ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2023Werbung: Ein Pfund Kaffee mit Bluttest bitte

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Werbung: Ein Pfund Kaffee mit Bluttest bitte

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Chefredakteur
Michael Schmedt, Chefredakteur

Die Marke Tchibo steht für Kaffee und viele mehr oder minder praktische Dinge, sogenannte Konsumgüter, die man in den mehr als 500 deutschen Tchibo-Filialen oder im Onlineshop bestellen kann. Sicher nicht steht Tchibo für Krankenhaus-Zusatzversicherungen. Dennoch findet man solch ein Angebot auf der Website des Unternehmens. Grund ist eine Kooperation mit der privaten Krankenversicherung HanseMerkur. Bis vor wenigen Wochen stand auf der Website von Tchibo zwischen Kaffee, Klamotten und Gartenmöbeln auch eine Werbung für ein „innovatives Programm der HanseMerkur“. Dieses sollte man ab Anfang Juni auf den Onlineseiten ordern können und dafür einen 15-Euro-Einkaufsgutschein erhalten.

Der angepriesene „Krebs-Scan“ ist einer Pressemitteilung der Versicherung zufolge ein Bluttest, der frühzeitig Krebs und Krebsvorstufen erkennen soll. Zusammen mit einem umfassenden Screening im Verdachtsfall und einer Chefarztbehandlung bei einem Krankenhausaufenthalt ist das Versicherungsprodukt „innovatives Krebsfrüherkennungsprogramm“ fertig. Große Worte, vergleicht man dies zum Beispiel mit dem Mammografie-Screening in Deutschland. Versucht man heute die Website www.tchibo.de/krebs-scan zu erreichen, landet man allerdings auf einer anderen Seite. Denn Tchibo hat sich aus dem Vertrieb des HanseMerkur-Produkts zurückgezogen. Vielfältige Kritik hat ihre Wirkung gezeigt. Es habe Irritationen gegeben, hieß es vonseiten des Unternehmens.

Die „Irritationen“ nannte Prof. Dr. med. Jutta Hübner dem NDR gegenüber schlicht „Scharlatanerie“. Hübner leitet die Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie (PRIO) der Deutschen Krebsgesellschaft. In einer Stellungnahme der PRIO wird die Kritik ausführlich dargelegt. Zusammengefasst spricht man darin dem Test die Eignung zur Früherkennung oder zur Diagnose von Tumorerkrankungen ab. Diesem Urteil schlossen sich dem Bericht im NDR zufolge weitere Wissenschaftler und auch Verbraucherzentralen an.

Dieser Vorgang lässt einen nachdenklich zurück und macht wieder einmal deutlich, wie schnell Gesundheit zum Geschäft wird. Dass dann noch ein offensichtlich nicht evidenzbasiertes medizinisches Verfahren angepriesen wird, macht es auch gefährlich. Falsch-positive Ergebnisse können bei den Betroffenen zu großer Unsicherheit und zu strahlenintensiven Folgeuntersuchungen führen, das heißt zu unnötigen psychischen und gesundheitlichen Belastungen.

Dass Krankenversicherer Angebote machen, die eine Evidenz vermissen lassen, ist nicht neu. Man denke nur an die Diskussion um homöopathische Arzneimittel. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hatte die Streichung der Homöopathie als Satzungsleistung aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Herbst vergangenen Jahres in Erwägung gezogen. Passiert ist bis heute nichts.

In dieser Ausgabe erläutert der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Dr. med. Thomas Kaiser, warum die Evidenz für Arzneimittel und medizinische Maßnahmen so wichtig ist (Seite 1464). Das Institut schafft die Grundlage für Entscheidungen, ob bestimmte Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden. Aber wer überprüft, wenn Krankenversicherer für zweifelhafte oder zumindest nicht evidenzbasierte Gesundheitsangebote werben?

Michael Schmedt
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