ArchivDeutsches Ärzteblatt43/2000Behandlung der Hyperhidrose mit Botulinumtoxin-A

MEDIZIN: Editorial

Behandlung der Hyperhidrose mit Botulinumtoxin-A

Plewig, Gerd; Heckmann, Marc

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LNSLNS Schwitzen ist eine lebensnotwendige Fähigkeit, die vor Überhitzung bei körperlicher Arbeit oder bei hohen Außentemperaturen schützt. Krankhaft vermehrtes Schwitzen kann dagegen als Folge von hormonellen Störungen, Infektionen oder Tumorleiden auftreten und wird in einem solchen Zusammenhang als sekundäre Hyperhidrose bezeichnet. Im Gegensatz dazu spricht man bei vermehrtem Schwitzen ohne erkennbare innere oder äußere Ursachen von einer primären Hyperhidrose. Sie ist die häufigste Form abnormen Schwitzens und tritt typischerweise axillär und/oder palmoplantar auf, kann jedoch auch an Stirn, Nacken und Oberkörper oder generalisiert vorkommen (13). Die Patienten klagen über anfallsartige Schweißausbrüche schon bei minimalen psychischen Belastungssituationen oder gar „aus heiterem Himmel“. Paradoxerweise frieren diese Patienten häufig während sie schwitzen, da durch die Abdunstung des Schweißes ein erheblicher Wärmeverlust für den Körper entsteht. Die daraus entstehende Akrozyanose und Mazeration der Haut prädisponiert zu Pilz-, Bakterien,- und Virusinfektionen. Am schlimmsten fühlen sich die Patienten jedoch durch die Auswirkungen im persönlichen und beruflichen Umfeld betroffen. Manuelle Tätigkeiten werden durch die tropfnassen Hände behindert, jeder Händedruck wird zum Spießrutenlauf, Streicheleinheiten werden schamhaft vermieden. Fremde reagieren mit Skepsis, Ablehnung oder gar Ekel auf die nicht zu verbergenden Zeichen des Schwitzens. Vor diesem Hintergrund erwartet der Patient, der sich mit seinem Problem einem Arzt anvertraut, mehr als ein paar gut gemeinte Ratschläge zur Entspannung und Körperhygiene; er erhofft sich eine wirksame Blockade seines ungewollten Schwitzens, auf die er sich auch in Stresssituationen verlassen kann.
Therapieoptionen
Die medikamentöse Behandlung mit Anticholinergika ist bei umschriebenen Formen der Hyperhidrose obsolet (13). Aluminiumchloridhaltige Externa haben sich dagegen bei leichten Formen bewährt, führen in höheren Konzentration jedoch häufig zur Hautirritation. Die Leitungswasser-Iontophorese ist bislang das Mittel der Wahl bei palmoplantarer Hyperhidrose. Sie erfordert jedoch einen nicht unerheblichen Aufwand, da die Beschwerden wieder auftreten, wenn die Behandlung nicht regelmäßig wiederholt wird (13). Mit der Hoffnung auf eine längerfristige Beschwerdefreiheit wird daher auch die endoskopische transthorakale Sympathektomie in Erwägung gezogen. Die-
ser Eingriff führt allerdings bei der Mehrzahl der Patienten zu einem kompensatorischen Schwitzen an anderen Körperstellen (3, 9). Zudem kann das Risiko einer pulmonalen Verletzung oder eines Horner-Syndroms nicht vollständig ausgeschlossen werden (9). In der Achselhöhle kann alternativ das hyperhidrotische Areal exzidiert, kürettiert oder mittels Liposuktion entfernt werden (10).
Das Ausmaß der Schweißabsonderung wird im Wesentlichen durch
sympathische Nerven gesteuert, wobei nicht Adrenalin sondern Acetylcholin den neuronalen Impuls an die Schweißdrüse überträgt. Durch Botulinumtoxin, ein von Clostridium botulinum produziertes Neurotoxin, kann eine Freisetzung von Acetylcholin komplett gehemmt und damit eine Blockade der die Schweißdrüsen innervierenden Nervenfasern erreicht werden. Botulinumtoxin-A (BT-A) wurde durch den Ophthalmologen A. Scott 1980 erstmals medikamentös beim Menschen zur Behandlung des Schielens eingesetzt und avancierte wegen seiner gezielt einsetzbaren muskellähmenden Wirkung (Chemodernavation der cholinergen neuromuskulären Endplatte) zunehmend zum Mittel der Wahl bei zahlreichen spastischen und dystonen Störungen. Die anhidrotische Wirkung von BT-A wurde zunächst für die Behandlung des gustatorischen Schwitzens (Frey-Syndrom) genutzt (2). Es folgten Mitteilungen über die erfolgreiche Anwendung bei axillärer, palmoplantarer und kompensatorischer Hyperhidrose (1, 4, 5, 6, 11, 12) sowie erste Doppelblindstudien (14, 15). Alle bislang erschienenen Arbeiten resümieren eine ausgezeichnete Wirksamkeit und Verträglichkeit von BT-A bei fokalen, das heißt umschriebenen Formen der Hyperhidrose. Die erwünschte Wirkung hält etwa sechs bis neun Monate an – im Einzelfall auch etwas länger – danach wird in der Regel eine Wiederholungsbehandlung erforderlich.
