ArchivDeutsches Ärzteblatt50/2001Fälschungs-Skandal: Verjährt und zugenäht

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Fälschungs-Skandal: Verjährt und zugenäht

Koch, Klaus

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LNSLNS Das Disziplinarrecht vieler Universitäten reicht in seiner jetzigen Form offenbar nicht aus, wissenschaftliches Fehlverhalten angemessen zu sanktionieren. Diese Lehre lässt sich aus der Entscheidung des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums ziehen, keine „disziplinarrechtlichen Konsequenzen“ gegen Prof. Roland Mertelsmann von der Universität Freiburg zu ziehen. Damit wird der bislang größte deutsche Fälschungsskandal um die Krebsforscher Dr. Friedhelm Herrmann und Dr. Marion Brach ohne weitere Folgen bleiben. Im März hatte der Rektor der Freiburger Universität, Prof. Wolfgang Jäger, dem Ministerium empfohlen, gegen Mertelsmann ein Disziplinarverfahren einzuleiten, um „den Umfang der persönlichen Verantwortung“ an der Affäre zu klären. Mertelsmann hatte zusammen mit Herrmann 131 Arbeiten publiziert; davon beurteilt die Deutsche Forschungsgemeinschaft 58 als „gefälscht oder fälschungsverdächtig“.

Eine Kommission unter Leitung von Prof. Albin Eser vom Freiburger Max-Planck-Institut hatte im März zudem auch bei zwei Arbeiten, die Mertelsmann und Kollegen ohne Beteiligung Herrmanns publiziert hatten, „gravierende“ Regelwidrigkeiten gefunden. Allerdings wollte man Mertelsmann keine „aktive Mitbeteiligung an Fälschungen“ vorwerfen. Diesem Urteil schließt sich nun das Wissenschaftsministerium an, bestätigt ein Sprecher einen Bericht der Süddeutschen Zeitung von letzter Woche. Unter dieser Voraussetzung habe die rechtliche Prüfung ergeben, so der Sprecher weiter, dass „die übrigen Vorwürfe gegen Mertelsmann nicht so schwerwiegend waren, dass sie zu einer Entfernung aus dem Dienst genügt hätten“. Andere Sanktionen, wie etwa ein Verweis, eine Geldbuße oder Degradierung, seien schon wegen Verjährung ausgeschlossen gewesen und deshalb gar nicht weiter geprüft worden. Der Sprecher räumt ein, dass man in Baden-Württemberg erst aufgrund der Erfahrung mit der Fälschungs-Affäre begonnen habe, das Disziplinarrecht anzupassen: „Der Skandal war auch für uns die erste derartige Erfahrung.“ In der Zwischenzeit haben die Universitäten Richtlinien zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten erlassen; im Hochschulrecht seien unter anderem die Verjährungsfristen auf vier bis sechs Jahre verlängert worden.

Die Frage, ob Mertelsmann seine Pflichten zur Aufsicht und Kontrolle seiner Mitarbeiter verletzt habe, musste allerdings noch nach altem Recht beurteilt werden, das eine zweijährige Verjährungsfrist einräumt. Der Sprecher verteidigte auch, dass das Ministerium seine Entscheidung letzte Woche erst auf Anfrage von Journalisten bekannt gegeben hatte. Das erweckte den Eindruck, als wollte die Behörde die Affäre lieber in Vergessenheit geraten lassen, statt offen Stellung zu beziehen. „Als Arbeitgeber sind wir aber in Personalsachen gehalten, nicht selbst offensiv an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt der Sprecher.
Klaus Koch

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