SPEKTRUM: Leserbriefe
Vergangenheit: Verunglimpfung
Zu dem Beitrag „Ein Denkmal wankt” von Dr. Thomas Gerst in Heft 14/2000:


In allen Jahren ärztlicher Tätigkeit war mir die vorbildliche Art Prof. Ibrahims im Umgang mit Kindern jeglichen Alters eindrucksvoll. Weinende Kinder tröstete er augenblicks, und wir erlernten, Kindern Geborgenheit zu vermitteln. Ich musste ihn einmal nachts zu einem Kind mit Diphtheriekrupp bitten. Es litt unter schwerer Atemnot mit Cyanose und Erstickungsangst. Das in Todesangst sich wehrende Kind war durch nichts mehr zu beruhigen, eine sofortige Tracheotomie war angezeigt. Kaum trat er an das Bett des Kindes, so griff das etwa fünfjährige Kind nach seiner Hand, wurde ruhig und ließ den folgenden Eingriff über sich ergehen.
Auf der Privatstation lagen lange Zeit zwei etwa 13 Jahre alte Buben, die unheilbar herzkrank waren (die heutigen Möglichkeiten der Herzoperation gab es noch nicht). Sie kamen aus dem Thüringer Wald, und die Eltern waren in solcher Armut, dass sie keine Reise bezahlen konnten. Die beiden Buben wurden bestens gepflegt. Sie ertrugen ihr Los bis zu ihrem Tod tapfer, getragen von der wunderbaren Atmosphäre auf dieser Station, wo diesen Kindern jede geistig-seelische Hilfe geboten wurde.
Ich erinnere mich noch an ein Kind „Fee-Karla“, das an einem ungeheuren Wasserkopf litt, und für das es keine Möglichkeit operativer Hilfe gab. Es lag, mit feiner Gaze geschützt, bewegungslos in seinem Bettchen. Das Kind erlitt in einer Nacht einen akuten Herzanfall, der diensthabende Arzt spritzte ein Kreislaufmittel, danach lebte es noch drei Wochen. Auch hier kein Wort von Euthanasie oder ähnlichem, nur warmes Mitgefühl der ganzen Klinik.
Ein Kindstod war, auch beim kleinsten Säugling, ein alle stark bewegendes Ereignis. An einem solchen Tag war auf allen Fluren ruhige Stille, bis der kleine Leichnam abgeholt worden war. Den Respekt vor dem Tod habe ich in dieser Klinik kennen gelernt wie sonst nirgends.
Unter uns weilten auch zwei Schwesternschülerinnen, deren Herkunft nicht rein arisch war, was ihnen jede berufliche Ausbildung unmöglich machte. Die damalige Oberin sowie Professor Ibrahim waren auf Anfrage sofort bereit zur Hilfe und nahmen sie auf. In unserer Ausbildung wurde der theoretische Unterricht von Prof. Ibrahim selbst gegeben. Niemals ist der Begriff Euthanasie gefallen. Eine Mitschwester erzählte mir streng vertraulich, dass ihre Mutter in einem Heim für Geisteskranke umgebracht worden sei im Sinne der Euthanasie. Nur hier, in dieser Klinik fand diese sehr liebe Schwester Aufnahme, Ausbildung und seelischen Beistand.
Sollte Prof. Ibrahim je missbraucht worden sein zur Unterstützung der Euthanasie, so wurde er erpresst. Dann ist sein Leben schlimmsten seelischen Qualen ausgesetzt worden und es bedurfte jeder List, zu retten, was zu retten war, denn andere standen gewiss bereit, statt seiner alles zu tun, was auf dem Programm der Nazis stand . . .
Dr. med. Charlotte Hagena, Neckarpromenade 36, 68167 Mannheim
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