ArchivDeutsches Ärzteblatt40/2001Toxische Leberschäden durch Arzneimittel

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Toxische Leberschäden durch Arzneimittel

Teschke, Rolf

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LNSLNS Zusammenfassung
Eine Vielzahl von Arzneimitteln aus allen Indikationsgebieten kann ein breites Spektrum toxischer Lebererkrankungen verursachen. Pathogenetisch kommen Überdosierungen für die obligate Leberschädigung und toxisch-metabolische sowie allergisch-immunologische Faktoren für die fakultative Leberschädigung infrage, die unvorhersehbar ist und nur bei wenigen Patienten auftritt. Zahlreiche Risikofaktoren für medikamentenbedingte Lebererkrankungen sind bei einzelnen Arzneimitteln bekannt und umfassen Alter, Geschlecht, genetische Determinanten, Reexposition, Körpergewicht, Nahrungskarenz, Konsum von Enzym induzierenden Stoffen, beispielsweise Alkohol, sowie Nierenfunktionsstörungen und andere organische Erkrankungen. Klinisch stehen die Zeichen einer akuten oder chronischen Lebererkrankung im Vordergrund, sodass differenzialdiagnostisch arzneimittelunabhängige Leberkrankheiten ausgeschlossen werden müssen. Bei frühzeitiger Erkennung arzneimittelbedingter Leberschäden und sofortigem Absetzen der angeschuldigten Medikation ist die Prognose meist gut, letale Verlaufsformen sind möglich, aber selten. Die Indikation zur Lebertransplantation kann gegeben sein.

Schlüsselwörter: Arzneimittel, toxischer Leberschaden, toxischer Metabolit, Radikal, Enzyminduktion

Summary
Drug Induced Toxic Liver Diseases
A variety of drugs prescribed for virtually all indications may cause a broad spectrum of toxic liver disease. The pathogenetic mechanisms involve overdosage of the drug for the obligate type of liver disease and toxic-metabolic as well as allergic-immunologic factors for the facultative type. The latter is unpredictable and restricted to only very few patients. Multiple risk factors of drug induced liver diseases are known for few drugs and include age, sex, genetic determinants, rechallenge, body weight, fasting, consumption of alcohol and other enzyme inducing agents as well as renal and other organic diseases. Clinical signs are those of an acute or chronic liver disease, so that other causes apart from the drug related ones have to be discerned. Early recognition of drug induced liver diseases and immediate cessation of the involved drug is essential and renders a mostly good prognosis. Lethal outcomes are possible but rare. The indication for liver transplantation may have to be considered.

Key words: drug, toxic liver disease, toxic metabolite, radical, enzyme induction


