ArchivDeutsches Ärzteblatt33-34/2023Adipositastherapie: Erstmals ein wirksames Abnehmmedikament

MEDIZINREPORT

Adipositastherapie: Erstmals ein wirksames Abnehmmedikament

Eckert, Nadine

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Zahlreiche Misserfolge ließen daran zweifeln, dass jemals ein Medikament gefunden werden wird, das adipösen Menschen beim Abnehmen hilft. Die neuen, auf körpereigenen Darmhormonen basierenden Präparate gelten deshalb als Paradigmenwechsel in der Adipositastherapie.

Foto: high_resolution/stock.adobe.com
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Seit Ende Juli ist es nun auch in Deutschland so weit: Erstmals kann Patientinnen und Patienten mit Adipositas eine medikamentöse Therapie verordnet werden, die das Körpergewicht wirksam reduziert. Zugelassen ist der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid (Wegovy, Novo Nordisk) für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 oder ≥ 27 kg/m2, wenn eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung vorliegt, etwa ein Typ-2-Diabetes, eine Hypertonie oder eine kardiovaskuläre Erkrankung. Als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität erzielte diese Patientengruppe mit Semaglutid Gewichtsreduktionen von bis zu 15 % (1). Aber selbst dieser beeindruckende Effekt könnte nur die Spitze des Eisbergs sein: Polyagonisten, die mehrere Magen-Darm-Hormone nachahmen, könnten Adipösen künftig helfen, ein völlig normales Körpergewicht zu erreichen.

Agonisten des auch natürlicherweise im Darm gebildeten Peptidhormons GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) sind nicht neu. Semaglutid und andere Vertreter der Wirkstoffklasse werden seit Jahren in der Diabetestherapie eingesetzt, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Die gleichzeitig zu beobachtende Gewichtsabnahme war zunächst eher Nebeneffekt, der aber nicht lange unbeachtet blieb. 2021 zeigte die STEP-1-Studie, dass Semaglutid auch Menschen ohne Diabetes beim Abnehmen hilft (1). Kurz darauf erweiterte die US-Zulassungsbehörde FDA die Indikation des Diabetesmedikaments Semaglutid (Ozempic, Novo Nordisk) um die Adipositastherapie. Seit Juni 2021 ist es unter dem Handelsnamen Wegovy in erhöhter Dosis (2,4 mg Semaglutid) zugelassen. Im Januar 2022 folgte die Zulassung auch in Europa. Die hohe Nachfrage, angefeuert auch durch medial wirksame Abnehmerfolge von US-Tech-Milliardär Elon Musk, führte allerdings zu Lieferengpässen, sodass Wegovy auf dem europäischen Markt lange nicht erhältlich war. Das Diabetesmedikament Ozempic dagegen schon. „Schon vor der Markteinführung von Wegovy hat die Nachfrage nach Semaglutid spürbar zugenommen“, berichtet Prof. Dr. med. Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. „Und obwohl es für die Adipositastherapie off-label war, ist dann häufig Ozempic verschrieben worden.“

Da geht noch mehr

Doch GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die zu einer Gewichtsreduktion um die 15 % führen, sehen Fachleute nur als Anfang dessen, was künftig noch möglich sein könnte. „Die Aufnahme von ausreichend Nahrung, das Speichern von Energie, das sind für das Überleben so wichtige biologische Prozesse, dass es redundante Systeme gibt, die dies sicherstellen“, erklärt Prof. Dr. med. Dr. h. c. Matthias Tschöp. „Will man daran etwas regulieren, muss man an mehr als einem System angreifen.“

Der Münchner Neuroendokrinologe und wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz Zentrum München legte Anfang des neuen Jahrtausends die Grundlagen für die Entwicklung von Agonisten, die nicht nur einen, sondern 2 oder gar 3 Rezeptoren aktivieren. Zusammen mit dem US-Chemiker Prof. Richard DiMarchi von der Indiana University in Bloomington entwickelte er die ersten dualen Agonisten, die nicht nur GLP-1-, sondern auch Glukagon- oder GIP- (glukoseabhängiges insulinotropes Peptid-)Rezeptoren aktivierten. Was sich mit solchen dualen Agonisten erreichen lässt, zeigte sich im Mäusemodell rasch: „Adipöse Tiere konnten damit bis zu 30 % ihres Körpergewichts abnehmen. Zudem verbesserten sich ihre Insulinwerte und ihre Glukosetoleranz“, berichtet Tschöp (2).

