POLITIK: Leitartikel
Praxisbudgets: KBV legt ein überarbeitetes Konzept vor


Es ist überhaupt keine Frage: Die Vielzahl der derzeit geltenden restriktiven Regelungen innerhalb der
Honorarabrechnung - allesamt Notlösungen gegen den bedrohlichen Punktwertverfall - können niemandem
gefallen. Dieser Zustand ist untragbar und darf nicht mehr lange andauern. Die niedergelassenen Kollegen, das
habe ich wiederholt erklärt, brauchen endlich wieder Ruhe in ihrem Arbeitsalltag; sie brauchen kalkulatorische
Sicherheit und die Gewißheit, daß ihre Arbeit im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu ordentlichen
Punktwerten vergütet wird.
Weg aus der Misere
Warum dies alles zur Zeit fehlt, ist bekannt. Unsere Honorare sind - bei steigenden Arztzahlen - seit Jahren
ganz stringent budgetiert. Aufgrund politischer Entscheidungen reicht das Geld nicht mehr aus, um den
Leistungsbedarf zu decken. Nicht der neue EBM ist die Ursache für die Misere. Er deckt nur auf, daß
Leistungsbedarf und Honorarvolumen längst nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
Die bitteren Folgen sind gleichfalls bekannt: innerärztliche Verteilungskämpfe, Existenzangst und Frustration.
Doch wohin führt das? Direkt in die Entsolidarisierung der Kassenärzteschaft - in eine Situation, bei der es
letztlich nur Verlierer geben kann.
Kurzfristig werden wir die Politik nicht dazu bewegen können, deutlich mehr Geld für die ambulante
Versorgung zur Verfügung zu stellen. Wir müssen daher notgedrungen mit dem haushalten, was uns
zugebilligt wird. Und zwar so, daß alle Kolleginnen und Kollegen zurechtkommen können. Mit Hilfe von
differenzierten Praxisbudgets ist das möglich.
Nach intensiven Vorarbeiten und zahlreichen Beratungen mit den führenden Vertretern der Berufsverbände
glauben wir, der KBV-Vertreterversammlung am 7. September 1996 ein Honorierungssystem zur
Beschlußfassung vorlegen zu können, das uns aus der akuten Misere befreit und den notwendigen Spielraum
für die politischen Auseinandersetzungen um eine "bessere Zukunft der ambulanten Versorgung" insgesamt
eröffnet.
Das Ziel: Stabiler Punktwert
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um einen neuen EBM. Es wird keine "Reform der Reform"
geben, wobei aber die befristeten Teilbudgets auslaufen und die von der Kassenärzteschaft besonders kritisch
gesehenen Abrechnungsausschlüsse aufgehoben werden sollen. Vielmehr streben wir auf der Basis des neuen
EBM ein neu strukturiertes Honorierungssystem an,
das durch eine wirksame Mengenbegrenzung zur Punktwertstabilität führt und das Punktwertniveau deutlich
anhebt;
das die Praxiserlöse wieder kalkulierbar macht;
das schließlich das unter dem bestehenden Budgetzwang zur Verfügung stehende Honorar gerechter
zwischen und innerhalb der Arztgruppen verteilt.
Ich möchte Ihnen das neue Konzept (siehe dazu auch den nebenstehenden Beitrag "Neues Vergütungsmodell
für Kassenärzte") kurz erläutern. Um die Einführung solcher arztgruppenbezogener, fallzahlabhängiger
Praxisbudgets ist es zu wilden Spekulationen und Fehlinterpretationen gekommen. Dies veranlaßt mich zu
folgender Klarstellung:
Praxisbudgets beinhalten kein Festgehalt, keine Pauschalvergütung und auch keinen garantierten Umsatz. Der
EBM bleibt vielmehr als Abrechnungsgrundlage mit den darin enthaltenen Leistungspositionen voll erhalten.
Allerdings werden die in das Praxisbudget einbezogenen Leistungspositionen des EBM insgesamt nur bis zu
einem bestimmten Punktzahlvolumen je Praxis vergütet, das sich aus einer arztgruppenspezifischen
Fallpunktzahl, multipliziert mit der Zahl der kurativ-ambulanten Behandlungsfälle, ergibt.
Nach dem neuen Konzept setzt sich der Honoraranspruch aus den Punktzahlanforderungen aus folgenden
Bereichen zusammen:
Das Praxisbudget. Es ist arztgruppenbezogen und fallzahlabhän-gig und beinhaltet im wesentlichen
die Standardleistungen der jeweiligen Arztgruppe.
Zusatzbudgets für Praxisbesonderheiten ("Gelbe Liste").
Budgetfreie Leistungen, dazu zählen beispielsweise die hausärztliche Grundvergütung, die Zuschläge zum
ambulanten Operieren, aber auch das Laborkapitel des EBM ("Blaue Liste").
