MEDIZIN: Editorial
Helicobacter pylori als Ursache der funktionellen Dyspepsie? Nicht schuldig im Sinne der Anklage


Dabei gibt es Hinweise, die ein solches Vorgehen rechtfertigen könnten. Epidemiologische Untersuchungen legen eine Assoziation zwischen H. pylori und dyspeptischen Beschwerden nahe (1). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass gänzlich unterschiedliche Methoden eingesetzt werden, die Anlass für vielfältige Kritik bieten. Der wichtigste Kritikpunkt dürfte sein, dass in diesen Studien ein peptisches Ulkus bei Patienten mit Beschwerden meist nicht ausgeschlossen wurde und insofern der Zusammenhang zwischen H. pylori und dyspeptischen Beschwerden durch nicht diagnostizierte peptische Ulzera erklärt werden kann. Auf der anderen Seite wurden zahlreiche Interventionsstudien durchgeführt, in denen der Effekt einer Eradikationstherapie von H. pylori geprüft wurde. Auch diese Arbeiten sind in der Mehrzahl methodisch angreifbar.
Mangelhafte Studien
In einer kürzlich publizierten Metaanalyse (5) wurden 145 Publikationen systematisch analysiert, die den Effekt einer gegen H. pylori gerichteten Therapie bei funktioneller Dyspepsie untersuchten. 135 Arbeiten mussten von einer weiteren Analyse ausgeschlossen werden, weil entweder eine Kontrolltherapie fehlte oder diese Therapie eine eigenständige Wirkung auf Helicobacter pylori aufwies. Einzelne Studien hatten auf eine Randomisierung verzichtet; oder die Nachbeobachtungszeit betrug weniger als vier Wochen. Drei Arbeiten wurden ausgeschlossen, weil klare Definitionen für den Behandlungserfolg fehlten. Fasste man die verbliebenen Arbeiten zusammen, fand sich kein statistisch signifikanter Effekt der H.-pylori-Eradikation. Außerdem zeigten sich ausgeprägte Inhomogenitäten der einzelnen Studienergebnisse, die die Validität einer Metaanalyse fragwürdig erscheinen ließen.
Wurde die Analyse auf die methodisch vier besten Studien beschränkt, fand sich ebenfalls kein signifikanter Effekt. Allerdings waren auch hier Inhomogenitäten der Ausgangsdaten nachweisbar. Erst nachdem die Autoren sich auf vier methodisch als sehr gut eingestufte Studien mit einer spezifischen Definition der Dyspepsie beschränkten, wiesen die Daten keine statistische Heterogenität mehr auf, aber – ähnlich wie bei den Analysen mit dem umfassenderen Datenmaterial – fand sich kein statistisch signifikanter Effekt einer gegen H. pylori gerichteten Therapie. Berücksichtigte man nur Patienten mit einer mindestens sechsmonatigen Nachbeobachtungszeit, kam man zu dem gleichen Ergebnis. Auf der Grundlage dieser Analysen kann deshalb gefolgert werden, dass eine H.-pylori-Eradikation zumindest für die mittelfristige Besserung der Symptome bei der Mehrzahl aller Patienten mit funktioneller Dyspepsie keine Bedeutung hat. Es kann eingewandt werden, dass in einigen Behandlungsgruppen numerisch Unterschiede nachweisbar waren, die lediglich aufgrund einer zu geringen Fallzahl das Signifikanzniveau verfehlten. Dieses Argument verliert aber an Gewicht, wenn man bedenkt, dass sehr große Studien mit jeweils mehreren hundert Patienten in diese Analysen einbezogene werden konnten. Insofern ist der b-Fehler sehr gering und entsprechend die Bedeutung eines Effektes – wenn dieser Effekt mit einer noch größeren Fallzahl abzusichern wäre – klinisch von sehr geringer Bedeutung. Dies schließt nicht aus, dass im Einzelfall eine Eradikationstherapie im Sinne einer Besserung der Symptome wirksam sein kann. Dies dürfte aber wahrscheinlich nur für Patienten gelten, bei denen ein Ulkusleiden übersehen wurden und bei denen insofern fälschlich die Diagnose einer funktionellen Dyspepsie gestellt wurde.
In vielen Ländern werden bereits jetzt für jüngere Patienten ohne Alarmsymptome Patienten mit Oberbauchbeschwerden Strategien wie „Test and Scope“ (initial wird ein nichtinvasiver H.-pylori-Test durchgeführt und nur bei positiven Befund – das heißt Nachweis einer H.-pylori-Infektion – schließt sich eine diagnostische Endoskopie an) oder „Test and Treat“ (nach dem nichtinvasiven H.-
pylori-Test folgt bei positivem Befund ohne weitere Diagnostik eine H.-pylori-Eradikation). Solche Strategien mögen, wenn Alarmsymptome beachtet und insbesondere nur junge Patienten mit niedrigem Risiko eines Malignoms als Ursache der Beschwerden einbezogen werden, ähnlich sicher sein wie der akzeptierte Goldstandard einer diagnostischen Endoskopie mit anschließender zielgerichteter Therapie. Allerdings kann aufgrund umfassender Kosten-Nutzen-Analysen (7) gefolgert werden, dass dieses Vorgehen unter den in Deutschland geltenden Vergütungsbedingungen im Vergleich zur endoskopischen Abklärung nicht als wirtschaftlich angesehen werden kann.