Dass sich dies auch auf den Menschen übertragen lässt, ist mittlerweile bewiesen. Im vergangenen Jahr berichteten Forschende um Prof. Ania M. Jastreboff von der Yale University School of Medicine, New Haven, USA, dass mit dem dualen Agonisten Tirzepatid Gewichtsreduktionen ≥ 20 % möglich sind (3). Eingeschlossen worden waren in die Phase-3-Studie SURMOUNT-1 Erwachsene mit einem BMI ≥ 30 oder ≥ 27 kg/m², wenn zusätzlich eine gewichtsbedingte Komplikation vorlag. Diabetiker waren ausgeschlossen, diese wurden in einer gesonderten Studie untersucht (4). Die 2 539 adipösen oder übergewichtigen Studienteilnehmenden erhielten 72 Wochen lang einmal wöchentlich Tirzepatid subkutan in einer Dosierung von 5, 10 oder 15 mg oder ein Placebo. Über die ersten 20 Wochen wurde die Dosis auftitriert. Die Patienten nahmen in Abhängigkeit von der Dosis zwischen 16 und 22,5 % an Körpergewicht ab. In der Placebogruppe war der Gewichtsverlust mit 3,1 % signifikant geringer als bei allen 3 Tirzepatid-Dosen. In einer kurze Zeit später veröffentlichten Pressemitteilung berichtete Hersteller Eli Lilly von Gewichtsreduktionen mit Tirzepatid von im Schnitt etwa 26 % in den beiden Phase-3-Studien SURMOUNT-3 und -4 (5). Anders als bei dem GLP-1-Agonisten Semaglutid gibt es noch keine Zulassung für die bloße Adipositas, bislang ist Tirzepatid unter dem Handelsnamen Mounjaro (Eli Lilly) seit September 2022 für die Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen.

Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte aber auch, dass mit einem Triagonisten, der alle 3 Darmhormone enthält, wahrscheinlich noch mehr erreicht werden kann: In einer Phase-2-Studie wurde eine ähnliche Studienpopulation – adipös oder übergewichtig mit Zusatzkomplikation – über 12 Monate mit verschiedenen Dosen des Triagonisten Retatrutid behandelt. Ergebnis: Ein dosisabhängiger Gewichtsverlust von 8,7–24,2 % (6). „Retatrutid befindet sich jetzt in Phase 3 und wird wahrscheinlich in Zukunft das effektivste Mittel zur Adipositasbehandlung sein“, prognostiziert Tschöp.

Normales Gewicht erreichbar

„Natürlich sind das noch frühe Daten – aber die Ergebnisse sind sehr vielversprechend“, bestätigt Aberle, der am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf den Bereich Endokrinologie und Diabetologie sowie das Adipositas-Centrum leitet. Wenn sich Wirksamkeit und Sicherheit in weiteren Studien bestätigen, ließe sich mit diesen Substanzen bei den meisten Menschen das Therapieziel einer Adipositastherapie erreichen. „Das sind Gewichtsreduktionen, von denen man bis vor einigen Jahren nicht geglaubt hätte, dass sie durch Medikamente möglich wären“, sagt Aberle.

