ArchivDeutsches Ärzteblatt31-32/2023Gesundheitswesen: Wissen ist nicht immer Macht

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Gesundheitswesen: Wissen ist nicht immer Macht

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Kein Jahr ohne Sommerlochaufreger. So entpuppt sich eine vermeintliche Löwin in Berlin als Wildschwein und bestimmt dennoch tagelang die Schlagzeilen. Der Klimawandel tat dies auch – angefacht durch Waldbrände und Extremtemperaturen in Südeuropa. Dieser löst sich aber nicht in Wohlgefallen auf und polarisiert wieder einmal. Wissen und Wissenschaftler werden als Leumund bemüht, die Diskussion selbst ist aber oft unsachlich und teils beleidigend. Wissenschaft hat einen schweren Stand. Sie wird zum Teil nur benutzt oder gar für die eigene Argumentation verfälscht. Dabei sind wissenschaftliche Erkenntnisse für eine sachliche Diskussion notwendig. Im Idealfall folgen daraus sinnvolle Handlungsstrategien.

Betrachtet man das Gesundheitswesen, gibt es eine Fülle an Wissen, um dessen Probleme anzugehen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Leider nein, obwohl es nicht selten Binsenweisheiten sind, die just in der vergangenen Woche durch Studienergebnisse in Erinnerung gerufen wurden. Dass zum Beispiel ein gesunder Lebensstil die Lebenserwartung verlängert, ist keine große Erkenntnis. Dass aber 40-jährige Männer so im Durchschnitt 23,7 Jahre länger leben als mit einem sehr schädlichen Stil, beeindruckt. So sollte man die Ergebnisse der Langzeituntersuchung der University of Illinois mit mehr als 700 000 US-Veteranen zum Anlass nehmen, der Bevölkerung diese Binse nahezubringen. Prävention und Gesundheitskompetenz sind die beiden Felder, auf denen es nach wie vor viel zu tun gibt.

Gerade mit der Gesundheitskompetenz steht es nicht zum Besten. Das gilt erst recht für die nachwachsende Generation, wie jetzt eine Studie der Hochschule Fulda und der Krankenkasse Barmer deutlich machte. Mehr als 60 Prozent der befragten Jugendlichen informieren sich über Youtube, Messengerdienste oder in den sozialen Medien. Hier ist die Gefahr besonders groß, dass man nur einseitig informiert wird, weil oft nur Spektakuläres geteilt wird, sachliche Information verloren geht. Bei Gesundheitsportalen oder öffentlichen Stellen informieren sich jeweils nur 2,1 Prozent. Zudem bescheinigt sich der Umfrage zufolge die Hälfte aller Schüler zwischen neun und 18 Jahren selbst eine mangelhafte digitale Gesundheitskompetenz.

Ebenfalls nicht überraschend sind die Ergebnisse einer britischen Metastudie, nach der die Übernahme von medizinischen Versorgungseinrichtungen durch Private-Equity-Gesellschaften überwiegend zu höheren Kosten für Patienten und Kostenträger führt. Zudem stellten die Forscher fest, dass in 21 Studien negative Effekte auf die Qualität zu verzeichnen waren – gegenüber zwölf Studien, in denen positive Auswirkungen festgestellt wurden. Das Wissen sollte die politische Diskussion um Private-Equity-Investitionen sensibilisieren, auch wenn die Studie Deutschland nicht einbezogen hat.

Zu guter Letzt gibt es Wissen, das seit 20 Jahren diskutiert wird und erst jetzt im politischen Prozess angekommen ist. 2003 las man im Deutschen Ärzteblatt: „Erste Erfahrungen mit dem neuen Entgeltsystem für die Krankenhäuser stützen die These, dass die Abrechnung nach Fallpauschalen zwar die Liegezeiten verkürzt, aber nicht die Kosten senkt. Offenbar setzt die Pauschalvergütung in den Krankenhäusern Anreize, die Patienten schneller durchzuschleusen und sie dafür mehrmals einzubestellen.“ Wissen ist Macht, heißt es landläufig. Zieht man aber nicht die richtigen Schlussfolgerungen, nützt das auch nichts.

Michael Schmedt
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