POLITIK
Regierungspolitik: Durchwachsene Halbzeitbilanz
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Zum Start der zweiten Halbzeit der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP lohnt sich ein Blick in den Koalitionsvertrag von vor zwei Jahren: Was ist umgesetzt, was wird bearbeitet, was fehlt? Die Redaktion hat sich die Passagen zur Gesundheits- und Pflegepolitik genau angesehen.
Am Anfang standen Euphorie und viele große Hoffnungen: Die erste Ampelkoalition auf Bundesebene hat sich im November 2021 in ihrem Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Doch seit den nächtlichen Verhandlungen über die 179 Seiten ist das Koalitionsklima rauer geworden, die Rahmenbedingungen haben sich verändert: die Normalisierung in der Pandemie, der Ukraine-Krieg, die hohe Inflation. Die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht mehr so üppig gefüllt, die Steuermittel im Bundeshaushalt sprudeln weniger als beim Start der Koalition. Viele Pläne und Vorhaben in der Gesundheitspolitik werden inzwischen verschoben, sind bislang nicht gestartet oder werden verschwiegen. Das Versprechen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei seiner Nominierung, es werde keine Leistungskürzungen in der medizinischen Versorgung geben, hält er zwar noch durch – allerdings mit dem zunehmenden Problem, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Pflegeversicherung gestiegen sind und noch steigen können. Mit Blick auf die vielen bevorstehenden Reformen und Gesetze wird es eine komplizierte zweite Halbzeit.
Alkohol- und Nikotinprävention
Verstärkte Aufklärung und die Verschärfung der Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol und Nikotin sollte für eine bessere Prävention sorgen – dazu wurde bislang nichts umgesetzt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) klärt in Bezug auf Alkohol- und Nikotinprävention auf. In den vergangenen beiden Jahren wurden hierfür zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt. Mit dem Cannabisgesetz sollen zudem die Regelungen des Bundesnichtraucherschutzgesetzes ausgeweitet werden. Maßnahmen oder Vorschläge wurden nicht vorgelegt.
Arzneimittelversorgung
Laut Koalitionsvertrag sollten Engpässe in der Arzneimittelversorgung bekämpft werden – unter anderem mit Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln nach Deutschland oder in die EU zurückzuverlagern. Mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz wurden Anpassungen im Bereich der Festbeträge, Rabattverträge sowie der Medikamentenproduktion vorgenommen. http://daebl.de/AD91
Ärztliche Approbationsordnung
Eine Reform der Ärztlichen Approbationsordnung ist schon seit 2017 angekündet. Dem aktuellen Koalitionsvertrag zufolge soll sie auf mehr „Digitalisierung, Ambulantisierung, Spezialisierung, Individualisierung und berufsgruppenübergreifende Kooperation“ ausgerichtet sein. Ein entsprechender Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) liegt vor und wurde zur Kommentierung an Bundesländer, Verbände und Organisationen weitergegeben. Wenn das parlamentarische Verfahren zügig verläuft, könnte die neue Approbationsordnung 2027 in Kraft treten. Inhaltlich basiert der Entwurf auf dem „Masterplan Medizinstudium 2020“, auf den sich Bund und Länder 2017 geeinigt hatten, Finanzfragen blieben dabei aber ungeklärt. Der jetzt aktualisierte Referentenentwurf setzt deutlich auf eine Kostenreduktion, stärkt die Ausbildung bei Digitalisierung, Ambulantisierung, Spezialisierung, Individualisierung und berufsgruppenübergreifende Kooperation. http://daebl.de/AT71
Berufsgesetze der Gesundheitsfachberufe
Harmonisierte Ausbildungen und bundeseinheitliche Berufsgesetze wurden angekündigt. Die Ausbildungen der Berufe in der medizinischen Technologie zeitgemäß attraktiv auszurichten und zukunftsorientiert weiterzuentwickeln ist auch das Ziel des „Gesetzes über die Berufe in der medizinischen Technologie“ (MT-Berufe-Gesetz – MTBG), das zum Januar 2023 in Kraft getreten ist. Es sei ein erster Baustein der Umsetzung des „Gesamtkonzepts Gesundheitsfachberufe“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Die vier Berufe in der medizinischen Technologie (Laboratoriumsanalytik, Radiologie, Funktionsdiagnostik und Veterinärmedizin) würden dadurch reformiert und gestärkt. http://daebl.de/KH92
Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit
Laut Koalitionsvertrag ist ein neues Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit vorgesehen, das beim BMG angesiedelt werden soll. Darin soll die BzgA aufgehen. Die Umsetzung steht noch aus, erste Vorstellungen sollen offenbar im Herbst 2023 kommen. Unklar bleibt, wie es mit der Gesundheitskommunikation des Bundes weitergeht. http://daebl.de/YZ87
Bürokratie
Gesetzliche Vorgaben und weitere Normen sollten mit Blick auf überholte Dokumentationspflichten überprüft und dann mit einem Bürokratieabbaupaket identifizierte Hürden für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten abgebaut werden. Der Arbeitsfortschritt im BMG beschränkt sich bislang auf die Ankündigung der Vorlage von entsprechenden Empfehlungen. http://daebl.de/PV48
Cannabislegalisierung
Eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften sollte kontrollierte Qualität bieten, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindern und den Jugendschutz gewährleisten. Mitte August 2023 beschloss das Bundeskabinett ein Cannabisgesetz, mit welchem zwar privater Eigenanbau sowie Anbau und Abgabe von Cannabis durch sogenannte „Cannabisclubs“ ermöglicht würde, flächendeckend spezielle Geschäfte sind jedoch nicht vorgesehen. Die parlamentarischen Beratungen sind von Beginn an begleitet von vielfältiger Kritik und Nachbesserungswünschen. http://daebl.de/TK53
Digitalisierung
Die Ampelkoalition hatte sich unter anderem vorgenommen, die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezeptes voranzutreiben. Entsprechendes ist im kürzlich vom Bundeskabinett beschlossenem Entwurf für ein Digital-Gesetz vorgesehen. Die Beratungen sollen in diesem Herbst abgeschlossen werden. Dann soll die ePA ab 2025 für alle gesetzlich Versicherten, die dem nicht widersprechen (Opt-out), bereitgestellt werden – das E-Rezept soll ab Anfang 2024 verpflichtend sein. Als erste Anwendung der ePA soll es eine digitale Medikationsübersicht geben. http://daebl.de/LG62
Drug-Checking
Die Bundesregierung hat wie angekündigt Modelle zum Drug-Checking als Maßnahme zur Schadensminimierung des Konsums illegaler psychoaktiver Substanzen eingeführt. Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz beziehungsweise Änderungen im Betäubungsmittelgesetz ermöglichten, dass in Berlin im August ein Modellvorhaben starten konnte. Ein Pilotprojekt lief auch in Thüringen. Bundesweit können nun alle Länder Modellvorhaben implementieren; auch in Drogenkonsumräumen. http://daebl.de/HT19
Eizellspende/Leihmutterschaft
„Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die (...) Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird“, heißt es im Koalitionsvertrag. Diese Kommission hat sich Ende März 2023 konstituiert und wurde vom Bundesfamilienministerium, dem BMG und dem Bundesjustizministerium gemeinsam eingesetzt. 18 Expertinnen und Experten aus der Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Rechtswissenschaften sollen einen Abschlussbericht im Frühjahr 2024 vorlegen. Ob der Plan des Koalitionsvertrags, Embryonenspenden im Vorkernstadium als „legal“ einzustufen sowie den „elektiven Single Embryo Transfer“ zuzulassen, umgesetzt wird, ist unklar. http://daebl.de/KW78
Entbudgetierung
„Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf“, so der Vertrag der Koalition. Dies ist bislang weder erfolgt noch liegen konkrete Vorschläge zur Umsetzung vor. Eine Entbudgetierung gab es aber im Versorgungsbereich der Kinder- und Jugendmedizin sowie eine Regelung zur extrabudgetären Vergütung von bestimmten Leistungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie. http://daebl.de/WK25
Entstigmatisierung
Im Koalitionsvertrag wurde eine bundesweite Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen angekündigt und befindet sich in der Umsetzung. In einem Förderschwerpunkt, den das BMG 2022 ausgeschrieben hat, wurden acht Vorhaben nach einer öffentlichen Bekanntmachung ausgewählt und bewilligt. Dieser hat ein Gesamtvolumen von 2,5 Millionen Euro. Die Projekte haben ihre Arbeit seit dem 1. August begonnen.