Aber was hat sich seither geändert? Nach einem Medikament, mit dem Adipositas effektiv bekämpft werden kann, sucht die Wissenschaft schon lange – und ebenso lange ohne Erfolg. „Was fehlte, war die Erkenntnis, dass Adipositas eine Hirnkrankheit ist“, erklärt Tschöp. Erste Hinweise darauf lieferte erst die Entdeckung der für Hunger und Sättigung verantwortlichen Hormone Ghrelin und Leptin, die ihre Wirkung im Gehirn entfalten. Später deuteten auch die Ergebnisse von Genomsequenzierungsstudien in diese Richtung: „So gut wie alle Gene, die beim Menschen mit Adipositas in Zusammenhang gebracht wurden, hatten eine Funktion im Gehirn“, so Tschöp.

„Es war klar, wenn wir ein Medikament gegen Adipositas entwickeln wollen, dann müssen wir das Gehirn als Ziel einplanen“, erzählt Tschöp. Leichter gesagt als getan: Wann immer die Forschenden versuchten, an bestimmten Zielstrukturen im Gehirn anzugreifen, wurden immer auch Prozesse beeinflusst, die man nicht beeinflussen wollte. Unerwünschte Wirkungen waren die Folge. Besonders deutlich wurde dies bei der (versuchten) Einführung von Rimonabant (Acomplia, Sanofi Aventis), einem Antagonisten des Cannabinoidrezeptors, der aufgrund von Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden musste. Hintergrund war ein im Vergleich mit Placebo doppelt so hohes Risiko für psychiatrische Nebenwirkungen, wie Depression, Schlafstörungen, Angst und Aggression. Außerdem stieg die Zahl an Fällen, die den Zusammenhang mit psychiatrischen Störungen bis hin zum Suizid bestätigten (7).

„Diese hohe Präzision, die man braucht, um im Gehirn ohne Nebenwirkungen bestimmte Prozesse zu beeinflussen, kann nur erreicht werden, wenn man sich auf die natürlichen Signalwege des Körpers verlässt“, berichtet Tschöp. Die Peptidhormone GLP-1, GIP und Glukagon, die aus dem Magen-Darm-Trakt kommend im Gehirn wirken und dort den Stoffwechsel einstellen, erwiesen sich dafür als ideal. Hinweise darauf gab den Forschenden auch die bis vor Kurzem einzige wirksame Behandlungsmethode der Adipositas, die bariatrische Chirurgie. Denn: Schon wenige Tage nach dem Eingriff treten beeindruckende Verbesserungen des Glukosestoffwechsels ein, obwohl noch kein großer Gewichtsverlust stattgefunden hat. „Offenbar kommt es durch den Umbau von Magen und Darm zu einer Neueinstellung neuroendokriner Netzwerke, was dazu führt, dass andere Signalmuster im Gehirn ankommen“, so Tschöp. „Wir haben versucht, Wirkstoffe zu designen, die das nachahmen.“ Und mit Gewichtsreduktionen von 20–30 % scheinen Tripleagonisten – glaubt man den frühen Daten – tatsächlich ohne Weiteres an den Erfolg von bariatrischen Eingriffen anknüpfen zu können.

Machtposition im Energiestoffwechsel: Glucagon-like- Peptide-1 (GLP-1, blau), glukoseabhängiges insulinotropes Peptid (GIP, grün) sowie Glukagon (rot) wirken in zahlreichen Organen, richtig kombiniert fördern sie die Gewichtsabnahme.
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Machtposition im Energiestoffwechsel: Glucagon-like- Peptide-1 (GLP-1, blau), glukoseabhängiges insulinotropes Peptid (GIP, grün) sowie Glukagon (rot) wirken in zahlreichen Organen, richtig kombiniert fördern sie die Gewichtsabnahme.

Moleküldesign ist eine Kunst

Das Design der Polyagonisten sei allerdings keineswegs trivial gewesen – ebenso Kunst wie Wissenschaft, wie Tschöp berichtet. Die natürlichen Hormone lassen sich nicht verwenden: „GLP-1, GIP und Glukagon haben eine sehr kurze Halbwertszeit von 1–2 Minuten. Würde man sie einfach nachbauen und injizieren, würde nicht viel passieren“, sagt er.