Hochspezialisierte und kostenintensive Leistungen, die keiner Mengenbegrenzung unterliegen und einzeln
vergütet werden ("Rote Liste").
Für die Vergütungssituation des einzelnen Vertragsarztes sind zwei Regelungen von grundsätzlicher
Bedeutung:
« Durch die Zusatzbudgets wird der bestehenden Differenzierung innerhalb der Fachgruppen Rechnung
getragen.
Da die Kassenärztlichen Vereinigungen die Praxisbudgets mit ihren regionalen Zahlen berechnen, werden
die regionalen Besonderheiten der KVen voll berücksichtigt.
Damit ist die grundsätzliche Honorarsystematik wiederhergestellt: Der EBM legt die Bewertungsrelationen der
Leistungen untereinander fest, und die KVen entwickeln aus den bundeseinheitlichen Berechnungsgrundlagen
die Honorarverteilung vor Ort. Dies hat zur Folge, daß die Praxisbudgets regional und zwischen den
Arztgruppen verschieden sein werden.
Um für die Zukunft eine noch weitere Differenzierung der Praxisbudgets zu ermöglichen, bedarf es aber
zusätzlicher Informationen über die Struktur und die ökonomische Situation in den Praxen der
niedergelassenen Ärzte. Hier kommt es entscheidend auf die Mithilfe aller Kolleginnen und Kollegen an. In
den nächsten Tagen wird allen Praxen ein Fragebogen zugehen, mit dem eine von
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung beauftragte Wirtschaftsprüfer-Gesellschaft Daten zur Praxisstruktur,
Leistungsstruktur und Kostenstruktur der jeweiligen Praxis erhebt. Es ist von großer Bedeutung, daß sich
möglichst viele an der Erhebung beteiligen - nicht nur im Hinblick auf die gezielte Weiterentwicklung der
Praxisbudgets, sondern auch um uns in die Lage zu versetzen, fundierter als bisher gegen-über den
Krankenkassen und der Politik die ökonomische Situation in den Praxen darzustellen und daraus die
zwingenden Forderungen abzuleiten.
Es ist sichergestellt, daß die Angaben der einzelnen Ärzte von der Wirtschaftsprüfer-Gesellschaft vertraulich
behandelt und der KBV lediglich als statistische Daten überlassen werden, die keine Rückschlüsse auf einzelne
Personen zulassen.
Datenauswertung im Dezember
Die Erhebung beginnt mit dem Versand der Fragebogen am 6. September. Bis zum 25. September sollten alle
Praxen angeschrieben sein. Wir rechnen mit den Rückläufen innerhalb von sechs Wochen, so daß Anfang
Dezember die Auswertung der Daten erfolgen kann.
Für die grundsätzliche Entscheidung über die Einführung von Praxisbudgets reichen die gegenwärtig
vorliegenden Daten über die durchschnittlichen Betriebsausgaben der Praxen indessen aus. Das heißt: Wir
brauchen die Angaben aus der Erhebung zur Verfeinerung des Systems, nicht aber, um es überhaupt
einzuführen.
Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wird sich also am 7. September im
Rahmen einer außerordentlichen Sitzung mit dem überarbeiteten Konzept befassen. Der KBV-Vorstand strebt
die Einführung der Praxisbudgets zum 1. Januar 1997 an. Von diesem Zeitpunkt an sollen dann die jetzt noch
geltenden Notlösungen ein Ende haben. Wir haben uns lange genug mit dem Thema EBM befassen müssen.
Das gilt für die Selbstverwaltung genauso wie für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort.
Die Entscheidung steht jetzt an
Ich hoffe doch, daß mit der Vertreterversammlung die grundsätzliche Diskussion abgeschlossen werden kann.
Es steht eine Vielzahl von hochbrisanten gesundheitspolitischen Problemen an, die zur Zeit die Bonner Politik
beschäftigen. An der Bewältigung dieser Probleme muß sich die Kassenärzteschaft unbedingt beteiligen, und
das mit einer Stimme. Einige Punkte möchte ich hier nennen:
Verhältnis ambulant/stationär;
Forderungen der Kassen nach Vertragsfreiheit außerhalb des Kollektivvertragssystems;
Überprüfung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nur wenn wir uns hier wieder dem Dialog mit der Politik stellen, haben wir auch die Chance, unsere
Vorstellungen über ein neues Vergütungssystem in die politische Diskussion einzubringen. Ich bin
zuversichtlich, daß mit den Praxisbudgets die gegenwärtigen Irritationen behoben werden und sich die
Kollegen auch wieder auf das konzentrieren können, was ihre eigentliche Aufgabe ist: die ambulante
medizinische Versorgung der Patienten auf einem möglichst hohen Niveau. Dr. Winfried Schorre
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