Forschungsdaten
„Den Zugang zu Forschungsdaten für öffentliche und private Forschung wollen wir mit einem Forschungsdatengesetz umfassend verbessern sowie vereinfachen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Mit dem vorgesehenen Forschungsdatengesetz (FDNG) will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Zugang zu Daten für die Wissenschaft verbessern und Rahmenbedingungen für die Weitergabe, Aufbewahrung und Sicherung gestalten. Dem Vernehmen nach ist das Ministerium mit der Erarbeitung des Gesetzes aber im Verzug. Im März und April hatte es eine öffentliche Konsultation durchgeführt, deren Ergebnisse in das Gesetz einfließen sollen. Mit einem Gesetzentwurf wird nicht vor Herbst gerechnet. Im August kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an, er wolle noch ein „Medizinforschungsgesetz“ vorlegen, das zu einer umfassenden Beschleunigung von Therapiestudien führen soll. http://daebl.de/SV56
G-BA-Reform
Das Gremium das Gemeinsamen Selbstverwaltung, in dem Krankenkassen, Ärztevertreter und Krankenhausvertreter unter der Leitung von drei Unparteiischen über die Versorgung der gesetzlich Versicherten beraten, soll um „weitere Mitsprachemöglichkeiten“ der Vertreterinnen und Vertreter der Patienten erweitert werden. Derzeit haben sie Mitberatungs-, aber keine Stimmrechte. Auch soll laut Koalitionsvertrag die Pflege sowie andere Gesundheitsfachberufe mitberaten können. Mit einer Reform sollen auch die „Entscheidungen beschleunigt“ werden. In dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), von dem derzeit erste Eckpunkte vorliegen, werden diese Vorhaben angekündigt. Auch sollen die Berufsorganisationen der Pflege bei ihrer Tätigkeit im Gremium finanziell unterstützt werden. Der G-BA soll weitere Fristvorgaben bekommen. http://daebl.de/HN49
Gendermedizin
„Die Gendermedizin wird Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden“, schrieb die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag. Der Referentenentwurf für die Reform des Medizinstudiums liegt bereits vor (siehe Ärztliche Approbationsordnung). Hier findet man die Gendermedizin als Teil des Curriculums. http://daebl.de/AR48
Gesundheitsregionen & Gesundheitskiosk
Gesundheitskioske sollen als niedrigschwellige Beratungsangebote für Behandlung und Prävention etabliert werden. Minister Lauterbach hat die Einführung von bundesweit 1 000 Gesundheitskiosken angekündigt. Erste Regelungen sind im Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) enthalten. http://daebl.de/HN49
Gesetzliche Krankenversicherung
Die GKV-Finanzierung sollte „stabiler und verlässlicher“ gestaltet werden – unter anderem durch eine regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses sowie höhere, steuerfinanzierte Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II. Zwar wurde mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz der Bundeszuschuss für das Jahr 2023 einmalig erhöht, die oben genannten Punkte oder weitere strukturelle Maßnahmen wurden jedoch nicht umgesetzt. http://daebl.de/RZ54
Härtefallfonds
2023 wird das Patientenrechtegesetz zehn Jahre alt. Angekündigt ist im Koalitionsvertrag eine Reform, bei der die Patienten im bestehenden Haftungssystem gestärkt werden sollen. Auch soll es einen Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen geben. Außer den Ankündigungen auf der Jubiläumsfeier des Gesetzes ist nichts weiter an die Öffentlichkeit gelangt. http://daebl.de/XE17
Hybrid-DRG
Künftig soll es einen Katalog mit ambulant durchführbaren Operationen geben, die sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich erbracht werden sollen. Ziel ist, diese sogenannten Hybrid-DRGs künftig gleich zu vergüten. Die gesetzliche Grundlage ist im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz geregelt, das Ende 2022 in Kraft getreten ist. Ursprünglich sollten sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband auf entsprechende Leistungen sowie jeweils eine Vergütung einigen. Diese Verhandlungen sind gescheitert, nun wird der Bund eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen. Die Leistungen sollen Anfang 2024 eingeführt werden. http://daebl.de/MG27
