ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2001Naturheilmittel Moor: Heiß geschätzt

VARIA: Heilbäder und Kurorte

Naturheilmittel Moor: Heiß geschätzt

Cremers, Birgit

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LNSLNS 20 Prozent der etwa 300 Heilbäder und Kurorte in Deutschland setzen die Peloidtherapie ein. Besonders bei Frauenleiden werden gute Ergebnisse erzielt.


Als 1950 der Moorbadebetrieb im oberschwäbischen Waldsee aufgenommen wurde, fing man bescheiden an: Vier Holzzuber wurden mit Torf gefüllt, der von Hand gestochen und von einem Pferdegespann zum Maximilianbad herbeigekarrt worden war. Fünf Jahre später verabreichten ein Bademeister und eine Krankenschwester bereits täglich rund 300 Bäder in warmem Moorbrei. Das Moor wurde Promotor der Kurort-Karriere Bad Waldsees.
Bäder im warmen Moorbrei
Die Kurgäste badeten nicht im Moor, denn dieser Begriff bezeichnet die Landschaftsform, sondern in dem aus dem Moor gewonnenen Torf. Er wird wie Fango oder Schlick zu den Peloiden (griechisch „Pelos“ heißt Schlamm, oidos: ähnlich) gezählt, die in vielen Kurorten als Naturheilmittel eingesetzt werden. Anders als Fango, der ein trockenes Verwitterungsprodukt fester Gesteine ist, enthält Torf überwiegend organische Stoffe. Moorgebiete sind nach dem Abschmelzen der letzten Eiszeitgletscher vor allem am Alpenrand, in Oberschwaben zwischen Donau und Bodensee oder in der norddeutschen Tiefebene entstanden, nach- dem die großen offenen Wasserflächen allmählich verlandeten. Im Verlauf von Jahrtausenden verwandelten sich Erlenbruchwald, Röhrichtgürtel, Seerosen und viele andere Pflanzen in Torf.
Torf ist eine Aufstapelung verschiedenster Pflanzenarten, die sich nach dem Absterben infolge Sauerstoffmangels durch Wasserabschluss nicht vollständig zersetzt haben. Auf die Niedermoore, die durch Verlandung entstehen, pfropfen sich Hochmoore auf. Letztere können auch in Gebieten mit feuchtem Klima oberhalb des Grundwasserspiegels entstehen. Wesentlich ist, dass der Feststoffanteil der Hochmoortorfe überwiegend aus organischen Stoffen besteht; es gilt als wertvolleres Heilmittel. Am Ende besteht der Torf aus weniger abgebauten Pflanzenbestandteilen, veränderten Abbau- und Zwischenprodukten der Vertorfung sowie aus neugebildeten Substanzen. Zu diesen gehören die Huminstoffe, die besondere Eigenschaften besitzen: Experimente lassen auf die Durchlässigkeit der Haut für Huminsäurevorstufen schließen.
Seit mehr als hundert Jahren haben Moorbäder in Europas Kurorten Tradition. Dafür wird der Torf gebrochen oder gemahlen, meist mit einem örtlichen Mineral- oder Quellwasser verrührt und auf 40 bis 42 °C (für Moorkontaktpackungen sogar bis 48 °C) erhitzt. Moorbäder und Packungen können mit höheren Temperaturen verabreicht werden, weil sie die Wärme langsamer abgeben als Wasser. Ein Moorbad von 42 °C wird nicht heißer empfunden als etwa ein Bad in 39 °C warmem Thermalwasser.
Durch den langsamen Wärmeübergang in den Körper werden Haut, Mus-
keln und Gelenke gut durchblutet, auch tiefer liegende Organe erwärmt. Daneben tritt der Effekt lokaler Überwärmung wie bei Packungen auf, was für schlecht durchblutete Geweberegionen vorteilhaft ist. Neben der thermophysikalischen Wirkung hat das zähflüssige Heilmittel einen biomechanischen Einfluss auf den Körper: Der starke Auftrieb entlastet Bandscheiben und Gelenke. Andererseits kann der hohe hydrostatische Druck beim Moorbad belastend für Herz und Kreislauf sein, setzt daher für die Verordnung volle Kompensationsfähigkeit des Herzens voraus.