Primäres Ziel einer Behandlung mit Arzneimitteln ist die Heilung von Krankheiten oder zumindest eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Allerdings kann die Einnahme von Arzneiwirkstoffen in seltenen Fällen auch mit erheblichen Risiken verbunden sein und ein Absetzen der Medikation erfordern. Neben vielen anderen Organen gilt die Leber als Hauptorgan für die Manifestation arzneimittelbedingter Nebenwirkungen, da dieses Organ das Zentrum für den Stoffwechsel und zudem wichtig für den Arzneimittelstoffwechsel ist (4, 10, 11, 14). Schwere und lebensbedrohliche toxische Lebererkrankungen können Folge einer Arzneimittelreaktion sein, daher ist auch bereits bei Verdachtsfällen eine unverzügliche Meldung dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gemäß der Berufsordnung für Ärzte absolut notwendig.
Klassifikation
Eine Unterteilung der arzneimittelbedingten Leberschäden in eine obligate (vorhersehbare) und eine fakultative (unvorhersehbare) Form ist sinnvoll (Tabelle 1) (14). Die obligate Arzneimittelleberschädigung wird durch eine Überdosierung eines Arzneimittels hervorgerufen und ist eindeutig vorhersehbar. Das Ausmaß der Schädigung ist dosisabhängig und beim Versuchstier reproduzierbar, theoretisch auch beim Patienten und bei Normalpersonen. Vorhersehbar sind toxische Leberschäden durch Überdosierung beispielsweise von Isoniazid, Mercaptopurin, Methotrexat, Tetracyclinen und Paracetamol (4, 6, 9, 11, 14).
Im Gegensatz dazu tritt die fakultative Leberschädigung unvorhersehbar bei normaler Dosierung der Arzneimittel auf, sie ist weder beim Versuchstier noch bei Normalpersonen reproduzierbar, wohl aber unter theoretischen Aspekten beim betroffenen Patienten. Dabei ist eine Aufteilung in eine metabolisch-toxische und eine allergisch-immunologische Untergruppe angebracht.
Biotransformation
Idealerweise sollte ein Arzneimittel nicht nur in der aufgenommenen Form sondern auch als Metabolit wirksam sein, um die Dosierung des Medikaments so gering wie möglich zu halten. Häufig ist allerdings nur die aufgenommene Muttersubstanz oder der erste Metabolit pharmakologisch wirksam. Auf molekularer Ebene verläuft der erste Schritt des Stoffwechsels für Arzneimittel und andere exogene Substanzen über das Zytochrom P450 im endoplasmatischen Retikulum der Leberzelle des Elektronenmikroskopikers, entsprechend der Mikrosomenfraktion des Biochemikers (10, 13, 14). Die Oxidation eines Arzneimittels beginnt mit seiner Bindung an das Zytochrom P450 und durchläuft zahlreiche Zwischenstufen (Grafik 1). Bei kompletten und störungsfreien Oxidationen entstehen H2O, oxidierter Arzneimittelmetabolit in inaktiver oder aktiver Form und
Zytochrom P450-Fe3+. Wenn die Oxidationsprozesse im Stadium des nach Aufnahme des zweiten Elektrons entstandenen tertiären Komplexes (Zytochrom P450-Fe2+-O°2-Substrat) allerdings nicht vollständig ablaufen, werden Superoxidanionradikale freigesetzt und weitere reaktive Sauerstoffspezies (ROS) unter Einschluss von Arzneimittelradikalen gebildet. Diese Vorgänge werden als oxidativer Stress bezeichnet und sind für die Entstehung toxischer Leberschäden durch Arzneimittel bedeutsam (14).
Pathogenese
Wichtige pathogenetische Faktoren für arzneimittelbedingte Lebererkrankungen sind oxidativer Stress durch die Beteiligung des Zytochrom P450 (Grafik 1) und die Existenz zahlreicher Isoenzyme des Zytochrom P450 mit unterschiedlichen Substratspezifitäten, verschiedenen Modulatoren und zahlreichen genetischen Polymorphismen und den sich daraus ergebenden möglichen Arzneimittelinteraktionen an den Bindungsstellen der Zytochrom-P450-Isoenzyme (14). Auf zellulärer Ebene sind neben den Hepatozyten in unterschiedlichem Ausmaß auch Nichtparenchymzellen der Leber unter Mitwirkung zahlreicher Mediatoren beteiligt (Grafik 2).