Die Forschenden standen vor der Aufgabe, Peptide zu entwickeln, die länger wirken als ihre natürlichen Vorbilder, in ausreichender Menge ins Gehirn gelangen und dort nur die gewünschten Rezeptoren aktivieren. Selbst in welchem Mengenverhältnis die Darmhormone enthalten sind, beeinflusst die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikamente. Gleichzeitig darf kein Molekül erzeugt werden, dass sich so sehr von den körpereigenen Hormonen unterscheidet, dass der Körper anfängt, Antikörper dagegen zu bilden – oder noch schlimmer, dadurch dann auch die körpereigenen Hormone angreift. „Man muss trotz all dieser Vorgaben sehr sparsam sein im Austauschen von Aminosäuren“, erklärt Tschöp.

Das optimale Design der Wirkstoffe ist für ihre Effektivität entscheidend, beeinflusst aber auch die Verträglichkeit. „GLP-1-RezeptorAgonisten haben ein über die gesamte Substanzklasse hinweg relativ ähnliches Nebenwirkungsprofil: Gastrointestinale Nebenwirkungen, speziell Übelkeit und Erbrechen, sind häufig; die meisten Patienten haben damit zu tun“, berichtet Aberle. Bei den meisten Patienten, aber nicht allen, gingen diese Nebenwirkungen nach 6–8 Wochen vorüber, ergänzt er. Ein langsames Auftitrieren der Dosis über mehrere Monate könne das Risiko für Übelkeit und Erbrechen reduzieren.

„Diese unerwünschten Effekte hängen mit dem GLP-1-Rezeptor zusammen, der auf Neuronen lokalisiert ist, die an der Entstehung von Übelkeit und Erbrechen beteiligt sind“, erklärt Tschöp. GIP dagegen habe diese Nebenwirkungen nicht. Seine Rezeptoren seien auf Neuronen zu finden, die ganz im Gegenteil Gegeneffekte aktivierten, die die Übelkeit und Erbrechen verursachende Wirkung von GLP-1 abschwächten. Für Tschöp ist das ein weiteres Beispiel der „genialen Synergieeffekte“ von Polyagonisten wie Tirzepatid. In dem dualen Agonisten sind GIP und GLP-1 im Verhältnis 5:1 enthalten. Bei der Gabe von Tirzepatid führt die Aktivierung des GLP-1-Rezeptors nicht zu so vielen Nebenwirkungen wie bei der Gabe eines Monoagonisten, da GIP dagegen reguliert. „Das therapeutische Fenster wird weiter. Dadurch, dass weniger Nebenwirkungen auftreten, kann man höher dosieren und so bessere Effekte erreichen“, sagt Tschöp. Tatsächlich zeigten sich in den Phase-3-Studien zu Tirzepatid vergleichbare Nebenwirkungsprofile wie bei den GLP-1-Mono-Agonisten – bei signifikant höherer Wirksamkeit. „So haben wir erstmals in der Menschheitsgeschichte Medikamente, die es ermöglichen, 20–25 % Gewicht abzubauen und bei Adipositas eine Normalisierung des Gewichts zu erreichen“, so Tschöp.

Reines Selbstzahlerpräparat

Dennoch stoßen die neuen Medikamente auch bei Menschen mit weit weniger gravierendem Übergewicht auf großes Interesse – auch wenn sie nicht für Menschen gedacht sind, die nur ein paar Kilo verlieren wollen, bevor es in den Strandurlaub geht. „Zwar wirken sie bei allen, aber interessanterweise – die Gründe sind noch unklar – besser, je höher das Körperfett ist. Sie sind also ideal für diejenigen, die sie wirklich brauchen“, betont Tschöp.

