THEMEN DER ZEIT
Psychoanalyse: Schwierige Evaluation


Der gesundheitspolitische Druck auf die Psychoanalyse, ihre Wirksamkeit auch im Sinne evidenzbasierter Medizin nachzuweisen, nimmt zu. Zweifel am Nutzen der relativ teuren, weil hochfrequenten psychoanalytischen Langzeittherapie mehren sich in Zeiten knapper Kassen. Kritiker weisen auch auf die Behandlungsergebnisse der wesentlich kürzeren Verhaltenstherapie hin.
Bisher war die Qualität der wenigen systematischen Studien zur Wirksamkeit der Psychoanalyse „im Großen und Ganzen ungenügend“, schreiben Sandell et al. im Vorwort der hier vorgestellten Studie. Auch seien die Analytiker „merkwürdig desinteressiert“ gewesen, den Wert ihrer Arbeit in einer Weise zu belegen, die von der Wissenschaft hätte akzeptiert werden können. Dabei müsse allerdings berücksichtigt werden, dass der „Goldstandard“ klinischer Ergebnisstudien (prospektiver, doppelblinder, randomisierter, manualisierter Behandlungsplan) in der Ergebnisforschung bei Psychoanalysen kaum realisierbar sei. Auch das hohe Ausmaß von Vertraulichkeit im psychoanalytischen Setting führe dazu, dass Patienten nicht identifiziert werden können, was wissenschaftliche Evaluationen fast unmöglich macht.
Methodenkritische Diskussion
Die naturalistische retrospektive Studie von Leuzinger-Bohleber et al. und die naturalistische teilweise prospektive Studie von Sandell et al. versuchen den Wirksamkeitsnachweis trotz dieser Problematik. Die erfahrenen Psychotherapieforscher sind sich der Widersprüchlichkeiten jedoch bewusst. Methodenkritisch diskutiert werden Fragen wie: „Sind Erfolge von Psychotherapien überhaupt messbar? „Wer beurteilt die Ergebnisse der Psychotherapie?“ oder „Sind randomisierte, kontrollierte Erfolgsstudien in der Psychotherapieforschung ethisch vertretbar?“
Langzeiterfolge
Die Studie von Marianne Leuzinger-Bohleber et al. (1) untersuchte die Langzeitwirkung von Psychoanalysen (drei bis fünf Sitzungen pro Woche) und psychoanalytischen Langzeittherapien (ein bis zwei Sitzungen). Gegenstand der naturalistischen Katamnesestudie war eine repräsentative Stichprobe
(n = 401) aller ehemaligen Patienten, die zwischen 1990 und 1993 bei Analytikern der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung eine Therapie beendet haben. Die durchschnittliche Behandlungsdauer lag bei vier Jahren beziehungsweise 371 Stunden – das heißt, die Leistungen wurden zum Teil privat finanziert.
Fünf bis neun Jahre nach Behandlungsende berichteten 76 Prozent der in Katamnesinterviews befragten Patienten, dass sie mit der Behandlung zufrieden waren – unabhängig davon, ob sie eine hochfrequente Psychoanalyse gemacht hatten oder eine niederfrequentere psychoanalytische Therapie. Die folgenden Ergebnisse gelten ebenfalls für beide Gruppen. 80 Prozent der Patienten berichteten über positive Veränderungen in Bezug auf Wohlbefinden, persönliche Entwicklung, Beziehungen zu anderen, der Bewältigung von Lebensereignissen, Selbstwertgefühl, Stimmung, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit. Der Anteil der Patienten mit einer festen Partnerschaft nahm von Behandlungsbeginn zum Katamnesezeitpunkt von 67 auf 76 Prozent zu. Die Symptombelastung lag beim Durchschnitt der ehemaligen Patienten nur knapp oberhalb einer Normalstichprobe und war nach den Kriterien des Untersuchungsinstruments (SCL-90-R) klinisch unauffällig. Die Zahl der Kontakte bei ambulant tätigen Ärzten nahm von 6,7 Tagen im Jahr vor der Behandlung auf vier Tage im letzten Jahr der Behandlung ab; die Krankschreibungen nahmen von 10,3 Tagen auf
vier ab.
Der hohe Anteil von schweren Persönlichkeitsstörungen bei den von Psychoanalytikern behandelten Patienten überrascht: Mehr als die Hälfte der Stichprobe wies ursprünglich Borderlinestörungen, narzisstische Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen auf. Bei 75 Prozent dieser detailliert untersuchten Katamnesen stellten die Autoren der Studie einen stabilen Langzeiterfolg fest.
