ArchivDeutsches Ärzteblatt38/2000„Unbeliebte“ Prävention: Auf dem Weg zum zweiten Infarkt

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„Unbeliebte“ Prävention: Auf dem Weg zum zweiten Infarkt

Koch, Klaus

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LNSLNS Ratschläge zur Prävention sind offenbar bei Ärzten und Patienten gleichermaßen unbeliebt. Nach Erfahrungen einer europäischen Forschergruppe richten sich selbst Patienten, die einen Herzinfarkt überlebt haben, nur selten nach den wissenschaftlich belegten Empfehlungen, wie sie den zweiten Infarkt zumindest aufschieben können. „Unsere Versorgungssysteme scheitern selbst an der Umsetzung altbekannter Ratschläge“, sagt der Epidemiologe Prof. Ulrich Keil von der Universität Münster. Diese Einschätzung wird untermauert durch die Ergebnisse der „Euroaspire II“-Studie, die auf der Jahrestagung der Europäischen Herzgesellschaft (ESC) in Amsterdam vorgestellt worden ist. Hierbei wurden in 15 Ländern 5 556 Patienten, die bereits einen Herzinfarkt, einen Bypass- oder Kathetereingriff hinter sich hatten, interviewt und untersucht. Durchschnittlich 17 Monate nach der Entlassung aus der Klinik wurde überprüft, inwieweit die Patienten entsprechend der 1994 und 1998 veröffentlichten Empfehlungen der ESC zur Infarkt-Prävention behandelt werden. Die deutschen Daten hat eine Gruppe um Keil in der Region Münster gesammelt.

Die Ergebnisse zu Änderungen des Lebensstils sind ernüchternd: Im europäischen Durchschnitt raucht etwa jeder fünfte Herzkranke weiter (Deutschland 17 Prozent), und jeder Dritte behält mehr als 15 bis 20 Kilogramm Übergewicht (Deutschland 31 Prozent). Bezeichnend ist aber, dass auch vermeintlich bequemere Alternativen zur Umstellung des Lebensstils – Medikamente – kaum besser wegkommen. Nach der Umfrage nehmen zwar jeweils zwei Drittel der Patienten Betablocker und ACE-Hemmer, ein weiteres Drittel Calciumantagonisten. Dennoch wies jeder zweite Patient Blutdruckwerte auf, die zum Teil weit über der seit Jahren geltenden Empfehlung von 140 zu 90 mm Hg liegen. In Deutschland waren es in diesem Punkt sogar fast zwei von drei Patienten. „Das war die schlechteste Rate aller europäischen Regionen“, bemängelt Keil.

Deutschland lieferte noch weitere Negativ-Beispiele: Verglichen mit Daten aus 1995/96, hat sich bis 1999 hierzulande der Anteil der Herzkranken, die einen „Cholesterinsenker“ (meist ein Statin) erhalten, von 35 auf 68 Prozent fast verdoppelt. Dennoch hat gleichzeitig der Anteil der Patienten, deren Gesamt-Cholesterinwert nicht der ESC-Empfehlung von unter 190 mg/dl entsprach, von 64 leicht auf 66 Prozent zugenommen. In Finnland war im gleichen Zeitraum der Anteil der Patienten von 61 auf 43 Prozent gesunken. Möglicherweise würden die Medikamente hierzulande unterdosiert, vermutet Keil: „Die Situation hinsichtlich der Prävention ist auch in Deutschland nach wie vor unbefriedigend. Unnötige Re-Infarkte, Interventionen und frühzeitige Todesfälle sind programmiert.“
Klaus Koch

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