Aber werden diejenigen, die sie wirklich brauchen, auch diejenigen sein, die sie bekommen werden? Eines scheint klar: Die Krankenkassen werden die Behandlungskosten nicht übernehmen. „Die Adipositas zu behandeln wäre viel billiger als die Milliarden, die weltweit jedes Jahr für die Konsequenzen der Adipositas, den Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen ausgegeben werden“, betont Tschöp. Doch obwohl die Adipositas in Fachkreisen längst als Krankheit anerkannt ist, gilt ihre Behandlung in der deutschen Gesetzgebung noch immer als Maßnahme, bei der „die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht“. § 34 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs stellt Medikamente zur Regulierung des Körpergewichts noch immer auf eine Stufe mit Arzneimitteln zur Steigerung der sexuellen Potenz und zur Verbesserung des Haarwuchses.

Als Apothekenabgabepreis für das nun in Deutschland erhältliche Semaglutid-Präparat Wegovy nannte Novo Nordisk rund 300 Euro für eine 4-Wochen-Ration. Dass es sich bei Wegovy um ein „reines Selbstzahlerpräparat“ handeln wird, wird auch kritisch gesehen. Für Aberle ist dies auch „ein Ausdruck der allgegenwärtigen Stigmatisierung der Betroffenen“. Neuen Wind in die Diskussion um die Erstattungsfähigkeit könnten die Ergebnisse der kardiovaskulären Endpunktstudie SELECT bringen: Semaglutid kann bei adipösen Menschen offenbar nicht nur das Körpergewicht signifikant senken. In der randomisierten Studie kam es im Vergleich zu Placebo auch zu einem Rückgang kardiovaskulärer Ereignisse, wie der Hersteller Novo Nordisk jüngst bekannt gab (8).

An der weltweiten Studie nahmen 17 604 Erwachsene ab 45 Jahren mit einem BMI von 27 kg/m2 oder höher teil. Alle hatten bereits ein Herz-Kreislauf-Ereignis erlitten, etwa einen Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall oder sie litten an einer symptomatischen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Die Teilnehmenden hatten keinen Typ-2-Diabetes. Primärer Endpunkt war ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis (MACE), definiert als Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod. Wie der Hersteller mitteilt, war das MACE-Risiko unter der wöchentlichen Gabe von Semaglutid 2,4 mg 20 % geringer als unter Placebo. Dieser Vorteil traf bei allen MACE zu. Sicherheit und Verträglichkeit entsprachen den Erfahrungen aus früheren Studien mit 2,4-mg-Semaglutid-Injektionen.

Meist lebenslange Therapie

„Das ist ein in der Adipositasmedizin hochrelevantes Ergebnis, welches bisher durch keine zur primären Gewichtsreduktion zugelassenen Therapie demonstriert werden konnte“, kommentiert Adipositasexperte Aberle. „Sobald die gesamten Studiendaten vorliegen – einschließlich der Nebenwirkungen – wird schnell die Frage zu klären sein, ob man Menschen, die dem untersuchten Kollektiv entsprechen, diese Medikation vorenthalten kann oder eine Kostenübernahme in diesem Falle erfolgen muss.“ Dies gilt insbesondere, da meist von der Notwendigkeit einer Dauertherapie auszugehen ist. „Das sind sehr effektive Medikamente, aber wenn man sie absetzt, steigt das Körpergewicht bei vielen Patienten wieder an“, betont er.