Bei den meisten der fakultativen Leberschäden sind allergisch-immunologische Mechanismen pathogenetisch bedeutsam (3, 14). Voraussetzung ist der enzymatische Abbau von Arzneimitteln zu reaktiven Metaboliten, die sich kovalent an die am Abbau beteiligten mikrosomalen Isoenzyme des Zytochrom P450 binden. Das entstandene Neoantigen kann dann eine immunologische Antwort hervorrufen, wobei die entstandenen Antikörper das native und/oder das modifizierte Enzymprotein erkennen und eine Reaktion autoimmuner Art auslösen. An der durch das Neoantigen hervorgerufenen Hypersensitivität können unabhängig von den Autoantikörpern auch T-Lymphozyten allein beteiligt sein und die Leberzellnekrose und Apoptose einleiten. Autoimmune Mechanismen werden beispielsweise für die Leberschädigung durch Halothan und Dihydralazin angenommen. Andererseits kann auch der Metabolit eines Arzneimittels wie des Diclofenac als Antigen fungieren und damit als Hapten eine immunologische Reaktion auslösen. Schließlich besteht zudem die Möglichkeit, dass die immunologische Antwort auf ein Hapten mit anderen unbeteiligten Proteinen kreuzreagiert, was als molekulare Mimikry bezeichnet wird. Als Beispiel hierfür seien die Antikörper der Dihydrolipoamid-Acetyltransferase-Subunit des Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexes bei der Leberschädigung durch Halothan genannt.
Risikofaktoren
Die Risikofaktoren für arzneimittelbedingte Leberschäden sind vielfältig (1, 3, 14) und umfassen genetische Determinanten (1, 3, 14), Geschlecht (3, 14), Körpergewicht (3, 12, 14), Nahrung (3, 14), Alkohol (3, 4, 11, 14) und andere Enzym induzierende Substanzen (3, 14), Nierenfunktionsstörungen (1, 3), verschiedene Erkrankungen (1) und das Alter der Patienten (3, 12, 14). So kann beispielsweise die genetisch bedingte langsame Acetylierung von Sulfonamiden dazu führen, dass das nichtacetylierte Arzneimittel stattdessen mittels
Zytochrom P450 zu hepatotoxischen Abbauprodukten metabolisiert wird (3). Auch Veränderungen des oxidativen Arzneimittelstoffwechsels stellen einen Risikofaktor für arzneimittelbedingte Leberschäden dar, wie dies beispielsweise für die CYP450 2D6 katalysierte Debrisoquin-Hydroxylierung (1) in Kombination mit einer langsamen Sulphoxidation von Chlorpromazin und anderen Neuroleptika gezeigt werden konnte (3). Weiterhin wird durch Induktion des Zytochrom P450 und einer dadurch bedingten gesteigerten Bildung von reaktiven Metaboliten die Entwicklung einer toxischen Leberschädigung beispielsweise durch Isoniazid, Paracetamol, Valproinsäure oder Halothan gefördert (3, 14). Dabei kann die Enzyminduktion von Zytochrom P450 durch Medikamente, Alkohol, Nahrungskarenz und Übergewicht hervorgerufen werden. Weitere Risikofaktoren sind vorbestehende mitochondriale Erkrankungen, die mit einer herabgesetzten b-Oxidation, Störungen des Harnstoffzyklus und mitochondrialen Zytopathien einhergehen und Voraussetzung für eine toxische Leberschädigung durch Valproinsäure, Aspirin oder Tetracycline sind, da diese Medikamente oder ihre Metabolite die mitochondriale b-Oxidation beeinträchtigen und daher eine toxische Fettleber auslösen (3, 11, 14).
Häufigkeit
Klinisch verläuft die arzneimittelbedingte Lebererkrankung entweder akut oder chronisch und ist daher primär oft nicht von den Lebererkrankungen anderer Ätiologie abzugrenzen. Asymptomatische Verlaufsformen werden meist nur zufällig entdeckt, geringe Erhöhungen der Leberwerte bis zum Zweifachen der oberen Normgrenze sind mehr als Ausdruck einer Adaptation und weniger als Zeichen einer Leberschädigung zu werten (3, 6). Da die Mehrzahl der arzneimittelbedingten Lebererkrankungen subklinisch und anikterisch verläuft und daher nicht erfasst wird, ist die Prävalenz nicht genau anzugeben. Sie ist wahrscheinlich relativ gering, da vor Einführung eines Arzneimittels umfangreiche toxikologische und klinische Untersuchungen zum Ausschluss einer offensichtlichen toxischen Leberschädigung durchgeführt werden. Immerhin ist bei etwa zwei Prozent aller mit einem Ikterus eingewiesenen Patienten eine medikamentös-toxische Ursache festgestellt worden, bei älteren Patienten sind es sogar 20 Prozent (11). In Frankreich soll bei 40 Prozent der über 50-jährigen, wegen einer Hepatitis eingewiesenen Patienten ursächlich eine medikamentös-toxische Genese der Lebererkrankung vorliegen. Klinisch bedeutsam ist die Häufigkeit einer medikamentösen Ursache von bis zu 25 Prozent sowohl bei akutem Leberversagen als auch bei chronischen Lebererkrankungen. Bei den einzelnen Medikamenten ist die prozentuale Häufigkeit eines Ikterus und/oder einer Hepatotoxizität unterschiedlich (14).
Latenzzeit
Die Latenzzeit bis zur Entstehung von arzneimittelbedingten Lebererkrankungen ist recht unterschiedlich (3, 5, 8, 14) und kann beispielsweise einige wenige Tage für Tetracycline und Halothan betragen, mehrere Wochen für Chlorpromazin und Steroide mit einer C-17–Alkylgruppe sowie letztendlich Monate für a-Methyldopa (14). Auf der anderen Seite ist eine arzneimittelbedingte Leberschädigung auch dann noch möglich, wenn das Medikament bereits seit mehreren Wochen nicht mehr eingenommen wurde (3). Sehr kurze Latenzzeiten von wenigen Tagen sind bei ungewollten Reexpositionen zu beobachten und dann auch diagnostisch wichtig (7).
