MEDIZINREPORT
Klimakrise und vektorassoziierte Erkrankungen: Infektionen nehmen zu


Mit der heißen Jahreszeit beginnt auch die Zeit der Stechmücken. Im Juli rechnet das Robert Koch-Institut mit den ersten West-Nil-Fieber-Fällen in Ostdeutschland. Doch auch weitere tropische, vektorassoziierte Krankheiten könnten hierzulande aufgrund der Klimakrise bereits dieses Jahr auftreten.
Der Klimawandel ist bereits in vollem Gange. Mit höheren Temperaturen und weiteren klimatischen Veränderungen etablieren sich neue Infektionskrankheiten in Deutschland und bereits bekannte nehmen in ihrer Häufigkeit zu. Das ist auch Thema eines kürzlich veröffentlichten Sachstandsberichts zu Klimawandel und Gesundheit, der unter Federführung des Robert Koch-Instituts (RKI) entstanden ist (1). Mit One-Health- und Planetary-Health Ansätzen wollen die Autorinnen und Autoren gleichzeitig den Klimaschutz fördern und Anpassungsstrategien an den Klimawandel finden. „Nur eine gesunde Umwelt ermöglicht auch die Gesundheit des Menschen“ sagt eine der Autorinnen, Prof. Dr. rer. nat. Elke Hertig von der Universität Augsburg. Dazu braucht es dem Bericht zufolge unter anderem mehr Forschung, Aufklärung und ein gutes Monitoring von Krankheitserregern.
Neben anderen Infektionskrankheiten stehen vektorassoziierte Erreger im Fokus der Aufmerksamkeit. Bereits seit mindestens 2015 vermehrt sich die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) in Deutschland. Autochthone Infektion mit dem Dengue-, Chikungunya- oder dem Zika-Virus gibt es hierzulande bislang allerdings noch nicht. Anders ist das beim West-Nil-Virus (WNV), das auch von in Deutschland heimischen Culex-Arten übertragen wird.
West-Nil-Fieber in Deutschland
Das WNV zirkuliert seit mindestens 2018 in Teilen Ostdeutschlands. Im vergangenen Jahr hat es 17 Meldungen zu autochthonen Infektionen in Deutschland gegeben. Das RKI geht von steigender Tendenz in den kommenden Jahren aus. „Falls dieser Sommer mit langen warmen/heißen Zeiträumen gekennzeichnet sein sollte, werden die Fallzahlen wahrscheinlich höher ausfallen als bei niedrigen Temperaturen oder nur kurzen Wärmeperioden“, sagt Dr. med. vet. Hendrik Wilking vom RKI.
Ärztinnen und Ärzten empfiehlt das RKI im kürzlich veröffentlichten epidemiologischen Bulletin 22/2023 vor allem im Sommer und Spätsommer bei unklaren Enzephalitiden sowie unklaren Häufungen von Fiebererkrankungen eine WNV-Diagnostik zu veranlassen (2) (siehe Kasten). „Mit West-Nil-Virus Erkrankungsfällen ist insbesondere in Ostdeutschland von Ende Juli bis Anfang Oktober zur rechnen“ so Wilking.
Erkrankte entwickeln meist unkompliziertes, abrupt beginnendes Fieber und grippeähnliche Symptome (3). Neuroinvasive Erkrankungen in Form einer Meningitis oder Enzephalitis kommen nur in etwa 1 % der Fälle vor – meist bei älteren oder chronisch erkrankten Menschen.
Die Endemiegebiete sind Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Es ist aber in Zukunft durchaus mit einer Veränderung des bestehenden Endemiegebiets oder einem 2. Endemiegebiet zu rechnen“, erklärt Prof. Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg. Das WNV sei wahrscheinlich aus Tschechien und Österreich kurz nach der Jahrtausendwende nach Deutschland importiert worden und habe sich hier etablieren können.
„Im Süden und Südosten des WNV-Endemiegebietes gibt es zunehmend Landkreise, die gleichzeitig FSME-Risikogebiete sind“, erläutert Wilking vom RKI. Daher sollten in diesen Gebieten bei einer Meningoenzephalitis beide Viren als mögliche Erkrankungsursache in Betracht gezogen werden.
Zwar sind von FSME nach wie vor insbesondere die südlichen Bundesländer betroffen, doch finden sich mittlerweile in fast jedem Bundesland, abgesehen von Bremen und Hamburg, FMSE-Fälle. Forschende sprechen daher vom Endemiegebiet Deutschland (4). Grund für diese Entwicklung sind auch hier unter anderem steigende Temperaturen mit warmen Wintern, in denen die Zeckennymphen besser überleben können.
Nicht alle Infektionen erfasst
Sowohl FMSE als auch WNV-Infektionen verlaufen im Großteil der Fälle asymptomatisch. Daher wird laut RKI nur ein kleiner Teil der menschlichen WNV-Infektionen erfasst. Um eine bessere Surveillance zu erzielen, sammelt das Friedrich-Loeffler-Institut Infektionsdaten bei Vögeln oder Pferden. Anders als Vögel sind Menschen allerdings Fehlwirte: Sie können sich zwar infizieren, übertragen das Virus aufgrund einer geringen Virämie jedoch nicht zurück auf Stechmücken. Damit spielen reiseassoziierte WNV-Infektionen für die weitere Verbreitung des Virus keine Rolle.
