ArchivDeutsches Ärzteblatt36/1996Alpha-Liponsäure bessert kurzfristig Nervenfunktion: Studie soll langfristigen Nutzen abklären

POLITIK: Medizinreport

Alpha-Liponsäure bessert kurzfristig Nervenfunktion: Studie soll langfristigen Nutzen abklären

Koch, Klaus

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LNSLNS Normalerweise sollte die Reihenfolge umgekehrt sein, aber immerhin: Jahre nach Zulassung der Alpha-Liponsäure (Thioctsäure) zur Behandlung der symptomatischen diabetischen Neuropathie ist für den Beginn nächsten Jahres der Start einer großen, randomisierten, plazebo-kontrollierten Phase-III-Studie geplant. "Eine definitive Aussage" über den Nutzen der in der Vergangenheit durchaus umstrittenen Substanz verspricht sich Prof. Peter Dyck von der Mayo Clinic in Rochester. Unter "rigorosen Effizienzkriterien" sollen Symptome und Nervenfunktion bei 500 Patienten (250 Plazebo, 250 Liponsäure) über "mindestens zwei Jahre" verfolgt werden. Auf einem Pressegespräch anläßlich des "VI. International Symposium of the Autonomic Nervous System" in Phoenix (USA) nannte Dyck zwei Gründe, warum die wissenschaftliche Überprüfung der Liponsäure erst jetzt in Angriff genommen wird.


Kraftanstrengung
1. Untersuchungen wie die 1993 veröffentlichte "Rochester Diabetic Neuropathy Study" haben gezeigt, daß jeder zweite Diabetiker Zeichen einer Neuropathie aufweist. Etwa 15 Prozent der Zuckerkranken leiden unter Symptomen ihrer Nervenschäden, und "ein paar Prozent", so Dyck, haben eine schwere Neuropathie.
2. Angesichts der Vielfalt der Symptome und Ausprägungen der Neuropathie (siehe DÄ 23) hat es einer gehörigen Kraftanstrengung bedurft, bis sich internationale Experten auf einen Anforderungskatalog und einen einheitlichen Bewertungsmaßstab geeinigt haben, wie man überhaupt die Wirksamkeit eines Therapeutikums für die diabetische Polyneuropathie beurteilen sollte. Ihren Niederschlag hat diese Anstrengung in der "SaintPaul-Konsensus-Konferenz" gefunden. Um als wirksam beurteilt zu werden, muß ein Wirkstoff das Fortschreiten der Nervenschädigung zumindest in einem der drei Bereiche "subjektive Symptome", "Funktion der großen, myelinisierten Nervenfasern" oder "Funktion der kleinen Nervenfasern" signifikant verlangsamen können.
Die Hoffnung, daß die Alpha-Liponsäure diese Kriterien tatsächlich erfüllen könnte, ruht auf zwei Säulen. Zum einen gibt es einige aktuelle In-vitro-Untersuchungen und tierexperimentelle Hinweise auf eine antioxidative Schutzfunktion der Liponsäure. Laut Philip Low (Mayo Clinic) belegen neuere Untersuchungen, daß Diabetiker als indirekte Folge der Überzuckerung eine "schwere Beeinträchtigung der Abwehr gegen freie Sauerstoffradikale" aufweisen. Zudem gebe es gute Evidenzen, daß der Radikalüberschuß die Hyperglyk-ämiebedingte Ischämie noch verstärkt. Zumindest im Tiermodell zeigte Alpha-Liponsäure einen wirksamen Schutz vor oxidativen Nervenschäden.
Neben diesen Tierversuchen zeigen auch erste plazebokontrollierte Studien am Menschen, daß die AlphaLiponsäure zumindest eine kurzfristige positive Wirkung auf Symptome und einzelne Parameter der Nervenfunktionen hat. Zwei dieser Studien hat Dr. Dan Ziegler (Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf) vorgestellt. In der "Deutschen Kardialen Autonomen Neuropathie Studie" (DEKAN) nahmen 39 Typ-IIDiabetiker mit kardialer autonomer Neuropathie über vier Monate hinweg täglich oral 800 Milligramm AlphaLiponsäure, 34 weitere Plazebo.
Als Maß für den Einfluß der Behandlung auf die kardiale Dysfunktion wurde in der randomisierten Studie der Einfluß der Alpha-Liponsäure auf die Herzfrequenzvariabilität in Ruhe (Fünf-Minuten-EKG) gemessen. Dabei zeigte sich in zwei der vier gemessenen Parameter ("Root Mean Square Successive Difference" (RMSSD) und Herzfrequenzvariation (HFV) im Niedrigfrequenzbereich) eine statistisch signifikante Verbesserung, während die Behandlung auf zwei weitere Parameter (HFV im Hochfrequenzbereich und die Dauer des QTcIntervalls) von Ziegler zwar als "Trend" eingestuft wurde, aber keine Signifikanz erreichte.
Um zu klären, ob die beobachteten Effekte auch die Prognose des Patienten beinflussen – Diabetiker mit autonomer Neuropathie haben eine bis sechsfach erhöhte Mortalität – seien jedoch "weitere Langzeitstudien nötig, die auch klinische Faktoren mit einschließen".


Score-Verbesserung
Einen weiteren Beleg für einen Nutzen der Alpha-Liponsäure hatte kürzlich die "Alpha-Lipoic-Acid in Diabetic Neuropathy" Studie (ALADIN) geliefert. In dieser Studie waren 260 Patienten in vier Gruppen drei Wochen lang wochentags mit einer Infusion von Plazebo oder 100, 600 oder 1 200 Milligramm Liponsäure behandelt worden. Erfaßt wurde der Einfluß der Infusionen auf Parästhesie, Schmerzen, Brennen oder Taubheit, deren jeweilige Stärke in die Berechnung eines Total-Symptom-Scores einfloß. Nach drei Wochen zeigten die mit 600 und 1 200 Milligramm behandelten Patienten eine etwa 65prozentige Besserung des Scores, in der mit 100 Milligramm behandelten Gruppe zeigte sich allerdings kein Unterschied zu Plazebo.
Bemerkenswerterweise besserte auch die Plazebobehandlung den Symptom-Score um 30 Prozent. Dieser große Plazeboeffekt zeigt, wie unverzichtbar ein randomisiertes und doppelblindes Design ist, wenn eine Neuropathie-Studie überhaupt eine sinnvolle Aussage machen soll. Prof. Arnold Gries (Universität Düsseldorf) sieht die jüngeren Studien zur Alpha-Liponsäure als "Beleg für den Nutzen, den wir schon immer gesehen haben". Klaus Koch

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