ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2023Rettungsdienst: Qualität und Wirtschaftlichkeit sollen gesteigert werden

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Rettungsdienst: Qualität und Wirtschaftlichkeit sollen gesteigert werden

Haserück, André; Kurz, Charlotte

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Die Implementierung des Rettungsdienstes in ein eigenes Leistungssegment im SGB V wurde bereits im Koalitionsvertrag angekündigt und ist nun ein zentrales Element der Empfehlungen der Regierungskommission. Zudem sollen bundesweit vergleichbare Strukturvorgaben umgesetzt werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte die Empfehlungen gemeinsam mit Kommissionsmitglied Rajan Somasundaram vor. Foto: picture alliance/dpa/Sebastian Christoph Gollnow
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte die Empfehlungen gemeinsam mit Kommissionsmitglied Rajan Somasundaram vor. Foto: picture alliance/dpa/Sebastian Christoph Gollnow

Der Rettungsdienst brauche dringend eine Reform und klarere Strukturen, betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Rahmen der Vorstellung der entsprechenden Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Die Qualitätsdefizite seien „nicht akzeptabel“. Deshalb sei es wichtig, dass die Regierungskommission jetzt entsprechende Empfehlungen vorgelegt hat.

Diese Überlegungen werde man in die Reformpläne einfließen lassen. Viele Inhalte der Stellungnahme seien deckungsgleich mit ersten Vorüberlegungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Auf dieser Basis soll nun „zügig“ die Erarbeitung von Eckpunkten erfolgen, so Lauterbach. Die „strategische Entscheidung“, ob Krankenhausreform sowie Notfallversorgungs- und Rettungsdienstreform in Einzelgesetzen oder als Paket umgesetzt werden, solle zeitnah und nach Rücksprache mit der Regierungskoalition fallen.

Detaillierte Vorschläge

Die konkreten Vorschläge der Regierungskommission umfassen unter anderem die Einbeziehung des Rettungsdienstes in das Sozialgesetzbuch V (SGB V). Der Leistungsanspruch soll in einer eigenständigen Norm im SGB V geregelt werden. Berücksichtigt werden sollen dabei die Leistung der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, der Notfalltransport sowie komplementäre Notfallversorgungsangebote – wie etwa pflegerische Notfallversorgung oder psychiatrisch-psychosoziale Krisenintervention.

Die nach den Plänen der Kommission in die Verantwortung der Krankenkassen fallende Vergütung des Rettungsdienstes soll sich aus Vorhalte- und Leistungsanteil zusammensetzen. Neben bundesweit geltenden Entgelten sollen regionale Anpassungsfaktoren vereinbart werden können, betonen die Kommissionsmitglieder. Notwendige Investitionen für den Rettungsdienst sollen aber weiterhin durch die Länder und die Kommunen getragen werden.

Zudem sollen Vorgaben für Mindestpersonalausstattung, Qualifikation und Weiterqualifizierung festgelegt werden. Die Anforderungen an Struktur-, Prozess- und soweit möglich Ergebnisqualität sowie die Qualifikation des eingesetzten Personals in Leitstellen und der Notfallrettung sollen länderübergreifend vereinheitlicht werden. Für die Implementierung von Maßnahmen, die die Qualität durch Struktur- und Prozessmaßnahmen sichern, schlägt die Kommission vorübergehende Pauschalen oder Zusatzentgelte vor.

Anzustreben sei laut den 17 Kommissionsmitgliedern auch die Etablierung eines Notfallversorgungsregisters mit Kerndaten zum Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen, Rettungsdienst, Notaufnahmen sowie Notfallzentren. So soll die regionale Versorgungsqualität und die jeweiligen Kosten bundeseinheitlich transparent dargestellt werden. Davon verspricht sich die Kommission mehr Möglichkeiten, die Versorgung evidenzgeleitet weiterzuentwickeln. Die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) biete hierfür „exzellente Grundlagen“.

Leitstellen zusammenlegen

Die Bundesländer sollen laut Kommission die Koordinierung des Rettungsdienstes straffen. Richtwert für die „Zentralisierung“ soll eine Leitstelle pro circa einer Million Einwohner sein – derzeit gibt es in Deutschland rund 240 Leitstellen. Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sollen mehr Befugnisse erhalten – etwa im Bereich der Medikamentengabe oder bei bestimmten invasiven Maßnahmen. Besonders qualifizierte Notfallsanitäter sollen mit eigener fachgebundener Heilkundebefugnis den jetzigen Notarztdienst substituieren können und die ärztlichen Spezialressourcen nur bei Bedarf anfordern müssen. Notärzte sollen nur in besonders komplexen Fällen eingesetzt werden. Prof. Dr. med. Rajan Somasundaram, Ärztlicher Leiter der Notaufnahme am Charité Campus Benjamin Franklin und Mitglied der Regierungskommission, sprach von „partieller Substitution“.