Anamnese
Bei den anamnestischen Angaben ist zunächst die Erhebung einer akribischen Medikamentenanamnese von entscheidender Bedeutung. Dabei ist insbesondere auf die Dauer und Dosierung der eingenommenen Medikamente unter Einbeziehung von pflanzlichen Mitteln zu achten, da toxische Leberschäden auch nach kombinierter Einnahme von chemischen Arzneimitteln mit pflanzlichen Mitteln beobachtet wurden und pflanzliche Mittel wie chinesische Kräutermixturen selbst mit chemisch definierten, potenziell hepatotoxischen Arzneimitteln versetzt sein können (14). Wichtig sind auch Angaben zum Alkoholkonsum, der eine ausgeprägte Induktion des Zytochrom P450 2E1 verursacht und dadurch eine Leberschädigung durch chemische Arzneimittel begünstigen kann. Auch sollte die Frage nach der Einnahme von Johanniskraut nicht fehlen, da dessen Inhaltsstoff Hypericin eine erhebliche Induktion des Zytochrom P450 3A4 und 1A2 verursacht und unter theoretischen Aspekten ein erhöhtes Risiko für eine Leberschädigung durch ein chemisches Arzneimittel darstellen kann.
Symptomatik
Die klinische Symptomatik arzneimittelbedingter Lebererkrankungen ist facettenreich und uncharakteristisch zugleich (3, 4, 5, 6, 7, 11, 12, 14). Das Spektrum umfasst Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Schmerzen im rechten Oberbauch, Arthralgien, Myalgien, Pruritus, Exanthem, Stuhlentfärbung sowie Urin-Dunkelfärbung. Das auffälligste Symptom ist jedoch häufig ein Ikterus, der bei den unterschiedlichen histologischen Bildern auftreten kann. Da die von den Patienten angegebenen Beschwerden zahlreich sind, wird an die Diagnose einer arzneimittelbedingten Lebererkrankung oft sehr spät gedacht. Die Diagnose wird meist auch dadurch erschwert, dass von multimorbiden Patienten oft mehrere Medikamente gleichzeitig eingenommen werden. Hilfreich für die Diagnose ist eine Besserung oder ein vollständiger Rückgang der angegebenen Symptomatik nach Absetzen der angeschuldigten Medikation. Im Allgemeinen lassen sich einzelne Symptome nicht auf ein bestimmtes potenziell hepatotoxisches Medikament zurückführen, lediglich die Symptome Fieber, Exanthem, Arthralgien und Myalgien weisen diagnostisch auf ein Medikament aus der Gruppe der fakultativen Leberschädigung mit immunologisch-allergischer Ursache hin.
Besonders zu bemerken ist, dass auch neu zugelassene Arzneimittel Ursache einer fakultativen Leberschädigung sein können, die sich klinisch unter dem Bild einer akuten Hepatitis mit oder ohne Cholestase manifestiert (14).
Körperliche Untersuchungsbefunde
Der wichtigste körperliche Untersuchungsbefund bei Patienten mit einer arzneimittelbedingten Lebererkrankung ist sicher die Gelbsucht, die als Folge von Leberzellnekrose, einer toxischen Hepatitis oder toxischen Cholestase zu deuten ist. Die Gelbsucht kann mit zahlreichen Hautveränderungen einschließlich eines morbilliformen Exanthems oder einer Urtikaria einhergehen. Die Leber ist häufig vergrößert und druckschmerzhaft, eine Splenomegalie ist eher selten. Organische Korrelate für die angegebenen Arthralgien oder Myalgien finden sich nicht.
Labordiagnostik
Laborchemisch findet man bei den arzneimittelbedingten Lebererkrankungen unterschiedlich erhöhte Werte von Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT), Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT), g-Glutamyltransferase (g-GT), alkalische Phospatase (AP), Bilirubin und auch absoluten Eosinophilen. Gleichzeitig können Zeichen der Nierenfunktionsstörung und der Knochenmarksschädigung vorhanden sein (4, 10, 11, 12, 14). Bei der Arzneimittelleberschädigung mit intrahepatischer Cholestase zeigt sich vorwiegend eine Erhöhung der g-GT und AP, während die Transaminasen normal oder nur wenig erhöht sind. Fakultativ ist das direkte Bilirubin im Serum erhöht, eine Eosinophilie ist häufig nachweisbar. Im Gegensatz dazu stehen bei der Arzneimittelleberschädigung mit Leberzellschädigung im Sinne einer toxischen Hepatitis oder Leberzellnekrose Aktivitätserhöhungen der Transaminasen im Vordergrund, während die g-GT mäßig und die AP leicht erhöht oder normal ist.
Die früher häufig empfohlene Durchführung eines Reexpositionstests mit entsprechender Labordiagnostik ist heute aus ethischen Gründen wegen erheblicher potenzieller Nebenwirkungen nicht mehr vertretbar und daher vollständig aufgegeben worden.