Psychoanalyse schneidet besser ab
Die Stockholmer Studie von Rolf Sandell et al. (2) untersuchte mehr als 400 Patienten in unterschiedlichen Behandlungsphasen von Psychoanalysen oder Langzeitpsychotherapien (psychodynamisch oder psychoanalytisch orientiert) sowie drei Jahre später anhand von Interviews, Fragebogen und amtlichen Statistiken. Die Ergebnisse: Psychoanalysepatienten (vier bis fünf Wochenstunden, durchschnittlich 400 Stunden mehr) erzielten, gemessen am SCL-90-R, bessere Behandlungsergebnisse als Patienten mit Langzeitpsychotherapie (ein bis zwei Wochenstunden). Signifikant wurden diese Werte jedoch erst in der drei Jahre späteren Nachuntersuchung; während der Behandlung waren keine Unterschiede zu erkennen. Die Wahrscheinlichkeit einer Folgebehandlung war nach Beendigung einer Langzeitpsychotherapie doppelt so hoch wie nach einer Psychoanalyse. Die Autoren führen die Überlegenheit der Psychoanalyse darauf zurück, dass eine große Anzahl von Psychotherapien mit einer „unangemessenen analytischen Haltung“ durchgeführt wurde. Die klassische psychoanalytische Haltung, die weniger Wert auf Unterstützung, Coping-Strategien, Wärme und Offenheit legt, sei zwar in Psychoanalysen angemessen, in Psychotherapien jedoch weniger.
Als unerwartetes Ergebnis bezeichnen die Autoren, dass Patienten nach Beendigung einer Psychoanalyse vermehrt Arbeitsunfähigkeitstage aufwiesen und häufiger einen Arzt kontaktierten. Das kontrastierte stark zu den Selbsteinschätzungen über verbessertes Wohlbefinden und Gesundheitszustand. Diesen paradox erscheinenden Befund wollen die Autoren weiter untersuchen.
Interessante Randergebnisse: Der psychoanalytische Glaubenssatz, dass Selbstzahler motivierter sind und deshalb bessere Behandlungsergebnisse erzielen, wurde in dieser Studie nicht bestätigt. Der Behandlungserfolg bei Patienten mit weiblichen Therapeuten war deutlich besser als der bei männlichen Therapeuten, unabhängig vom Geschlecht des Patienten und der Behandlungsart. Mit zunehmendem Alter und Erfahrung der Therapeuten verbesserten sich die Behandlungsergebnisse. Therapeuten mit einer besonders langen psychoanalytischen Selbsterfahrung hatten als Behandler besonders schlechte Ergebnisse.
Die Frankfurt-Hamburg LangzeitPsychotherapiestudie von Brockmann et al. (3) vergleicht verhaltenstherapeutische Langzeittherapie (im Durchschnitt 63 Sitzungen) mit psychoanalytischer Langzeittherapie (185 Sitzungen) bei je 31 Patienten. Im Gegensatz zu den beiden großen retrospektiven Studien mit multimorbiden Patienten ist dies eine prospektive Studie im naturalistischen Design. Aufgenommen wurden nur Patienten mit depressiven Störungen oder Angststörungen. Untersucht wurden die Patienten zu Behandlungsbeginn, nach einem Jahr, nach zweieinhalb und nach dreieinhalb Jahren.
Unterschiedliche Klientel
Ergebnisse: Psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Langzeittherapien waren gleichermaßen erfolgreich. Die Krankheitssymptomatik ebenso wie interpersonale Probleme konnten deutlich reduziert werden. Signifikante Unterschiede wiesen die Merkmale der Patienten auf: Diejenigen, die eine Psychoanalyse begannen, hatten einen höheren Bildungsstand, eine geringere Symptombelastung, nahmen weniger Medikamente und kamen weniger durch ärztliche Überweisung zum Psychotherapeuten als Patienten, die eine Verhaltenstherapie aufnahmen. Die Autoren folgern daraus, dass Therapievergleichsstudien mit parallelisierten Stichproben nicht unbedingt der Realität gerecht werden. Auch wenn Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeuten gleiche Störungen behandeln, so sind die Patienten „in vielfältiger Hinsicht unterschiedlich“. Petra Bühring
Literatur
1. Leuzinger-Bohleber M, Stuhr U, Rüger B, Beutel ME: Langzeitwirkungen von Psychoanalysen und psychotherapien: Eine multiperspektivistische repräsentative Katamnesstudie. In: Psyche, Heft 3/2001.
2. Sandell R, Blomberg J, Lazar A, Carlsson J, Broberg J, Schubert J: Unterschiedliche Langzeitergebnisse von Psychoanalysen und Psychotherapien. Aus der Forschung des Stockholmer Projekts. In: Psyche, Heft 3/2001.
3. Brockmann J, Schlüter T, Eckert J: Die Frankfurt-Hamburg Langzeit-Psychotherapiestudie – Ergebnisse der Untersuchung psychoanalytisch orientierter und verhaltenstherapeutischer Langzeit-Psychotherapien in der Praxis niedergelassener Psychotherapeuten. In: Langzeitpsychotherapie, Hrsg: Stuhr, Leuzinger-Bohleber M, Beutel ME; Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2001.