ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2023Blutspende: Diskurs um neue Regeln

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Blutspende: Diskurs um neue Regeln

Richter-Kuhlmann, Eva

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Foto: Marina Krisenko/iStock
Foto: Marina Krisenko/iStock

Die novellierte Blutspende-Richtlinie der Bundesärztekammer soll die Sicherheit von Blutprodukten gewährleisten – ohne Spendewillige zu diskriminieren. Einige sehen das Vorhaben als gescheitert an.

Bereits in der Vergangenheit vermischte sich häufig die medizinisch-wissenschaftliche Diskussion um die Zulassungskriterien zur Blutspende mit gesellschaftspolitischen Fragen. Auch bei der gerade novellierten und Anfang September bekannt gegebenen Hämotherapie-Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) ist das wieder der Fall: Kritik kommt beispielsweise vom Lesben- und Schwulenverband sowie von der Deutschen Aidshilfe. „Zum wiederholten Mal hat die BÄK eine inakzeptable Regelung vorgelegt“, moniert Letztere mit Verweis auf die neu formulierten Zulassungskriterien. Das Ziel der Ampelkoalition, der Diskriminierung schwuler Männer und Transmenschen ein Ende zu setzen, sei gescheitert. Die neuen Regeln würden diese weiterhin ausschließen, ohne es jedoch klar zu benennen.

Die Diskriminierungsvorwürfe weist die BÄK vehement zurück. Aus ihrer Sicht ist die Richtlinie diskriminierungsfrei hinsichtlich sexueller Orientierung und Geschlecht – zumal die Anpassung der Richtlinie an die seit Mai dieses Jahres geltenden gesetzlichen Vorgaben, nach denen diese Punkte nicht mehr bei der Risikobewertung berücksichtigt werden dürfen, ein wesentlicher Anlass für die Überarbeitung war. „Die neue Richtlinie stellt nicht mehr auf die sexuelle Orientierung oder die sexuelle Identität ab“, verdeutlicht Prof. Dr. med. Johannes Oldenburg, Federführender des Ständigen Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie“. Um festzustellen, ob eine spendewillige Person zur Blutspende zugelassen werden könne, werde nur nach der Anzahl der Sexualpartner und der Sexualpraxis gefragt, erläutert er dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). Ausschlaggebend seien unter anderem aufgrund des diagnostischen Fensters die letzten vier Monate. Hätte eine Person innerhalb dieses Zeitraums sexuelles Risikoverhalten praktiziert, werde sie zudem nicht von der Blutspende ausgeschlossen, sondern lediglich zeitlich befristet für vier Monate zurückgestellt. So soll eine unbemerkte Übertragung von Infektionen auch mit Blick auf sexuell übertragbare neue Erreger oder Erregervarianten vermieden werden.

Fachliche Fehler vermutet

Der Berliner Queer-Beauftragte Alfonso Pantisano sieht darin jedoch eine Diskriminierung und auch der Lesben- und Schwulenverband meint, dass die Neuregelung zur Stigmatisierung von gleichgeschlechtlichem Sex zwischen Männern beitrage. Die Aidshilfe hält insbesondere die Regelung für Analverkehr für fachlich falsch – die Sexualpraktik an sich sei kein Risiko, meint sie. Tatsächlich wird gemäß der neuen Richtlinie jede spendewillige Person neben der Zahl der Sexualpartner auch explizit nach Analverkehr in den letzten vier Monaten gefragt. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Analverkehr mit einem 100-fach erhöhten Risiko für die Übertragung einer Infektionserkrankung verbunden ist“, erläutert Oldenburg dem . Die Datenlage sei von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretungen des Bundesgesundheitsministeriums, des Robert Koch-Instituts, des Paul-Ehrlich-Instituts und der BÄK im Mai 2021 gesichtet worden. Sie sei weiterhin aktuell. „An der Frage nach Analverkehr als sexuellem Risikoverhalten kommt man also nicht vorbei, wenn es um die Sicherheit von Blut und den daraus hergestellten Blutprodukten geht“, so Oldenburg.

Generell hat diese für alle an der Erstellung der Richtlinie Beteiligten höchste Priorität. „Der Skandal um mit HIV kontaminierte Blutprodukte und die Infektion von 1 500 Hämophilie-Patienten mit HIV in den 1980er-Jahren, von denen viele mittlerweile an der Erkrankung gestorben sind, ist unvergessen“, sagt Oldenburg. Die Frage der Zulassung zur Blutspende stelle eine Risikostratifizierung auf der Basis der jeweils aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen und epidemiologischen Daten dar. „Diese Risikostratifizierung musste nach der Neufassung des Transfusionsgesetzes (TFG) modifiziert werden, um auch künftig die Sicherheit der Blutprodukte sicherzustellen. Hierbei ist gemäß TFG die BÄK dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft und Technik verpflichtet.“

Ausdrücklich begrüßten die BÄK und ihr Wissenschaftlicher Beirat, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die erreichte hohe Sicherheit von Blut und Blutprodukten in Deutschland weiterhin unverändert gewährleistet werden soll, so Oldenburg. Dokumentiert sei diese unter anderem in den Hämovigilanzberichten des Paul-Ehrlich-Instituts. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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