rechtliche Grundlage habe der Bund bereits in der Hand. Hierfür hat der Gesetzgeber im März einen Passus an das Omnibusgesetz zur Reform der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) angehängt. Damit wurde das InEK beauftragt, das BMG zu unterstützen, beraten und Datenauswertungen etwa zu DRG-Abrechnungen zuzuliefern. Entsprechend sollen und dürfen die InEK-Daten für diese Übersicht genutzt werden.
Zeitlich befristete Ausnahmen
Erstmals findet sich in dem Eckpunktepapier des BMG auch eine konkrete Formulierung hinsichtlich der Ausnahmeregelungen bei den Leistungsgruppen. „Neben der Zuordnung von Leistungsgruppen verbleiben Möglichkeiten für Länder, in der Fläche eine bedarfsnotwendige stationäre Versorgung sicherzustellen. So werden bundesweit einheitliche Kriterien entwickelt, nach denen Planungsbehörden Optionen erhalten, bedarfsnotwendige Leistungen auch Kliniken zuzuweisen, die nicht alle Vorgaben der Leistungsgruppe erfüllen“, heißt es. Diese Zuweisungen als Ausnahmen sollen zeitlich befristet und deren Ergebnisse evaluiert werden.
Schlotzhauer erklärte dazu, dass in der Übergangsphase Kliniken ertüchtigt werden sollen, Qualitätskriterien einzelner Leistungsgruppen zu erreichen, um diese anschließend ordnungsgemäß anbieten und abrechnen zu können.
Für die Definition und Weiterentwicklung der Leistungsgruppen werden die medizinischen Fachgesellschaften (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, AWMF) hinzugezogen. Die AWMF hat dem BMG bereits erste Vorschläge zur Ausgestaltung der Gruppen übergeben. Ein Gremium aus Vertretern der Länder sowie dem BMG soll daraus eine zustimmungspflichtige Rechtsverordnung zur Definition der Leistungsgruppen erarbeiten.
Für die ergänzende Finanzierung von Maßnahmen, die sich aus der Umsetzung der Reform ergeben, wird zudem eine Verlängerung und Ergänzung des Krankenhausstrukturfonds aus Mitteln aus Bund und Ländern angestrebt, heißt es im BMG-Papier.
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), der sich immer wieder kritisch bezüglich des Reformvorhabens ausgesprochen hatte, zeigte sich etwas besänftigt: „Der Bund hat sich auf die Länder zubewegt.“ Der Bund sollte allerdings Geld für die Sicherung der Kliniken während der Transformation in die Hand nehmen und den Kliniken und den Ländern mehr Zeit für die Konvergenzphase geben, forderte Holetschek.
BÄK pocht auf Transparenz
Die BÄK begrüßte, dass sich die Reform am Vorbild NRW orientieren wolle. Es sei pragmatisch, die Reform durch die Diskussion um Einzelheiten der vom Bund zusätzlich gewünschten Level nicht weiter zu verzögern, sagte BÄK-Präsident Dr. med. (I) Klaus Reinhardt. „Eine Reform solchen Ausmaßes kann ohnehin nur schrittweise umgesetzt werden. Wichtig ist, dass es überhaupt erstmals eine bundesweit harmonisierte Planungssystematik gibt, die Transparenz bei verlässlicher Strukturqualität ermöglicht“, so Reinhardt. Er betonte erneut, dass die Landesärztekammern und die BÄK verstärkt in den Reformprozess miteinbezogen werden sollten.
In dem Eckpunktepapier der BÄK wies die Kammer zudem auf die Notwendigkeit von klinik- und sektorenübergreifenden Weiterbildungsverbünden hin. Eine Beteiligung der Kliniken an einer sektorenübergreifenden Weiterbildung im Rahmen der Krankenhausplanung sollte verbindlich vorgegeben werden. Nur mit diesen Maßnahmen werde die Reform nicht zum Risiko für die ärztliche Nachwuchsgewinnung, so Reinhardt. Außerdem müssten Kliniken weiterhin „ohne Wenn und Aber“ unter ärztlichen Leitungen geführt werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erneuerte ihre Forderung auf ein Vorschaltgesetz zur Finanzierung der Krankenhäuser. „Die Ergebnisse lassen befürchten, dass viele bedarfsnotwendige Krankenhäuser die Reform gar nicht mehr erleben werden“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der DKG, Prof. Dr. med. Henriette Neumeyer. Sie warnte vor weiteren Klinikinsolvenzen. Deshalb brauche es eine klare Aussage, wie die Investitionsfinanzierung der Kliniken gesichert werde.
Bund und Länder wollen sich am 29. Juni zur nächsten Beratungsrunde treffen. Die Vorhaltepauschalen stehen dabei ganz oben auf der Agenda. Die daraus resultierenden finalen Eckpunkte will das BMG in der Sommerpause in einen Gesetzentwurf gießen. Dieser soll im zweiten Halbjahr in den Bundestag eingebracht werden. Die Reform soll damit zu Beginn 2024 in Kraft treten. Charlotte Kurz
So viele Kliniken würden den Leveln zugewiesen werden
Begleitend zur Krankenhausreform erarbeiten die Unternehmensberatung Oberender sowie der Softwareentwickler BinDoc im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) verschiedene Modellierungen. Dem Deutschen Ärzteblatt liegt eine Übersicht vor, in der die Krankenhausstandorte in die zumindest vom Bund geplanten Level 1i, 1n, 2 und 3 sowie Level F (Fachkrankenhäuser) zugeordnet sind. Außerdem werden die Bundeswehrkrankenhäuser und BG Kliniken aufgeführt.
Demnach werden alle 1 719 Krankenhausstandorte in Deutschland diesen sechs Kategorien vorläufig zugeordnet. Aktuell 358 Kliniken könnten zu der umstrittenen Stufe 1i zugewiesen werden, weil diese Standorte die Voraussetzungen der anderen Stufen nicht erfüllen. Das BMG sieht diese Häuser als Plankrankenhäuser, Kritiker befürchten, dass diese Standorte künftig nicht mehr als Krankenhaus zählen werden. Die meisten Level-1i-Krankenhäuser sind in Bayern (65), gefolgt von NRW (59) und Baden-Württemberg (45). Zum Vergleich: Das Flächenland Brandenburg hätte lediglich 16 Standorte.
Mehr Krankenhäuser (419) halten derzeit ein Äquivalent von mindestens einer Leistungsgruppe aus der Inneren Medizin und Chirurgie sowie Intensivmedizin vor und entsprechen dabei Level 1n. In dieser Stufe hat NRW die Nase deutlich vorn (117), Bayern hat 50 Standorte dieser Stufe und Niedersachsen 41.
Zudem gäbe es 467 Level-2-Krankenhäuser, die deutlich mehr Leistungsgruppen erbringen müssten. 126 Kliniken in NRW, 72 in Bayern und 49 in Niedersachsen könnten dieser Stufe zugeordnet werden.
In Level 3, die als Maximalversorger und Universitätskliniken künftig mindestens fünf internistische, fünf chirurgische sowie mindestens acht weitere Leistungsgruppen vorhalten müssen, werden bundesweit 136 Standorte zugeordnet. In Bayern sind hier die meisten Kliniken zu finden (27), gefolgt von Baden-Württemberg und NRW (beide 19) und Hessen (11). Saarland und Bremen hätten jeweils einen Standort.
Weiter gibt es 325 Fachkrankenhäuser und 14 BG Kliniken und Bundeswehrkrankenhäuser. Bei den Fachkrankenhäusern führt Bayern die Liste an (80) mit Abstand zu Baden-Württemberg (49) und NRW (40).