BRIEFE
Psychiatrie-Reform: Mehr-Klassen-Psychiatrie verschärft sich
Zu dem Beitrag „Auf halbem Weg stecken geblieben“ von Petra Bühring in Heft 6/2001:


Gravierend eine weitere, in Ihrem Beitrag nicht erwähnte Entwicklung: Psychisch gestörte Menschen, die delinquent wurden, werden immer häufiger in den Maßregelvollzug eingewiesen – teilweise weil ihre Versorgung sich verschlechtert hat, weil sie zwischen die Maschen des sozialpsychiatrischen Netzes gefallen sind. Parallel dazu wurden Entlassungen vom Gesetzgeber – unter populistischem Druck – auf breiter Front erschwert. Die Einrichtungen sind überfüllt und überfordert, die Krankenhauspsychiatrie unterliegt einem drastischen Wandel durch Schaffung neuer forensischer Abteilungen.
Der gesellschaftliche Auftrag der Psychiatrie lautet wieder stärker, für Sicherheit zu sorgen. Mehr Sicherheit durch bessere Behandlung und differenziertere Risikoabwägungen können aber nicht durch mehr Mauern und festere Gitter ersetzt werden. Kommt es nicht schnell zu einer adäquaten Ausstattung und therapeutischen Ausrichtung des Maßregelvollzuges, drohen Perspektivlosigkeit und alte Langzeitpsych-
iatrie im neuen Gewande, letztlich weniger Sicherheit für alle.
Fazit: Die Mehr-Klassen-Psychiatrie ist nicht überwunden, sie verschärft sich. Zu Umhospitalisierung und Rationierung kommt nun Forensifizierung. Die Ziele der Psychiatrie-Enquete bleiben aktuell wie 1975. Dies sollte über den Fortschritten der Psychiatriereform nicht in Vergessenheit geraten.
Prof. Dr. med. Andreas Spengler, Südstraße 25, 31515 Wunstorf
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