ArchivDeutsches Ärzteblatt48/2000Infektionsschutzgesetz: Schnelle Reaktion auf Verbreitung gefährlicher Infektionen

POLITIK

Infektionsschutzgesetz: Schnelle Reaktion auf Verbreitung gefährlicher Infektionen

Gerst, Thomas

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LNSLNS Das zum 1. Januar 2001 in Kraft tretende Gesetz weist dem Robert Koch-Institut eine zentrale Rolle bei der Erfassung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu. Es präzisiert die Meldepflicht für Ärzte und schafft die Grundlage für eine verbesserte Klinikhygiene.


Die deutschen Gesundheitsbehörden sollen in die Lage versetzt werden, schneller als bisher bundesweit auf das Auftreten neuer und die Verbreitung bekannter Infektionskrankheiten zu reagieren. Das ist eines der Ziele des zum 1. Januar 2001 in Kraft tretenden Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Das Gesetz fasst die noch aus den 50er- und 60er-Jahren stammenden seuchenrechtlichen Bestimmungen sowie neuere Verordnungen zur Berichts- und Meldepflicht bei bestimmten Krankheitsfällen zu einem einheitlichen Komplex zusammen. Beim Gesetzgebungsverfahren gab es weitgehendes Einvernehmen zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem Gesetzgeber und den hinzugezogenen sachkundigen Repräsentanten von Verbänden und Körperschaften. Für politische Meinungsverschiedenheiten sorgte die im Gesetz vorgeschriebene namentliche Meldepflicht bei Hepatitis-C-Infizierten. Diese betrifft allerdings nur die akuten Fälle, da nur hier mögliche Infektionsquellen noch aufgedeckt werden können, nicht die chronisch Kranken.
Das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, erhält im Infektionsschutzgesetz eine Schlüsselfunktion, indem es als infektionsepidemiologische Leitstelle installiert wird. Es soll so auch in die Lage versetzt werden, sich an europäischen infektionsepidemiologischen Früherkennungs- und Informationsnetzwerken zu beteiligen.
Anders als bisher ist jetzt ein einheitlicher Meldeweg vom Arzt bis ans RKI vorgeschrieben. Die Daten über meldepflichtige Krankheiten und Verdachtsfälle müssen binnen Wochenfrist von den lokalen Gesundheitsämtern an die Landeszentralbehörden weitergeleitet werden. War bisher nur die Weitergabe statistischer Daten an das Statistische Bundesamt geregelt, so soll das RKI nunmehr die zum Schutz der Bevölkerung erforderliche länderübergreifende Koordination übernehmen. Das RKI soll die aktuellen Daten zügig auswerten und die Ergebnisse allen zuständigen Stellen möglichst rasch zur Verfügung stellen.
Entscheidend für eine effektive Umsetzung der im Gesetz vorgegebenen Ziele ist die Mitwirkung der Ärzte bei der Meldung der Krankheiten. Die nach dem Bundes-Seuchengesetz von 1961 bestehende Meldepflicht der Ärzte wurde nach Überzeugung des Bundesgesundheitsministeriums bei bestimmten Krankheitsfällen in den vergangenen Jahren nur noch unvollständig beachtet. Der Katalog der namentlich meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im IfSG ist gegenüber den zurzeit geltenden Vorschriften nur um zwei Krankheiten erweitert worden. Dies betrifft die Masern, die in das WHO-Eradikationsprogramm aufgenommen wurden; vorgesehen ist die weltweite Eradikation bis zum Jahr 2007. Neu ist auch, dass das Labor den Erregernachweis bei Legionellen melden muss. Reduziert wird die Meldepflicht bei infektiöser Enteritis; sie ist weiterhin vorgeschrieben bei Beschäftigten im Lebensmittelbereich und bei gehäuftem Auftreten des Krankheitsbildes. Präziser gefasst sind die Vorschriften bei der Polio-Meldung: Künftig muss jede akute schlaffe Lähmung der Extremitäten gemeldet werden. !
Gegenüber den im alten Bundes-Seuchengesetz nicht im Einzelnen geregelten Meldemodalitäten beschreibt das IfSG die Meldeverpflichtungen der Ärzte und Laboratorien präziser. Der duale Meldeweg – bei Verdacht oder Diagnose einer meldepflichtigen Krankheit durch den behandelnden Arzt, bei Erregernachweis durch das Labor – soll das Meldeverhalten der Ärzte positiv beeinflussen. Der behandelnde Arzt ist bei den im Gesetz genannten Krankheiten zu einer Meldung verpflichtet – noch vor dem Befund und der Meldung durch das Labor. Allerdings ist der Katalog der Krankheiten, die vom Arzt zu melden sind, gegenüber den Labormeldungen gekürzt worden. Nach dem IfSG haben Ärzte nur noch 18 statt früher 40 meldepflichtige Diagnosen zu berücksichtigen. Durch diese Entlastung verspricht sich der Gesetzgeber eine Verbesserung der „Meldemoral“. Bei Nichtbeachtung der Meldepflicht sind allerdings auch Bußgelder in Höhe von bis zu 25 000 Euro vorgesehen. Führt eine unterlassene Meldung zur Verbreitung einer Krankheit oder eines Krankheitserregers, kann es sich auch um eine Straftat handeln, für die das IfSG eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht.