Immunologische Tests zur Diagnosesicherung von arzneimittelbedingten Lebererkrankungen haben sich bis auf wenige Ausnahmen als wenig brauchbar erwiesen. Bei verschiedenen Arzneimitteln wie Clometacin, a-Methyldopa, Fenofibrat, Oxyphenisatin, Iproniazid und Papaverin können Antikörper gegen Kerne, glatte Muskulatur und Mitochondrien kombiniert oder auch allein als unspezifische Befunde nachgewiesen werden, die nach Absetzen der Medikation innerhalb von Wochen oder Monaten wieder verschwinden (10, 11). Weitere Autoantikörper sind auch bei toxischen Leberschäden durch Halothan und Isoniazid beschrieben worden (11). Andererseits ist ein spezifischer Antikörper wie der Anti-LKM2-Autoantikörper bei der durch Tienilsäure hervorgerufenen Hepatitis gefunden worden. Dieser Antikörper ist spezifisch gegen das menschliche Zytochrom P450 2C9 gerichtet, das die Tienilsäure in einen reaktiven Metaboliten umwandelt und dadurch eine kovalente Bindung des Metaboliten mit dem Isoenzym P450 2C9 ermöglicht (10). In ähnlicher Weise entstehen bei der durch Dihydralazin hervorgerufenen Hepatitis Autoantikörper (Anti-LM-Antikörper) (11), die gegen das an dem Metabolismus von Dihydralazin beteiligten Isoenzym P450 1A2 gerichtet sind (10).
Bildgebende Diagnostik
Die sonographischen Befunde sind im akuten Stadium der arzneimittelbedingten Leberschädigung insgesamt meist uncharakteristisch, aber zum Ausschluss anderer Lebererkrankungen mit Raumforderungen und zur Abgrenzung eines extrahepatischen Ikterus unabdingbar. Bei den chronischen Stadien der arzneimitteltoxischen Lebererkrankungen finden sich die hierfür typischen sonographischen Befunde. Die Leberuntersuchung mittels Sonographie und Farbdoppler ist auch zur Frage eines Budd-Chiari-Syndroms im Rahmen einer arzneimittelbedingten Leberschädigung indiziert.
Histologie
Die histologischen Bilder arzneimittelbedingter Lebererkrankungen sind zahlreich und uncharakteristisch zugleich (14), können aber bei der Interpretation von erhobenen Laborbefunden für die Diagnosesicherung hilfreich sein (4, 11, 14). Das histologische Bild einer letal verlaufenden Halothan-Hepatitis zeigt überwiegend Massenekrosen der Leber (Abbildung) bei typischem klinischen Verlauf (Tabelle 2) (12, 14).
Differenzialdiagnose
Die Diagnose arzneimittelbedingter Leberschäden wird heute aufgrund der Medikamentenanamnese, der Latenzzeit, der klinischen Symptomatik und des Verlaufs nach Absetzen der angeschuldigten Medikation, der Laborbefunde und gegebenenfalls des histologischen Befundes nach Ausschluss anderer Erkrankungen der Leber, aber auch der Gallenwege sowie des Pankreas mittels Serologie, Sonographie, Computertomographie, Kernspintomographie, Endosonographie und endoskopischer retrograder Cholangio-Pancreaticographie (ERCP) gestellt (14). Gelegentlich kommt es auch zu einer unbeabsichtigten Reexposition mit gleicher Symptomatik, was die Diagnose erleichtert.
Natürlicher Verlauf
Leichte Formen der arzneimittelbedingten Leberschäden heilen nach Absetzen der Medikation meist rasch und vollständig aus. Bei schweren Verläufen ist der arzneimittelbedingte Ikterus nicht oder nur prolongiert rückläufig (8, 10, 11, 14). Auch ein akutes Leberversagen mit Todesfolge ist durch einzelne Medikamente im Rahmen einer arzneimittelbedingten Lebererkrankung möglich (Textkasten) (3, 4, 5, 7, 8, 11, 14).
Therapie
Das sofortige Absetzen des angeschuldigten Medikaments ist bei allen Formen der arzneimittelbedingten Lebererkrankung notwendig, gleichgültig ob es sich um die obligate oder die fakultative Form der Leberschädigung handelt. Bei der fakultativen arzneimittelbedingten Lebererkrankung ist eine spezifische Therapie nicht allgemein gesichert. In Einzelfällen ist jedoch eine Cortisonbehandlung bei protrahiert verlaufenden arzneimittelbedingten Lebererkrankungen mit Erfolg durchgeführt worden (3), vor allem bei Patienten mit einer allergisch-immunologischen Reaktion (Exanthem, Fieber, Eosinophilie) (6). Bei prolongierter arzneimittelbedingter Cholestase kommen supportive Maßnahmen wie Colestyramin und Phenobarbital zur Linderung infrage, außerdem ist die Substitution der fettlöslichen Vitamine A, D, E, K bei Malabsorption zu empfehlen (11). Vielfache positive Effekte sind durch die Gabe von Ursodesoxycholsäure bei zahlreichen toxischen Leberschäden beschrieben worden, die durch Medikamente