ArchivDeutsches Ärzteblatt23/2000Palliativmedizin: Klinische Forschung ist notwendig

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Palliativmedizin: Klinische Forschung ist notwendig

Radbruch, Lukas; deConno, Franco; Klaschik, Eberhard

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LNSLNS Manchen gilt Forschung in der Palliativmedizin als unethisch. Mehr Information soll Akzeptanz schaffen.

Borschung wird im Eid des Hippokrates nicht erwähnt. Ärztliches Wissen und Können erlernte der angehende Arzt durch seinen Lehrer, und er soll seine Fähigkeit und sein Urteil nutzen, um die richtigen Verordnungen zu treffen. Mit dem Fortschritt der modernen Medizin ist es für den Arzt aber nicht mehr möglich, sich allein auf seine eigene Erfahrung zu verlassen. Ärzte überschätzen die Zahl der Patienten, die sie mit einer bestimmten Therapie behandelt haben, und die Effektivität der Behandlungen, die sie anwenden. Barrieren und Vorurteile beeinflussen die Auswahl des therapeutischen Vorgehens. Wir sehen nur, was wir sehen wollen. Forschung kann uns aus diesem Dilemma heraushelfen.
Klinische Studien ermöglichen es, neue Behandlungsoptionen zu erproben. Neue Konzepte in der Evaluation wie die „Number needed to treat“ oder die „Number needed to harm“ liefern objektive Einschätzungen der untersuchten Maßnahmen und vergleichen Vor- und Nachteile für den Patienten (Kosten-Nutzen-Analyse). Im europäischen Gesundheitswesen kann eine neue Fachrichtung wie die Palliativmedizin nur bestehen, wenn sie die Effektivität ihrer Methoden
in wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen kann. In
den meisten europäischen Ländern ist
jedoch noch lange nicht ein Stand wie in Großbritannien erreicht, wo Palliativmedizin ein anerkanntes Fach ist und die Notwendigkeit zur klinischen Forschung von Patienten und Behandlungsteams akzeptiert wird.
Forschung in der Palliativmedizin ist nicht nur ein komplexes und kontroverses Thema, sondern infolge ethischer Probleme oft nicht einfach durchzuführen. Die Patienten erfüllen oft nicht die Einschlusskriterien für klinische Studien, sie leiden unter Schwäche, Müdigkeit und kognitiven Einschränkungen. Die Lebenserwartung ist oft zu kurz, um an Studien mit langen Beobachtungszeiten teilzunehmen. Neben diesen Gründen bestehen Hindernisse auf einer emotionalen Ebene. Forschung in der Palliativmedizin gilt bei manchen Patienten, Angehörigen und sogar Ärzten als unethisch. Ärzte und Krankenpflegepersonal möchten die Patienten nicht in klinische Studien aufnehmen, da sie die Belastung für den Patienten für zu groß halten. Für viele Ärzte passen Forschung und Palliativmedizin einfach nicht zusammen. Dies ist jedoch nur ein Teil des Problems. Die Diskussion um palliativmedizinische Forschung erstreckt sich oft nur auf das Symptom Schmerz. Genauso wichtig sind aber Forschungsfragen zu anderen körperlichen Symptomen, in den Bereichen Sozialhilfe, Psychotherapie, Einstellungen zum Sterben und Trauer. Palliativmedizin ist einer der wenigen Bereiche, die nicht nur den Patienten, sondern auch Angehörige und Bezugspersonen in die Forschung einbezieht.
Das Research Steering Committee wurde 1997 von der European Association für Palliative Care (EAPC) eingerichtet, um die palliativmedizinische Forschung zu fördern. Das Netzwerk möchte erfahrene Wissenschaftler zusammenführen und solche mit geringen Erfahrungen und Möglichkeiten unterstützen. Seitdem wurden von dem Komitee in einer Reihe von Workshops Empfehlungen zu einzelnen Bereichen der Palliativmedizin wie Schmerzerfassung, Nebenwirkungen der Opioidtherapie, Corticosteroide in der Palliativmedizin oder Angst und Depression bei Tumorpatienten erarbeitet. Im nächsten Schritt müssen nun die Informationen über die Forschungstätigkeiten verbreitet werden und eine größere Zahl von Palliativmedizinern und Einrichtungen an der Diskussion der Forschungsfragen beteiligt werden. Dazu dient eine eintägige Anwendungsbeobachtung, die deskriptive Daten der palliativmedizinischen Praxis quer durch Deutschland erfassen soll. Als weitere Maßnahme wird eine Konferenz zur palliativmedizinischen Forschung und Entwicklung veranstal-
tet. Die Veranstalter hoffen, mit der Konferenz der palliativmedizinischen Forschung in Europa einen entscheidenden Impuls geben zu können.
Dr. med. Lukas Radbruch
Dr. med. Franco deConno
Dr. med. Eberhard Klaschik

Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Lukas Radbruch
Klinik für Anästhesiologie
und Operative Intensivmedizin
Universität zu Köln
50924 Köln

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