BT-A ist derzeit für die Indikationen idiopathischer Blepharospasmus, hemifaziale Dystonie und Torticollis spasmodicus zugelassen. Es ist in Deutschland seit 1993 in Form zweier Handelspräparate erhältlich, Botox (Allergan, Irvine, Ca., USA; Vertrieb durch Firma Merz, Frankfurt) und Dysport (Ipsen-Ltd., Wrexham, Großbritannien; Vertrieb durch Ipsen-Pharma, Ettlingen). Die Behandlung der Hyperhidrose erfolgt somit als „off-label use“ das heißt als Einsatz eines zugelassenen Medikamentes für eine nicht zugelassene Indikation. Ein Arzt darf jedoch im Rahmen der Therapiefreiheit ein Medikament auch für eine nicht angegebene Indikation verwenden, wenn dies begründet und medizinisch geboten ist. Dieser Tatbestand liegt vor, wenn das Arzneimittel, wie im Falle des BT-A, in der beabsichtigten Anwendung medizinisch-wissenschaftlich erprobt wurde und seine unerwünschten Wirkungen in ausreichendem Maße bekannt sind. „Das Arzneimittelgesetz beschränkt die therapeutische Freiheit des Arztes nicht in der Weise, dass es den Einsatz eines Medikaments, das gegen bestimmte Erkrankungen zugelassen ist, gegen eine andere Erkrankung verbietet“, heißt es in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln aus dem Jahr 1991.
Dosierung und Injektion
Für die Behandlung der Hyperhidrose – ebenso wie für die meisten anderen Anwendungsgebiete von BT-A, gibt es bislang keine systematischen Dosisfindungsstudien; vielmehr handelt es sich bei den Angaben in der Literatur um klinische Erfahrungswerte, bei denen ein sicheres und zufriedenstellendes Therapieergebnis erwartet werden kann. Als ausreichend wirksame Dosis für die Behandlung einer hyperhidrotischen Axilla können derzeit etwa 50 mU (Mouse Units) des Präparats Botox oder 100 bis 200 mU des Präparats Dysport angesehen werden. Pro Handfläche muss je nach Größe eine etwas höhere Dosis verwendet werden. Diese Angaben sind insofern kommentierungsbedürftig als eine Mouse Unit für beide Präparate diejenige Dosis darstellt, die bei 50 Prozent der Testmäuse letal wirkt. Beim Menschen unterscheiden sich aber diese Einheiten der beiden Präparate um den Faktor 3 bis 4! Aus diesem Grund bezieht sich jede Dosisangabe streng genommen immer nur auf das dazu zu nennende Handelspräparat.
Das praktische Vorgehen zur BT-A-Injektion ist insbesondere in der Axillarregion unproblematisch (4, 5). Das gelöste BT-A wird flächig an etwa sechs bis zwölf Injektionspunkten intradermal injiziert. Eine transkutane Applikation als Creme oder Lösung ist aufgrund der Molekulargröße (150 kDa) des Toxins nicht möglich. An den Handflächen ist meist eine Analgesie mittels Handwurzelblock oder eine iontophoretische Applikation von Lokalanästhetika (7) in Kombination mit Kälteanalgesie erforderlich. Darüber hinaus ist in dieser Lokalisation aufgrund der anatomischen Nähe zur Handmuskulatur durchaus mit einer passageren Muskelschwächung zu rechnen, über die der Patient aufgeklärt werden muss. In der Regel führt diese jedoch zu keiner wesentlichen Einschränkung und klingt innerhalb weniger Wochen wieder ab. Inzwischen dürften schätzungsweise bereits mehrere Tausend Hyperhidrosepatienten mit BT-A behandelt worden sein, wobei bislang noch in keinem Fall über ein Nichtansprechen bei dieser Indikation berichtet wurde. Aufgrund der langjährigen Erfahrungen mit muskulären Erkrankungen weiß man jedoch, dass nach wiederholten wirksamen Behandlungen bei manchen Patienten Antikörper gegen das Toxin induziert werden können, die dann das Ausbleiben der erwarteten Wirkung zur Folge haben. Prädisponierend hierfür scheinen enge Wiederholungsintervalle und hohe Gesamtdosen zu sein (8); beides ist bei der Behandlung der Hyperhidrose vermeidbar.
Nach heutigem Kenntnisstand kann die intradermale Injektion von BT-A bei umschriebener Hyperhidrose daher als sichere und hochwirksame Behandlungsoption mit ausgezeichneter Patientenakzeptanz eingestuft werden. Im Vergleich mit bisherigen konservativen Therapien zeigt sich BT-A insbesondere hinsichtlich seiner Wirkungsdauer nach einmaliger Anwendung und seiner Ansprechrate selbst bei stark ausgeprägter Hyperhidrose überlegen. Gegenüber operativen Therapieformen bietet BT-A eine ambulant durchführbare, nebenwirkungsarme und den Patienten nicht beeinträchtigende Alternative.
zZitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-2850–2851 [Heft 43]