wie Amiodaron, Amoxicillin plus Clavulansäure, anabole Steroide, Cetirizin, Ciclosporin, Chlorpromazin, Flucloxacillin, Flutamid, Pravastatin, Prochlorpromazin und Testosteron hervorgerufen wurden (6, 8, 11,14). Wenn im Rahmen einer arzneimittelbedingten Lebererkrankung ein fulminanter Verlauf mit akutem Leberversagen auftritt, ist die Lebertransplantation die Therapie der Wahl mit einer besseren Prognose als eine konservative Therapie (3). Nur bei einigen wenigen Arzneimitteln finden sich sehr häufig geringe Erhöhungen der Transaminasen, g-GT oder AP, die sich trotz Fortsetzung der Behandlung normalisieren. Hierzu gehören bestimmte Tuberkulostatika und Antiepileptika (11, 14). Dennoch sind bei diesen Medikamenten regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig, damit bei einer Verschlechterung der Werte die angeschuldigten Medikamente abgesetzt oder gegebenenfalls unter engmaschiger Kontrolle zumindest in ihrer Dosierung reduziert werden können.
Bei der obligaten arzneimittelbedingten Lebererkrankung, beispielsweise im Rahmen einer Überdosierung von Paracetamol, ist zunächst die primäre Giftelimination und dann die intravenöse Gabe von N-Acetylcystein notwendig, da hierdurch vermehrt Glutathion in der Leber entsteht und dann zur Entgiftung der toxischen Paracetamol-Metaboliten zur Verfügung steht (4, 10, 11, 14). N-Acetylcystein wird intravenös appliziert in einer Dosierung von 150 mg/kg in 200 ml 5 Prozent Glucoselösung (15 Minuten), gefolgt von 50 mg/kg in 500 ml 5 Prozent Glucoselösung (4 Stunden) und abgeschlossen mit 100 mg/kg in 1000 ml 5 Prozent Glucoselösung (16 Stunden). Wenn die Therapie zu spät eingeleitet wird, besteht die Gefahr eines akuten Leberversagens (10). In diesem Fall ist eine Lebertransplantation die Therapie der Wahl.
Prognose
Das Absetzen der Medikation führt meist zu einer raschen Besserung der klinischen Symptomatik und der pathologischen Leberwerte, sofern das Bild einer fakultativen toxischen Hepatitis vorliegt (3). Prolongierte Verlaufsformen sind jedoch bei den arzneimittelbedingten Lebererkrankungen mit Cholestase die Regel (10, 11, 14).
Problematisch ist das Auftreten eines akuten Leberversagens, außerdem die Entwicklung von chronischen Lebererkrankungen und Lebertumoren. Die Prognose ist dann abhängig von der jeweiligen Art der Lebererkrankung. Eine schlechte Prognose haben Patienten, die das angeschuldigte Arzneimittel auch noch nach Auftreten der klinischen Symptomatik einer arzneimittelbedingen Lebererkrankung weiter einnehmen.
Prävention
Allgemein wird vor Einleitung einer jeden medikamentösen Behandlung der Nutzen gegenüber den Risiken einschließlich einer arzneimittelbedingten Lebererkrankung überprüft. Für die unterschiedlichen Medikamente ist die Kenntnis der verschiedenen Risikofaktoren für arzneimittelbedingte Leberschäden als wichtige präventive Maßnahme notwendig (14). Ebenso ist der Patient über die möglichen Nebenwirkungen aufzuklären, der klinische Verlauf zu beobachten und eine entsprechende Labordiagnostik zu veranlassen. Leider kommt es aus verschiedenen Gründen gelegentlich zu einer nicht beabsichtigten Reexposition mit dem angeschuldigten Arzneimittel. Aus präventiver Sicht ist es daher unabdingbar, dass der Patient über das Medikament ausführlich informiert wird, das bei ihm zu einer toxischen Leberschädigung geführt hat. Darüber hinaus ist eine detaillierte Dokumentation in den ärztlichen Akten, im Arztbrief und im Notfallausweis absolut notwendig.
Selbstverständlich ist die empfohlene Dosierung und Therapiedauer einzuhalten, um Überdosierungen und kumulative Schäden zu verhindern. Messungen von Arzneimittelspiegeln im Blut können notwendig werden (6). Aus präventiver Sicht ist die Gabe von 500 mg Disulfiram am Tage vor einer Halothannarkose sinnvoll, da hierdurch das für die Schädigung verantwortliche Zytochrom P450 2E1 blockiert und dadurch die Bildung toxischer Halothanabbauprodukte erheblich reduziert wird (2, 11, 14).
Resümee
Toxische Lebererkrankungen sind selten, aber potenziell lebensbedrohend. Sie bedürfen einer frühzeitigen Erkennung, da durch Absetzen der angeschuldigten Medikation eine rasche Heilung möglich ist.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2001; 98: A 2584–2589 [Heft 40]
Literatur
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14. Teschke R: Toxische Lebererkrankungen: Alkohol, Arzneimittel, Gewerbe- und Naturtoxine. Stuttgart: Thieme 2001.

Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Rolf Teschke
Medizinische Klinik II
Klinikum Stadt Hanau
Leimenstraße 20
63450 Hanau


´Tabelle 1
Klassifikation der Leberschädigung durch Arzneimittel
Arzneimittelbedingte Leberschädigung
obligater Typ fakultativer Typ
Dosisabhängig + –
Vorhersehbar + –
Reproduzierbar
– Patient + +
– Normalperson + –
– Versuchstier + –
Toxisch-metabolisch + +
Allergisch-immunologisch – +


Medizinische Klinik II (Direktor: Prof. Dr. med. Rolf Teschke), Klinikum Stadt Hanau, Akademisches Lehrkrankenhaus der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main


Rolle des Zytochrom P450 bei der Oxidation von Substraten wie Arzneimitteln, Äthanol, Toxinen, Prokarzinogenen, Karzinogenen und endogenen Substanzen.


Mögliche Interaktionen zwischen Hepatozyten und Nichtparenchymzellen (Kupfferzellen, Sternzellen, Sinusendothelzellen) unter Beteiligung der von den Zellen gebildeten Mediatoren bei der Leberschädigung durch Arzneimittel. b-FGF, basischer Fibroblastenwachstumsfaktor; EFM, elektrophiler Fremdstoffmetabolit; HGF, Hepatozytenwachstumsfaktor; IF, Interferon; IL, Interleukin; LPP, Lipidperoxidationsprodukte; MCP, Makrophagen-chemotaktisches Peptid, PDGF, Plättchenwachstumsfaktor; ROS, reaktive Sauerstoffpezies; TGF, transformierender Wachstumsfaktor; TNF, Tumornekrosefaktor.