Bezüglich einer möglichst hochwertigen Notfallversorgung auch in ländlichen Regionen soll der Luftrettungsdienst, insbesondere durch Ausbau von Landemöglichkeiten und Nachtbetrieb, erweitert werden, so die Kommission. Grundsätzlich müsse der Rettungsdienst „technisch einheitlich digital und umfassend mit den anderen Säulen der Notfallversorgung sowie der elektronischen Patientenakte vernetzt werden, einschließlich telemedizinischer Verknüpfung rund um die Uhr“. Um eine bessere Patientensteuerung sowie Prozessoptimierungen zu erreichen, soll ein digitales Echtzeitregister zur Erfassung und Abfrage der verfügbaren Ressourcen und deren Auslastung zur Verfügung gestellt und „sinnvollerweise“ mit dem DIVI-Intensivregister verbunden werden.

Aus Sicht der Kommission soll die Bevölkerung strukturiert in die Notfallversorgung einbezogen werden: Dies betrifft beispielsweise das Angebot von Erste-Hilfe-Kursen in den Grund- und weiterführenden Schulen und am Arbeitsplatz. Zusätzlich sollen Ersthelfer-Apps flächendeckend eingeführt sowie öffentlich zugängliche Defibrillatoren aufgestellt werden. Kommissionsmitglied Somasundaram betonte, ein Umsetzungsprozess all dieser Maßnahmen werde „fünf bis zehn Jahre“ dauern – aber man müsse jetzt beginnen. Die Reform müsse auf den Weg gebracht und mögliche widerstrebende „Partikularinteressen“ zurückgestellt werden, so sein Appell.

Die Reform der Akut- und Notfallversorgung könne nur in einem Gesamtansatz unter Einbeziehung des Rettungsdienstes gelingen, betonte ein Sprecher der Bundesärztekammer (BÄK). Die BÄK werde die Stellungnahme in einer eigens für die Notfallreform eingerichteten Arbeitsgruppe beraten. In dem Papier seien einige Vorschläge aufgegriffen worden, die die BÄK bereits in ihrer Stellungnahme zu integrierten Notfallzentren (INZ) und integrierten Leitstellen (ILS) unterbreitet hat, darunter die Stärkung von Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, die effektive IT-Vernetzung aller Akteure mit definierten Schnittstellen und Datensätzen, ein digitales und vernetztes Echtzeitregister und die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten. Sehr genau und kritisch werde man sich aber die Empfehlungen der Kommission zu Qualifikation und Befugnissen von Notfallsanitätern ansehen, so die BÄK.

Flickenteppich angehen

Der GKV-Spitzenverband hält eine Reform für dringend notwendig. Das Rettungswesen gleiche derzeit einem Flickenteppich, kritisierte Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis. Die vorgeschlagene Vorhaltefinanzierung befürwortet der GKV-Spitzenverband, allerdings müsse es dafür konkrete Bedingungen zu Mindestanforderungen – zum Beispiel an die Qualität der Leitstellen und der Größe ihres Versorgungsgebietes – geben.

Martin Pin, Präsident der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA), bezeichnete die Vorschläge der Kommission als „notwendig und längst überfällig“. Er begrüßte insbesondere die Pläne zur Vergütung durch Übernahme des Rettungsdienstes in das SGB V. Auch die vorgesehenen standardisierten Qualitätsvorgaben für Rettungsdienst und Leitstellen sowie eine bessere Digitalisierung in der Notfallmedizin und Schaffung eines Notfallregisters sieht der DGINA-Präsident positiv. „Es ist wichtig, dass die Regierungskommission nun auch Vorschläge für eine Reform des Rettungsdienstes als Teil der Reform der Notfallversorgung vorgelegt hat“, sagte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek). Wichtige Impulse seien etwa die Stärkung der telemedizinischen Versorgung, einheitliche Standards in der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sowie eine straffere Koordinierung der Leitstellen.

Nun komme es „entscheidend“ auf die Umsetzung an, betonte Elsner. Die Überlegungen zur Reform des Rettungsdienstes müssten zwingend mit der Reform zur Verbesserung der Notfallversorgung und der Krankenhausreform synchronisiert werden.

André Haserück, Charlotte Kurz

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