Und auch Tschöp stellt klar: „Das ist kein Heilmittel, diese Patienten sind sozusagen im Gehirn noch adipös, nur das Körpergewicht ist eingestellt. Es ist wie beim Bluthochdruck, wenn man den Betablocker weglässt, steigt der Blutdruck wieder an“, erklärt er. Er hofft, dass „irgendwann auch die Versicherungen an Bord sein werden“ und dass der Markt regulierend eingreifen wird. „Nachdem wir unsere Entdeckungen damals publiziert haben, haben zahlreiche Pharmaunternehmen angefangen, die Moleküle nachzubauen. In Zukunft wird es 15 oder 20 solcher Medikamente geben.“ Durch den Wettbewerb könnte künftig der Preis sinken – und möglicherweise auch die Versorgungslage verbessert werden. Denn auch wenn Semaglutid nun in Deutschland bei Adipositas verordnet werden kann, Lieferengpässe bleiben wahrscheinlich bestehen, nicht nur für Wegovy, sondern auch für Ozempic. Nadine Eckert

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3323
oder über QR-Code.

Abnehmpille statt Spritze

Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid, aber auch die neuen dualen und Tripleagonisten müssen einmal die Woche subkutan in den Bauch, den Oberschenkel oder den Oberarm injiziert werden. Bei den Patienten ist dies nicht die beliebteste Applikationsmethode. Aber orale Optionen stehen in den Startlöchern und zeigen in Phase-2-Studien eine Effektivität, die sich hinter den Spritzen nicht verstecken muss.

Eine Gewichtsreduktion um 15 % wurde jüngst für eine Semaglutid-Tablette berichtet (9). Um die Einnahme in Tablettenform zu ermöglichen, enthält die orale Formulierung von Semaglutid den Absorptionsverstärker Salcaprozat-Natrium. Er schützt Semaglutid vor der Proteolyse im Magen-Darm-Trakt und fördert die Aufnahme über das Darmepithel ins Blut. Trotzdem geht die orale Formulierung mit einigen Nachteilen einher: Die Semaglutid-Tabletten müssen im nüchternen Zustand eingenommen werden und auch nach der Einnahme darf mindesten 30 Minuten lang nicht gegessen oder getrunken werden, selbst die Einnahme anderer Medikamente ist tabu.

Einfacher einzunehmen könnten künftig GLP-1-Agonisten sein, die keine Peptide sind. Verschiedene Pharmaunternehmen entwickeln Small Molecules, die von der biochemischen Struktur her in der Lage sind, den GLP-1-Rezeptor zu aktivieren. Diese Moleküle haben den Vorteil, auch mit Nahrung eingenommen werden zu können. In einer Phase-2-Studie konnten adipöse Patienten mit dem Nicht-Peptid-GLP-1-Rezeptor-Agonist Orforglipron ebenfalls fast 15 % ihres Körpergewichts abnehmen (10).