Abbildung: Histologisches Bild der Leber (HE-Schnitt) einer Patientin mit letalem Verlauf einer Halothanhepatitis.


´Tabelle 2
Halothan-Hepatitis: typischer klinischer Verlauf bei einer 66-jährigen Patientin
Tag Verlauf
–14 Zystisches Basaliom am Nasenrücken; Operation in Halothan/N2O-Narkose; Normale GOT
–8 Basaliomnachresektion; Narkose: Epontol/Fentanyl
 0 Plastische Deckung; Narkose: Halothan/N2O
 9 Fieber
10 Urtikarielles Exanthem, Erbrechen, Stuhlentfärbung, Urinverfärbung
13 Ikterus, Transaminasen erhöht
15 Transaminasen stark erhöht, präkomatöses Stadium
16 Quick erniedrigt, Leukozytose, Coma hepaticum
18 Eosinophilie
19 Exitus letalis



Arzneimittel mit potenziell letal
verlaufender toxischer Leberschädigung (Auswahl)

Allopurinol, Amiodaron, Amoxicillin plus Clavulansäure, Amphotericin B, Aurothiopropanol/-malat, Benoxaprofen, Carbromal, Carbimazol, Chlorpromazin, Clozapin, Cyproteron, Dacarbazin, Dactinomycin, Dantrolen, Desipramin, Dihydralazin, Disulfiram, Enfluran, Erythromycin, Flutamid, Halothan, Imipramin, Iproclozid, Indometacin, Iproniazid, Isocarboxazid, Isoniazid, Mercaptopurin, a-Methyldopa, Minocyclin, Natriumperchlorat, Nimesulid, Nortriptylin, Ofloxacin, Paracetamol, Phenylbutazon, Phenytoin, Probenecid, Propylthiouracil, Pyrazinamid, Pyrimethamin, Sulfasalazin, Tetracyclin, Tiabendazol, Tolbutamid, Troglitazon, Valproinsäure

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