Literatur
 1. Bushara KO, Park DM, Jones JC, Schutta HS: Botulinum toxin – a possible new treatment for axillary hyperhidrosis. Clin Exp Dermatol 1996; 21: 276– 278.
 2. Drobik C, Laskawi R, Schwab S: Therapie des Frey-Syndroms mit Botulinum-Toxin. Erfahrungen mit einer neuen Behandlungsmethode. HNO 1995; 43: 644–648.
 3. Heckmann M: Complications in patients with palmar hyperhidrosis treated with transthoracic endoscopic sympathectomy. Neurosurgery 1998; 42: 1403–1404.
 4. Heckmann M, Breit S, Ceballos BA, Schaller M, Plewig G: Side-controlled intradermal injection of botulinum toxin A in recalcitrant axillary hyperhidrosis. J Am Acad Dermatol 1999; 41: 987–990.
 5. Heckmann M, Breit S, Ceballos-Baumann A, Schaller M: Axilläre Hyperhidrose: Erfolgreiche Behandlung mit Botulinum-Toxin-A. Hautarzt 1998; 49: 101–103.
 6. Heckmann M, Ceballos-Baumann A, Schaller M, Plewig G: Botulinum beyond wrinkles. Dermatol Surgery 1997; 23: 1221–1222.
 7. Heckmann M, Schaller M, Plewig G, Ceballos-Baumann A: Optimizing botulinum toxin therapy for
hyperhidrosis. Brit J Dermatol 1998; 138: 553–
554.
 8. Jankovic J, Schwartz K: Response and immunoresistance to botulinum toxin injections. Neurology 1995; 45: 1743–1746.
 9. Lai YT, Yang LH, Chio CC, Chen HH: Complications in patients with palmar hyperhidrosis treated with transthoracic endoscopic sympathectomy. Neurosurgery 1997; 41: 110–113.
10. Lillis PJ, Coleman W: Liposuction for treatment of axillary hyperhidrosis. Dermatol Clin 1990; 8: 479– 482.
11. Naumann M, Flachenecker P, Bröcker EB, Toyka KV, Reiners K: Botulinum toxin for palmar hyperhidrosis (letter). Lancet 1997; 349: 252.
12. Naumann M, Hofmann U, Bergmann I, Hamm H, Toyka KV, Reiners K: Focal hyperhidrosis: effective treatment with intracutaneous botulinum toxin. Arch Dermatol 1998; 134: 301– 304.
13. Sato K, Kang WH, Saga K, Sato KT: Biology of sweat glands and their disorders. II. Disorders of sweat gland function. J Am Acad Dermatol 1989; 20: 713–726.
14. Schnider P, Binder M, Auff E, Kittler H, Berger T, Wolff K: Double blind trial of botulinum A toxin for the treatment of focal hyperhidrosis of the palms. Br J Dermatol 1997; 136: 548–552.
15. Schnider P, Binder M, Kittler H, Birner P, Starkel D, Wolff K, Auff E : A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of botulinum A toxin for severe axillary hyperhidrosis. Br J Dermatol 140: 677–680.

Anschrift der Verfasser:
Priv.-Doz. Dr. med. Marc Heckmann
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie
Klinikum der Universität München
Frauenlobstraße 9–11, 80337 München
E-Mail: Heckmann@derma.med.uni-muenchen.de


Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie (Direktor: Prof. Dr. med. Gerd Plewig), Klinikum der Universität München

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