Inklusives Gesundheitswesen
Die Ampelregierung hat sich ein „diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ als Ziel vorgenommen. Eigentlich sollte bis Ende 2022 ein Aktionsplan mit Beteiligten erarbeitet werden, dies ist bis jetzt aber noch nicht passiert. Das BMG plant derzeit eine Auftaktveranstaltung, die gleichzeitig der Etablierung von Arbeitskreisen zu Themenschwerpunkten dienen soll. Das schreibt das Ministerium in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag im Mai 2023.
Integrierte Gesundheits- und Notfallzentren
Die Regierungskommission Krankenhaus hat im März 2023 Vorschläge zur Einrichtung von integrierten Notfallzentren vorgelegt. Zudem sollen integrierte Leitstellen aufgebaut werden, die Rettungsdienste (112) mit dem kassenärztlichen Notdienst (116 117) verknüpfen sollen. Hierzu soll unter anderem ein „psychosozialer Kriseninterventionsdienst“ gehören. Eine Reform steht noch aus, soll aber in die Novellierung der Krankenhauslandschaft integriert werden. http://daebl.de/SW39
Innovationsfonds
Die vorgesehene Verstetigung des Innovationsfonds befindet sich als Bestandteil des Digital-Gesetzes auf dem Weg der Umsetzung. Zudem sollen die Fördermöglichkeiten erweitert, die Gewinnung von Erkenntnissen beschleunigt und der Gestaltungsspielraum des Innovationsausschusses vergrößert werden. http://daebl.de/LE42
Krankenhausreform
Bund und Länder, Minister Lauterbach sowie alle Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder haben sich in den vergangenen Monaten regelmäßig getroffen, um gemeinsam ein Konzept zur Krankenhausreform zu erarbeiten. Am 10. Juli 2023 hat die Runde ein gemeinsames Eckpunktepapier verabschiedet. Das Konzept sieht Leistungsgruppen, Vorhaltepauschalen und die Einführung von sektorenübergreifenden Versorgern vor. Derzeit wird an einem Gesetzentwurf gearbeitet. Die Reform soll zu Beginn 2024 in Kraft treten. http://daebl.de/DA46
Kurzfristige Hilfen für Kliniken
Der Koalitionsvertrag sieht kurzfristige Hilfen für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Bereiche Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe vor. Entsprechende Vorschläge der Regierungskommission Krankenhaus für die Bereiche der Pädiatrie und Geburtshilfe wurden mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz Ende 2022 umgesetzt. In beiden Bereichen gibt es mehr Geld, für die Pädiatrie in den Jahren 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich und für die Geburtshilfe jeweils zusätzlich rund 120 Millionen Euro für die gleichen Zeiträume. Die versprochene Entlastung für die Notfallversorgung ist noch nicht erfolgt. http://daebl.de/HF68
Long COVID
Bei einer Veranstaltung hatte Minister Lauterbach 100 Millionen Euro für die Forschung bei Long COVID sowie ME/CFS angekündigt. Diese Vorhaben sind aber nun in den Haushaltsverhandlungen zur Halbzeit der Legislatur nicht mehr aufgetaucht. Die Ankündigung, ein „Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen aufzubauen“, wurde durch regionale Initiativen angestoßen. Außerdem hat das BMG für Long-COVID-Betroffene im Juli eine Website veröffentlicht, auf denen sich nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Ärztinnen und Ärzte über den aktuellen Forschungsstand informieren können. Der G-BA wurde beauftragt, bis Ende 2023 eine Richtlinie zur Versorgung der Betroffenen zu erarbeiten. http://daebl.de/QY23
MZEB
Die Bundesregierung beabsichtigt ihrem Koalitionsvertrag zufolge bis 2025 die Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) sowie die Sozialpädiatrischen Zentren auszubauen. Ebenso wie der Aktionsplan für ein diverses, barrierefreies und inklusives Gesundheitswesen steht dies bisher aus.