Die namentliche Meldepflicht ist auf solche Krankheiten beschränkt, die Maßnahmen des Gesundheitsamtes zur Eindämmung einer akuten Weiterverbreitungsgefahr erforderlich machen.
Nosokomiale Infektionen
Eine wichtige Neuregelung durch das Infektionsschutzgesetz betrifft die Erfassung der nosokomialen Infektionen in Krankenhäusern und in Einrichtungen für ambulantes Operieren. Aufgrund von Hochrechnungen geht man davon aus, dass in Deutschland jährlich mehr als 525 000 Patienten von im Krankenhaus erworbenen Infektionen betroffen sind. Die Folgekosten werden auf mehrere Milliarden DM geschätzt. Als Grundlage für die Ursachenanalyse und die Verbesserung der Situation hält der Gesetzgeber die Kontrolle ausgewählter nosokomialer Infektionen für erforderlich. Erstmals wird daher den Krankenhäusern und Einrichtungen für ambulantes Operieren vorgeschrieben, die am häufigsten auftretenden nosokomialen Infektionen aufzuzeigen und zu erfassen. Besonderes Augenmerk soll dabei den Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen gelten. Hier wird dem Robert Koch-Institut die Aufgabe zugewiesen, entsprechend den jeweiligen epidemiologischen Erfordernissen die zu dokumentierenden Infektionen festzulegen. Die aktuellen Festlegungen sind dem „Bundesgesundheitsblatt“ (Heft 11/2000; www.rki.de/INFEKT/IFSG/IFSG.HTM) zu entnehmen. Die infektionshygienische Überwachung von Arztpraxen und Praxen sonstiger Heilberufe, in denen wegen dort vorgenommener Eingriffe ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, durch die Gesundheitsämter wird in Zukunft bundeseinheitlich geregelt.
Durch Sentinel-Erhebungen kann das RKI in Abstimmung mit den jeweils zuständigen Landesbehörden die Verbreitung weiterer übertragbarer Erkrankungen ermitteln und den Bevölkerungsanteil, der gegen bestimmte Erreger nicht immun ist, bestimmen.
Der Schlüsselstellung des RKI bei der Umsetzung des IfSG entspricht die beabsichtigte personelle Mehrausstattung des Instituts. Die für die Bewältigung der neuen Aufgaben benötigten rund 80 Planstellen können allerdings nur zu einem Teil durch innerbetriebliche Umstrukturierungen besetzt werden. Im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums für das nächste Jahr sind lediglich Mittel für 14 zusätzliche Stellen vorgesehen, sodass wohl noch einige Jahre verstreichen werden, bis das RKI den ihm zugewiesenen Aufgaben in vollem Umfang gerecht werden kann.
Prävention statt Zwang
Auf das neue IfSG gehen auch die Regelungsinhalte des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten über. Hierbei setzt der Gesetzgeber auf weniger Zwang und mehr Prävention, da die Erfahrung in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt habe, dass zum Beispiel die Pflichtuntersuchungen bei Prostituierten eine falsche Sicherheit vortäuschen. Der Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten soll in Zukunft nicht mehr auf dem Wege routinemäßiger Kontrollen, sondern durch Beratung und Untersuchungsangebote durch die Gesundheitsämter entgegengewirkt werden. Das hierfür bestehende Behandlungsverbot für Ärzte in den Gesundheitsämtern wird durch das IfSG aufgehoben.
Auch in anderen Bereichen wird durch das IfSG der Tatsache Rechnung getragen, dass einige bisher vorgeschriebene Kontrolluntersuchungen die Erwartungen nicht erfüllt haben. So werden in Zukunft die routinemäßig vorgenommenen Tuberkulintests und Röntgenuntersuchungen bei Ersteinstellung von Lehrern und Erziehern entfallen. An deren Stelle tritt eine Belehrung durch den Arbeitgeber über die gesundheitlichen Anforderungen und Mitwirkungsrechte, die spätestens im Abstand von zwei Jahren wiederholt werden muss. Aufklärung statt Pflichtuntersuchung gilt auch für die im Lebensmittelbereich tätigen Personen. Vor erstmaliger Aufnahme einer solchen Tätigkeit müssen sie den Nachweis über eine gesundheitliche Belehrung durch das Gesundheitsamt erbringen. Bei gesundheitlichen Bedenken kann das Gesundheitsamt allerdings die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung verlangen. Thomas Gerst


Das Robert Koch-Institut in Berlin
wird im Infektionsschutzgesetz als epidemiologische Leitstelle installiert.



Eine detaillierte Übersicht über die Melde- und Aufzeichnungspflicht nach dem neuen IfSG wird Ende des Jahres im Deutschen Ärzteblatt, Heft 51–52 veröffentlicht.
Der Gesetzestext kann über die Internet-Seiten des Deutschen Ärzteblattes (www.aerzteblatt.de) aufgerufen werden.


Sie betont die Notwendigkeit, bei Infektionskrankheiten Behandlung, Schutz und Information zu vernetzen: Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer.

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