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Schröder zu Sexualstraftätern: Weghören – für immer


Gerhard Schröder hat sich seine Meinung sicher nicht auf einer Expertentagung gebildet. Sonst hätte man ihn wohl an so unangenehme Begleiterscheinungen unseres Rechtsstaats erinnert wie zum Beispiel die Strafvollstreckungskammern bei den Gerichten. Dort und nicht im Bundeskanzleramt wird entschieden, ob zu lebenslanger Haft verurteilte Straftäter in Sicherheitsverwahrung und psychisch kranke Rechtsbrecher frei kommen oder nicht.
Für Prof. Dr. med. Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Essen, sind die Äußerungen eine „Fehlprognose des Bundeskanzlers“. Sexualstraftäter seien eine inhomogene Gruppe. Exhibitionisten zählten ebenso dazu wie Männer, die kleine Kinder vergewaltigten und töten. Zu solch schweren Verbrechen komme es fünf bis zehn Mal im Jahr, erläutert Leygraf, und die Zahl sei rückläufig.
Prof. Dr. phil. Rudolf Egg, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, hat einige Klischees zu Sexualstraftätern ebenfalls relativiert (DÄ, Heft 27/2000). Er wies darauf hin, dass Vergewaltiger zu etwa 20 Prozent rückfällig werden, das heißt, sie werden erneut wegen einer Sexualstraftat verurteilt. Sehr viel häufiger fielen sie ein zweites Mal wegen anderer Delikte auf.
„Wegschließen“ – diese Pauschalforderung verdeckt nur, wie vielschichtig die Wirklichkeit ist. Dazu gehört nicht nur die Erkenntnis, dass Täter sich voneinander unterscheiden. Dazu zählt auch, dass der „normale“ sexuelle Missbrauch von Kindern durch vertraute Erwachsene sehr viel häufiger ist als die spektakulären Verbrechen der jüngsten Zeit. Sabine Rieser
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