Nationales Gesundheitsziel Geburt
Seit 2017 gibt es ein „Übersichtswerk“, in dem beschrieben wird, wie Expertinnen und Experten die künftige Versorgung in der Schwangerschaft, unter der Geburt sowie in der Nachsorge bewerten und fordern. Im Koalitionsvertrag wird angekündigt, das Nationale Gesundheitsziel mit einem „Aktionsplan“ umzusetzen. Auch die 1:1-Betreuung während der Geburt sowie hebammengeleitete Kreißsäle sollen gestärkt werden. Außer einigen Diskussionsrunden von Autoren des Nationalen Gesundheitsziels ist bislang nichts passiert.
Öffentlicher Gesundheitsdienst
Für einen gestärkten und dauerhaft funktionsfähigen Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) sollten die „notwendigen Mittel“ bereitgestellt werden. Zudem wollte die Ampelkoalition auf einen eigenständigen Tarifvertrag drängen. Eine Weiterführung des ÖGD-Paktes wurde jedoch bislang nicht geregelt und auch ein Tarifvertrag ist nicht in Sicht. http://daebl.de/NC15
Pandemie-Notfallpläne
Mit einem „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ sollte für eine bessere Vorbereitung auf eventuelle Gesundheitskrisen und Pandemien gesorgt werden – beispielsweise durch die dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal im Gesundheitswesen. Ein solches Gesetz wurde bislang nicht vorgelegt.
Pflegeausbildung
Die akademische Pflegeausbildung sollte gestärkt und Regelungslücken bei der Ausbildungsvergütung geschlossen werden. Diese Maßnahmen wurden vom BMG gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium auf den Weg gebracht – das Bundeskabinett beschloss jüngst den Entwurf für ein Pflegestudiumsstärkungsgesetz. http://daebl.de/QX75
Pflege-Rahmenbedingungen
Die angekündigten Maßnahmen, „schnell und spürbar“ die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern, wurden teilweise umgesetzt. So wurden unter anderem mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz Regelungen zur Finanzierung von Springerpools zur Entlastung des Pflegepersonals bei Personalausfällen sowie zur Begrenzung der Leiharbeit beschlossen. Zudem sollen Digitalisierungsmaßnahmen für weitere Verbesserungen sorgen. http://daebl.de/ED69
Pflegekräfte bekommen Coronabonus
Für Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sollte es einen staatlichen Coronabonus geben, für welchen vom Bund eine Milliarde Euro fließen sollte. Dies wurde umgesetzt – zudem wurde eine Steuerfreiheit für den Bonus beschlossen. http://daebl.de/VX48
Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus
Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz hat die Ampelregierung ein Instrument zur Personalbemessung (PPR 2.0) eingeführt. Das Gesetz ist Ende 2022 in Kraft getreten. http://daebl.de/HF68
Präventionsgesetz und Präventionsplan
Die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes sowie die Errichtung eines Nationalen Präventionsplans ist laut Koalitionsvertrag vorgesehen. Dem BMG zufolge wird der Plan derzeit unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis entwickelt. Gleiches gilt auch für die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes. Die Nationale Präventionskonferenz hat dem BMG einen Bericht über die Entwicklung der Gesundheitsförderung und Prävention am 1. Juli 2023 vorgelegt. Das BMG prüft die Entwicklung in der Prävention und Gesundheitsförderung und wird anschließend den Präventionsbericht mit einer Stellungnahme der Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes zuleiten. Seit Juni 2022 erarbeitet das Bundesfamilienministerium zudem federführend eine Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit. Sie beinhaltet zahlreiche Maßnahmen, um Einsamkeit vorzubeugen und zu lindern. Derzeit befindet sich die Strategie in der Abstimmung mit den anderen Bundesministerien. Ein Baustein dieser Strategie ist seit Februar 2022 das Kompetenznetz Einsamkeit vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, das Wissen für konkrete Angebote und Orte gegen Einsamkeit bündelt. http://daebl.de/PS19