Dabei wird noch nicht einmal berücksichtigt, dass wahrscheinlich bei den
meisten Patienten mit funktioneller Dyspepsie, bei denen statt einer en-
doskopischen Abklärung initial nur eine nichtinvasive H.-pylori-Diagnostik vorgenommen wurde, doch eine endoskopische Abklärung erfolgt. Zu einer eher zurückhaltenden Beurteilung der nichtinvasiven Behandlungsmaßnahmen sollte auch eine große multizentrische Studie aus England Anlass geben: 8 455 Personen wurden in dieser prospektiven Studie mittels nichtinvasivem H.-pylori-Test untersucht und 2 324 randomisiert mit einer H.-pylori-Eradikation oder Placebo behandelt. Nach sechs Monaten beziehungsweise zwei Jahren fand sich eine fünfprozentige Reduktion dyspeptischer Beschwerden wohingegen die Behandlung keine signifikanten Effekte auf die Lebensqualität der behandelten Patienten hatte (6). Damit erscheint „Test and Treat“ nicht nur unter Kostengesichtspunkten fragwürdig.
Kann H. pylori nun von der Anklage freigesprochen werden, Ursache der funktionellen Dyspepsie zu sein? Beim gegenwärtigen Stand allenfalls aufgrund mangelnder Beweise, denn es ist weiterhin denkbar, dass die Infektion Veränderungen initiiert, die auch nach Eradikation der Infektion persistieren. So kann zum Beispiel eine akute Entzündung über Monate anhaltende Veränderungen sensorischer Funktionen bewirken (3). Dies könnte erklären, warum nach einer H.-pylori-Eradikation Symptome persistieren.
Behandlungsalternativen
Wenn aber die Eradikation zumindest mittelfristig keine Heilung bei funktioneller Dyspepsie bewirkt, was kann dem Patienten anderes angeboten werden? Eine medikamentöse Sekretionshemmung (8) oder eine prokinetische Therapie bewirken bei einem Teil der Patienten eine Besserung der Symptome (2). Niedrig dosierte zentral wirkende Substanzen, wie trizyklische Antidepressiva oder selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SRI), sind ebenfalls wirksam, aber haben Nebeneffekte, und Vorbehalte von Seiten der Patienten limitieren den Einsatz dieser Substanzen (2).
Dennoch gibt es keinen Grund zur Resignation. Weitgehend auf der Grundlage kontrollierter Studien konnten in den letzten Jahren rational begründete Strategien für die Behandlung von Patienten mit Dyspepsie entwickelt werden (9). Zudem wurden verschiedene pathophysiologische Mechanismen identifiziert, die die Entstehung der Symptome erklären. Es ist absehbar, dass auch molekulare Mechanismen charakterisiert werden, die es ermöglichen werden, Funktionsstörungen und damit die Symptome kausal zu erklären. Hinter dem Bemühen, die Entstehung der Symptome zu verstehen, darf aber nicht vergessen werden, dass das Ziel sein sollte, die Symptome effizient und möglichst dauerhaft zu lindern. Voraussetzung dafür ist nicht nur ein besseres Verstehen der Pathogenese, sondern auch die Entwicklung und systematische Erprobung von Therapiemodalitäten, die sich an neuen pathophysiologischen Erkenntnissen orientieren. Damit ist eine enge Verzahnung von Grundlagenforschung und klinischer Forschung eine wichtige Voraussetzung um den „Schuldigen“ für die funktionelle Dyspepsie zu finden. Denn letztlich ist es nicht das Ziel eine statistisch abgesicherte Korrelation zu finden beziehungsweise einen theoretischen Kenntnisgewinn zu erzielen, sondern ein klinisch messbarer (und bezahlbarer) Nutzen für die betroffenen Patienten.
Manuskript eingereicht: 4. 9.2001;
angenommen: 9. 10. 2001
zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 40–41 [Heft 1–2]
Literatur
1. Armstrong D: Helicobacter pylori infection and dyspepsia. Scand J Gastroenterol 1996; 31 (Suppl.): 38–47.
2. Gorard DA, Libby GW, Farthing MJ: Treating functional gastrointestinal disorders with antidepressants. Am J Med 2000; 108: 756.
3. Gschossmann J, Holtmann G, Adam B, Liebregts T, Zeeh JM, Ruwe M, Schmid KW, Mayer EA, Gerken G: Strain differences in the visceromotor response to colorectal distension during trinitrobenzenesulfonic acid-induced colitis. Gastroenterology 1999; A607: 116.
4. Holtmann G, Talley NJ: Functional dyspepsia. Current treatment recommendations. Drugs 1993; 45: 918– 930.
5. Laine L, Schoenfeld P, Fennerty MB: Therapy for Helicobacter pylori in patients with nonulcer dyspepsia. A meta-analysis of randomized, controlled trials. Ann Intern Med 2001; 134: 361–369.
6. Moayyedi P, Feltbower R, Brown J, Mason S, Mason J, Nathan J, Richards ID, Dowell AC, Axon AT (Leeds HELP Study Group): Effect of population screening and treatment for Helicobacter pylori on dyspepsia and quality of life in the community: a randomised controlled trial. Lancet 2000; 355: 1665–1669.
7. Sonnenberg A, Townsend WF, Muller AD: Evaluation of dyspepsia and functional gastrointestinal disorders: A cost-benefit analysis of different approaches. Eur J Gastroenterol Hepatol 1995; 7:655–659.
8. Talley NJ, Meineche-Schmidt V, Pare P, Duckworth M, Räisänen P, Pap A, Kordecki H, Schmid V: Efficacy of omeprazole in functional dyspepsia: double-blind randomised placebo-controlled trials. Aliment Pharmacol Ther 1998; 12: 1055–1065.
9. Talley NJ, Silverstein MD, Agréus L, Nyrén O, Sonnenberg A, Holtmann G: Evaluation of dyspepsia. Gastroenterology 1998; 114: 582–595.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Gerald Holtmann
Universitätsklinikum Essen
Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Hufelandstraße 55, 45122 Essen
E-Mail: g.holtmann@uni-essen.de