1.
Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, et al.: Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. N Engl J Med 2021; 384: 989–1002 CrossRef MEDLINE
2.
Day JW, Ottaway N, Patterson JT, et al.: A new glucagon and GLP-1 co-agonist eliminates obesity in rodents. Nat Chem Biol 2009; 5 (10): 749–57 CrossRef MEDLINE
3.
Jastreboff AM, Aronne LJ, Ahmad NN, et al.: Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med 2022; 387: 205–16 CrossRef MEDLINE
4.
Rosenstock J, Wysham C, Frías JP, et al.: Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2021; 398 (10295): 143–55 CrossRefMEDLINE
5.
Lilly: Pressemitteilung „Tirzepatide demonstrated significant and superior weight loss compared to placebo in two pivotal studies“ vom 27. Juli 2023. https://investor.lilly.com/news-releases/news-release-details/tirzepatide-demonstrated-significant-and-superior-weight-loss (last accessed on 7 August 2023).
6.
Jastreboff AM, Kaplan LM, Frías JP, et al.: Triple-Hormone-Receptor Agonist Retatrutide for Obesity – A Phase 2 Trial. N Engl J Med 2023; DOI: 10.1056/NEJMoa2301972 CrossRef MEDLINE
7.
Zylka-Menhorn V: Rimonabant vom Markt genommen. Dtsch Arztebl 2008; 105 (44): A-2300/B-1968/C-1916 VOLLTEXT
8.
Pressemitteilung von Novo Nordisk, 8. August 2023. https://www.novonordisk.com/news-and-media/news-and-ir-materials/news-details.html?id=166301 (last accessed on 11 August 2023).
9.
Knop FK, Aroda VR, do Vale RD, et al.: Oral semaglutide 50 mg taken once per day in adults with overweight or obesity (OASIS 1): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 23 June 2023; DOI: 10.1016/S0140–6736(23)01185– CrossRef MEDLINE
10.
Wharton S, Blevins T, Connery L, et al.: Daily Oral GLP-1 Receptor Agonist Orforglipron for Adults with Obesity. N Engl J Med 23 June 2023; DOI: 10.1056/NEJMoa2302392 CrossRef MEDLINE
11.
Brandt SJ, Müller TD, DiMarchi RD, et al.: Peptide-based multi-agonists: a new paradigm in metabolic pharmacology. J Intern Med 2018; 284 (6): 581–602 CrossRef MEDLINE
Machtposition im Energiestoffwechsel: Glucagon-like- Peptide-1 (GLP-1, blau), glukoseabhängiges insulinotropes Peptid (GIP, grün) sowie Glukagon (rot) wirken in zahlreichen Organen, richtig kombiniert fördern sie die Gewichtsabnahme.
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Machtposition im Energiestoffwechsel: Glucagon-like- Peptide-1 (GLP-1, blau), glukoseabhängiges insulinotropes Peptid (GIP, grün) sowie Glukagon (rot) wirken in zahlreichen Organen, richtig kombiniert fördern sie die Gewichtsabnahme.
1. Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, et al.: Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. N Engl J Med 2021; 384: 989–1002 CrossRef MEDLINE
2. Day JW, Ottaway N, Patterson JT, et al.: A new glucagon and GLP-1 co-agonist eliminates obesity in rodents. Nat Chem Biol 2009; 5 (10): 749–57 CrossRef MEDLINE
3. Jastreboff AM, Aronne LJ, Ahmad NN, et al.: Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med 2022; 387: 205–16 CrossRef MEDLINE
4. Rosenstock J, Wysham C, Frías JP, et al.: Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2021; 398 (10295): 143–55 CrossRefMEDLINE
5. Lilly: Pressemitteilung „Tirzepatide demonstrated significant and superior weight loss compared to placebo in two pivotal studies“ vom 27. Juli 2023. https://investor.lilly.com/news-releases/news-release-details/tirzepatide-demonstrated-significant-and-superior-weight-loss (last accessed on 7 August 2023).
6. Jastreboff AM, Kaplan LM, Frías JP, et al.: Triple-Hormone-Receptor Agonist Retatrutide for Obesity – A Phase 2 Trial. N Engl J Med 2023; DOI: 10.1056/NEJMoa2301972 CrossRef MEDLINE
7. Zylka-Menhorn V: Rimonabant vom Markt genommen. Dtsch Arztebl 2008; 105 (44): A-2300/B-1968/C-1916 VOLLTEXT
8.Pressemitteilung von Novo Nordisk, 8. August 2023. https://www.novonordisk.com/news-and-media/news-and-ir-materials/news-details.html?id=166301 (last accessed on 11 August 2023).
9. Knop FK, Aroda VR, do Vale RD, et al.: Oral semaglutide 50 mg taken once per day in adults with overweight or obesity (OASIS 1): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 23 June 2023; DOI: 10.1016/S0140–6736(23)01185– CrossRef MEDLINE
10. Wharton S, Blevins T, Connery L, et al.: Daily Oral GLP-1 Receptor Agonist Orforglipron for Adults with Obesity. N Engl J Med 23 June 2023; DOI: 10.1056/NEJMoa2302392 CrossRef MEDLINE
11.Brandt SJ, Müller TD, DiMarchi RD, et al.: Peptide-based multi-agonists: a new paradigm in metabolic pharmacology. J Intern Med 2018; 284 (6): 581–602 CrossRef MEDLINE

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