Anders ist das beim Zika-, Dengue- und Chikungunya-Virus. In den vergangenen Jahren ist es aufgrund reiseassoziierter Erkrankungsfälle im südlichen Europa bereits zu Ausbrüchen der 3 Infektionskrankheiten gekommen. In Gebieten, in denen die Asiatische Tigermücke ansässig ist, rät das RKI dazu, bei Fieber unklaren Ursprungs auch ohne Reiseanamnese an in Deutschland nichtendemische Erreger zu denken. Bei gleichzeitigem Vorkommen des WNV ist diese Ätiologie laut RKI jedoch wahrscheinlicher.
Obwohl es aktuell noch keine Hinweise auf eine Übertragung der Pathogene durch die Asiatische Tigermücke in Deutschland gibt, wäre sie bei den hier vorherrschenden sommerlichen Temperaturen prinzipiell in der Lage, das Chikungunya-Virus zu übertragen (5). Das RKI rechnet daher bereits in diesem Sommer mit möglichen autochthonen menschlichen Chikungunya-Virus-Infektionen.
Typische Symptome sowohl beim Chikungunya als auch beim Dengue-Fieber oder der Zika-Infektion sind schnell einsetzendes und hohes Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie teils ein Exanthem. Das Zika-Virus verläuft jedoch, wie auch das WNV, in 80 % der Fälle asymptomatisch und hat bei Auftreten mildere Symptome. In einer Schwangerschaft besteht bei Infektion die Gefahr einer Mikrozephalie.
Die Asiatische Tigermücke ist mittlerweile in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen sowie vereinzelt in Bayern, Thüringen und Berlin zu finden. Selbst bei einem moderaten Temperatur-Anstieg von unter 2 °C weitet sich das Habitat der Asiatischen Tigermücke bis 2040 jedoch laut einer kürzlich veröffentlichten Modellierungsstudie auf weitere Teile Süd- und Westdeutschlands aus (6).
Die klimatischen Bedingungen von 18 bis 34 °C Mitteltemperatur, die es für eine Übertragung der Pathogene braucht, dehnen sich der Studie zufolge sukzessive auf fast alle Gebiete Europas aus. Neben hohen Temperaturen spielen auch Niederschlagsmengen, Windverhältnisse und die Art der Landnutzung eine Rolle für die Entwicklungs-, Vermehrungs- und Ausbreitungsfähigkeit von Pathogenen und Vektoren, so die Autoren.
Zusätzlich stehen weitere tropische Vektoren im Zentrum der Forschung: „Es gibt 4 Protagonisten, die uns derzeit an invasiven Arten interessieren“, sagt Prof. Dr. rer. nat. Sven Klimpel von der Goethe Universität Frankfurt, einer der Studienautoren. Dabei sei neben der Asiatischen Tigermücke auch die Asiatische Buschmücke (Aedes japanicus) häufig. Die Gelbfiebermücke (Aedes aegyti) sei noch nicht ganz so prominent. Die koreanische Buschmücke sei kürzlich erstmalig in Hessen nachgewiesen worden und werde in Zukunft ebenfalls eine Rolle spielen so Klimpel.
Prävention und Monitoring
Während es gegen das Dengue-Virus mittlerweile 2 Impfstoffe gibt und sich 1 Impfstoff gegen das Chikungunya-Virus kurz vor der Zulassung befindet, ist gegen das WNV oder das Zika-Virus kein Impfstoff in Aussicht. Der Prävention und dem Monitoring kommen daher besondere Bedeutung zu.
Die Überwachung läuft sowohl über eine systemische Erfassung als auch über Citizen-Science-Projekte, wie dem „Mückenatlas“. Menschen können dafür gefundene, suspekte Moskitos einsenden. Ein weiteres Projekt der Universität Heidelberg setzt auf die Überwachung per App: Teilnehmende können Fotos von suspekten Moskitos über die App an Insektenkundige schicken, um festzustellen, ob sich invasive Mückenpopulationen in der jeweiligen Gemeinde ausbreitet (7). Dr. med. Mirjam Martin
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2423
oder über QR-Code.
WNV-Diagnostik
In den ersten Tagen nach Symptombeginn kann die WNV-RNA in Vollblut, Serum oder Liquor mithilfe einerspeziellen PCR (Reverse-Transkription Polymerase Kettenreaktion) nachgewiesen werden (3). Danach kann der Nachweis von Antikörpern mittels ELISA zielführend sein. Um eine Serokonversion oder einen Anstieg des Antikörpertiters zu erkennen empfiehlt das RKI eine Verlaufsuntersuchung. Infektionen oder Impfungen mit anderen Erregern wie FSME, Gelbfieber, Dengue, Japanische Enzephalitis oder Usutu können im ELISA allerdings Kreuzreaktionen auslösen. Daher sollte das WNV im Neutralisationstest (hochspezifischer Plaque-Reduktions-Neutralisationstest) bestätigt werden. Alternativ ist ein Virusnachweis durch PCR oder Next-Generation-Sequencing (NGS) im Blut oder Urin möglich. Die Kosten für die Diagnostik übernehmen die Krankenkassen.