VARIA: Feuilleton
Auf den Spuren von Toulouse-Lautrec: Das alltägliche Leben


des Malers.
Wer bei Henri de Toulouse-Lautrec zu Gast war, musste sowohl einen gesunden Appetit mitbringen als auch trinkfest sein. Wenn jemand nach Wasser verlangte, wurde er auf eine Karaffe verwiesen, in der ein Goldfisch schwamm. Der Maler mochte kein Wasser, nur Absinth und Wein. Am 9. September vor hundert Jahren starb Henri de Toulouse-Lautrec im Alter von 37 Jahren. An Suff und Syphilis, wie böse Zungen behaupten.
Toulouse-Lautrec wurde am 24. November 1864 in Albi, der Hauptstadt des Departements Tarn in der südfranzösischen Region Midi-Pyrénées, geboren und verbrachte dort einen Teil seiner Kindheit. Das noble Stadthaus Hôtel du Bosc in der Rue Toulouse-Lautrec Nr. 14 ist immer noch in Familienbesitz.
Gleich um die Ecke steht die Kathedrale Sainte-Cécile wie eine uneinnehmbare Festung. Die mächtige Bastion des katholischen Glaubens wurde aus Backstein gebaut. Wie sich flämische Künstler in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Jüngste Gericht ausmalten, kann man auf einem riesigen Wandbild studieren. Ihre wüsten Fantasien von Tod und Teufel müssen dem kleinen Henri Albträume beschert haben.
Der Blick von der neuen Brücke auf die Pont Vieux, die sich seit dem 11. Jahrhundert über den Tarn schwingt, auf die Häuserzeile am Ufer und die alles überragende Kathedrale zählt zu den schönsten Stadtansichten. Dennoch existiert von Albi nur ein einziges Bild, das Toulouse-Lautrec gemalt hat. „Le Viaduc du Castelvieil“, die Eisenbahnbrücke, konnte er sehen, wenn er aus dem Fenster des Stadthauses schaute. 16 Jahre war er da alt und hatte zu dem Zeitpunkt schon beide Beine gebrochen. Zwei Jahre zuvor zog er sich einen Oberschenkelbruch zu, als er vom Schemel fiel. Ein Jahr darauf brach er sich das andere Bein bei einem Spaziergang während eines Kuraufenthaltes in den Pyrenäen. Nach den Brüchen wuchsen die Beine nicht mehr. Die Knochenschwäche war die Folge einer Pycnodysostose.
Die enge Verwandtschaft seiner Eltern, Cousins ersten Grades, wird häufig dafür verantwortlich gemacht. „Ohne die Krankheit hätte er sicher das Leben eines Grandseigneurs in der Provinz geführt“, vermutet Danièle Devynck, Kuratorin des Toulouse-Lautrec-Museums in Albi. Er wäre wie sein Vater Comte Alphonse auf die Jagd gegangen, hätte sich mit Hunden und Pferden beschäftigt, ein wenig gezeichnet und sonst den Müßiggang gepflegt. Das Malen lag der Familie im Blut.
„Nach zwei Beinbrüchen war die Malerei eine folgerichtige Konsequenz und wurde zur Leidenschaft, zum Beruf“, erläutert die Kuratorin des Museums. Der Spross einer reichen Adelsfamilie musste jedoch nie vom Verkauf seiner Bilder leben. 1882 ging er als 18-Jähriger nach Paris und trat in das Atelier Bonnat ein. Er bedaure den Bleistift, den er den ganzen Tag über das Papier führen müsse, schreibt er seiner Großmutter nach Schloss Bosc. Mit seinem ersten Lehrherrn verstand er sich nicht.
Der einflussreiche Leon Bonnat sollte es später zu verhindern wissen, dass die Werke Toulouse-Lautrecs nach seinem Tod im Louvre ausgestellt werden. Nicht mal geschenkt wollte man sie dort haben. „Sie haben das Neue in seiner Kunst nicht verstanden“, begründet Danièle Devynck die Ablehnung. Seit 1922 sind um die tausend Gemälde, Zeichnungen, Lithographien, darunter die bekannten 31 Plakate, in Albi zu sehen. Das Pikante daran: Das Toulouse-Lautrec-Museum ist im Palais de la Berbie, dem einstigen Sitz des Erzbischofs und Wäch-
ter der Inquisition, untergebracht. Und Sujet des Künstlers waren vor allem Pariser Tänzerinnen, Prostituierte, Mädchen mit geschürzten Röcken.
Das Neue seiner Kunst war auch, das alltägliche Leben abzubilden, ohne Bezug zur Geschichte oder Mythologie. Toulouse-Lautrec malte am liebsten Frauen – La Goulue, Jane Avril, Yvette Guilbert mit roten Lippen und schwarzen Handschuhen. Zu der Halbwelt des Montmartre fühlte sich der Außenseiter hingezogen.
Für das „Moulin Rouge“, wo er aus und ein ging, entwarf er das erste Plakat, das ihn schlagartig berühmt machte. Bemerkenswert übrigens ist der Saal im Toulouse-Lautrec-Museum, in dem „Au Salon de la Rue des Moulins“ hängt. Das Bild zeigt eine Szene aus einem Bordell, in dem sich der Künstler 1894 zwecks Charakterstudien – so heißt es jedenfalls – einquartiert hatte. Die gemalten Damen posieren lässig auf bordeauxrotem Mobiliar. Die Sitzgruppe, auf der sich Besucher des Museums niederlassen können, hat die gleiche Form und Farbe.
Elke Sturmhoebel
Stadtansicht von Albi, der Geburtsstadt von Toulouse-Lautrec Fotos: Elke Sturmhoebel
Weitere Informationen: Museen: Das Château du Bosc bei Naucelle kann täglich von 9 bis 19 Uhr besucht werden. Das Musée Toulouse-Lautrec in Albi hat von November bis Februar, außer dienstags, von 10 bis 12 und 14 bis 17 Uhr geöffnet (im Sommer längere Öffnungszeiten). Dort gibt es auch einen Audioguide auf Deutsch. Auskünfte: Französisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 10 01 28, 60001 Frankfurt, Telefon: 01 90/57 00 25, Fax: 59 90 61, E-Mail: franceinfo@mdlf.de, Internet: www.franceguide.com