Psychotherapeutische Versorgung
Ambulante Versorgung: Im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, die Bedarfsplanung zu reformieren, um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren und die Kapazitäten bedarfsgerecht auszubauen. Das BMG hat bisher nur bekannt gegeben, dass es in einem Versorgungsgesetz II Regelungen zur Reduzierung von Wartezeiten geben soll. Das Gesetz ist für das erste Halbjahr 2024 angekündigt. Darüber hinaus sollte die ambulante Versorgung insbesondere für Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen verbessert werden. Das wurde zunächst für Erwachsene umgesetzt: Seit Oktober 2022 können berufsgruppenübergreifende Netzverbünde eine Komplexbehandlung anbieten. http://daebl.de/NV77
Stationäre Versorgung: Im stationären psychiatrischen Bereich wollte die Koalition für eine leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung sorgen und die psychiatrische Notfall- und Krisenversorgung flächendeckend ausbauen. Die bereits 2020 in Kraft getretenen Richtlinie des G-BA zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP) steht diesem Vorhaben insofern entgegen, als dass die Menge an Psychotherapie pro Woche von nur 50 Minuten trotz vieler Proteste beibehalten wurde. http://daebl.de/SK96
Pflegeversicherung
Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollten ebenso umgesetzt werden, wie Maßnahmen zur Stabilisierung der finanziellen Lage der sozialen Pflegeversicherung. Unter anderem sollten versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln finanziert und geprüft werden, ob und wie die Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung ergänzt wird, die die Übernahme der vollständigen Pflegekosten umfassend absichert. Teilweise wurde dies mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz umgesetzt, teilweise aber auch noch nicht: So gibt es noch keine Vorschläge für eine Pflegevollversicherung. http://daebl.de/ED69
Regierungskommission Krankenhaus
Die Bundesregierung hat wie im Koalitionsvertrag angekündigt, eine Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung im Mai 2022 eingerichtet. Die 17 Expertinnen und Experten aus der Versorgung (Pflege und Medizin), der Ökonomie und der Rechtswissenschaften tagen alle zwei Wochen und dazwischen in Arbeitsgruppen. Das Gremium hat mittlerweile sechs Stellungnahmen vorgelegt, unter anderem mit Reformvorschlägen bezüglich der Krankenhauslandschaft, Notfallversorgung und der Rettungsdienste, aber auch zu neuen Konzepten wie etwa den tagesstationären Behandlungen. Leiter und Koordinator der Kommission ist der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Prof. Dr. med. Tom Bschor. http://daebl.de/BM52
Rettungswesen
Die Ampelkoalition will das Rettungswesen reformieren und als integrierten Leistungsbereich in das Sozialgesetzbuch V aufnehmen. Anfang September 2023 hat die Regierungskommission Krankenhaus entsprechende Vorschläge vorgelegt. Diese sollen entweder als Einzelgesetz oder als Paket mit der Reform der Krankenhaus- und Notfallversorgung umgesetzt werden. http://daebl.de/FY47
Registerdaten
Die Ampelkoalition will „das ungenutzte Potenzial, das in zahlreichen Forschungsdaten liegt“, effektiver für innovative Ideen nutzen. Ein Baustein dafür soll ein Registergesetz sein, das die Daten von mittlerweile mehr als 400 medizinischen Registern vernetzen sowie die Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung und ein direktes Datenlinkage schaffen soll. Für den Herbst kündigte das BMG einen Gesetzentwurf zur Stärkung medizinischer Register an. Konzeptionelle Überlegungen und erste Eckpunkte für den geplanten Gesetzentwurf liegen bereits vor. Gesetzt sein soll beispielsweise die Einrichtung einer Zentralstelle für medizinische Register. http://daebl.de/CZ11
Schwangerschaftsabbruch