Bei Arthrosen der Fingergelenke kann Moorkneten helfen
Die Wirkung der Inhaltsstoffe (Bitumen, Pektine, Cellulose, Hemicellulose, Lignine und Humine, Huminsäure und Abkömmlinge der Gerbsäure sowie östrogenähnliche Pflanzen-Hormone, die in verschiedenen Torfen vorkommen) ist noch nicht untersucht. Keim- und entzündungshemmende, adstringierende, zellstimulierende und hormonale Effekte sind aus der kurärztlichen Praxis bekannt, aber noch nicht nachgewiesen.
In Bad Tölz, das neben Jod- und Klimakuren seit Beginn der 70er-Jahre auch Moorbehandlungen anbietet, kommt der Badetorf aus dem nahe gelegenen Königsdorfer Moor. Er wird hauptsächlich bei chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates eingesetzt – entweder als Moorbad oder -packung. Dr. med. Wolf-Dieter Zwierzina, Sprecher des Ärztlichen Beirates in Bad Tölz, berichtet: „Bei Arthrosen der Fingergelenke ist außerdem das Moorkneten eine gute Behandlungsmöglichkeit. Die konduktive Wärmeübertragung bei der Moortherapie dürfte der wesentlichste Grund für die guten Ergebnisse sein.“
Neben Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule und verschiedenen Arten des Gelenkrheumas werden vor allem Frauenleiden traditionell erfolgreich mit Moor behandelt. Das niedersächsische Staatsbad Pyrmont
bietet eine Frauenkompaktkur an, bei der das Moor,
neben Sole und Heilwässern, zum Einsatz kommt. „Beschwerdelinderung erfolgt bei Naturmooranwendungen bei Sehnen-Muskelansatzproblemen, Polyarthrosen, Schulter-Arm-Syndromen, Arthrosen in Knie, Hüfte, Sprunggelenksbereich, Wirbelsäulensyndromen, Osteoporose und gynäkologischen Erkrankungen“, erklärt Diplomsportlehrer Werner Streicher, Therapieleiter des niedersächsischen Staatsbades. Mithilfe der Moortherapie werde im psycho-physischen Bereich eine Homöo-
stase angestrebt, die als Grundlage für Entspannungstraining und aktive Bewegungstherapie diene.
Moor kann gestörte Hormonzyklen regulieren
In Bad Waldsee wird das Moor seit einiger Zeit mit Erfolg bei Anschlussheilbehandlungen nach Unterleibsoperationen eingesetzt. Lediglich sechs AHB-Kliniken für Behandlungen nicht bösartiger gynäkologischer Erkrankungen gibt es in Deutschland (darunter auch die Fürstenhofklinik in Bad Pyrmont). Eine Säule bei der Therapie frauenspezifischer Leiden sind vaginale Mooranwendungen. 50 Grad warme Moortampons wirken ein bis zwei Stunden in der Scheide. Dr. med. Wolfgang Jentsch, Leiter der Gynäkologischen Abteilung der Städtischen Reha-Kliniken: „Neben dem örtlichen Effekt der Mehrdurchblutung führt die intensive Wärmebehandlung zu einer Erhöhung der Körperkerntemperatur. Dieses ,künstliche Fieber‘ verursacht über die Stimulierung von Hirnanhangdrüse, Nebennierenrinde und Eierstöcken eine vermehrte Ausschüttung weiblicher Hormone und reguliert gestörte Hormonzyklen.“ Er schreibt den Huminsäuren antibakterielle Wirkung zu, auch könne Moor körpereigene Giftstoffe abbauen und so eine Entschlackung bewirken. Allerdings: „Die Wirkung östrogenhaltiger Verbindungen ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.“ Birgit Cremers

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