Die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“, die im März 2023 eingesetzt wurde, soll sich auch mit den „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ auseinandersetzen. Von den 18 Expertinnen und Experten sind fast die Hälfte aus den Rechtswissenschaften. In einer der beiden Arbeitsgruppen der Kommission wird darüber beraten, Ergebnisse sollen im kommenden Frühjahr vorgelegt werden. http://daebl.de/MA1
Sektorenübergreifende Versorgungsplanung
Laut Koalitionsvertrag will die Ampelregierung gemeinsam mit den Bundesländern die ambulante Bedarfs- und stationäre Krankenhausplanung gemeinsam zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung weiterentwickeln. Vorschläge dazu liegen außer den geplanten sektorenübergreifenden Kliniken, die sogenannten Level-1i-Kliniken, im Zuge der Krankenhausreform noch nicht auf dem Tisch. http://daebl.de/DA46
Sterbehilfe
„Wir begrüßen, wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Thema Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird“, schrieben die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag. Tatsächlich legten zwei interfraktionelle Gruppen Entwürfe zu der Ausgestaltung einer neuen gesetzlichen Regelung des assistierten Suizids vor. Beide scheiterten jedoch im Juli 2023 bei den namentlichen Abstimmungen im Parlament. Mit diesem Votum der Parlamentarier bleibt es beim Status quo der letzten Jahre: Die Suizidbeihilfe in Deutschland bleibt gesetzlich ungeregelt und legal. Sterbehilfevereine können Suizidbeihilfe weiterhin anbieten, da das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Beihilfe zum Suizid, gekippt hatte. Nahezu alle Abgeordneten stimmten im Juli 2023 für einen Antrag, mit dem die Regierung aufgefordert wird, im nächsten Jahr einen Regelungsentwurf und eine Strategie für die Suizidprävention vorzulegen. http://daebl.de/US94
Streichung § 219 a
Explizit hatte die Regierungskoalition in ihrem Vertrag eine Streichung des § 219 a des Strafgesetzbuches vorgesehen. „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen“, heißt es. Die Umsetzung erfolgte schnell: Bereits im Sommer 2022 gaben Bundestag und Bundesrat grünes Licht zur Aufhebung des umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. http://daebl.de/GQ99
Ungeklärter Versicherungsstatus
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden für Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus, wie insbesondere Wohnungslose, den Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung prüfen und im Sinne der Betroffenen klären.“ Das BMG befindet sich laut eigener Aussage derzeit in der Prüfung, wie für Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus der Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung verbessert werden kann. Das Ministerium strebe entsprechende „praktische Verbesserungen“ an. Konkrete gesetzliche Änderungsvorschläge liegen allerdings noch nicht vor.
Unabhängige Patientenberatung
Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) soll eine „dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur“ bekommen. Den Beschluss, eine Stiftung dafür zu gründen, fassten die Abgeordneten im März 2023. Allerdings soll die Stiftung von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden, nicht von Steuergeldern. Die heftige Kritik der Krankenkassen hat die Stiftungsgründung deutlich verzögert, sodass unklar ist, ob zu Beginn 2024 die Stiftung ihre Arbeit aufnehmen kann. http://daebl.de/BU94
Weiterbildung
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Im Rahmen der Reform der Krankenhausvergütung werden Mittel für Weiterbildung in den Fallpauschalen künftig nur an die Kliniken anteilig ausgezahlt, die weiterbilden.“ Das Vorhaben ist noch nicht umgesetzt, da die Krankenhausreform ebenfalls noch aussteht.
Zusammengestellt von Rebecca Beerheide, Petra Bühring, André Haserück, Charlotte Kurz, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann