ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2002Qualität der Angaben von Todesbescheinigungen: Ist die Todesursachenstatistik zu Krebserkrankungen besser als ihr Ruf?

MEDIZIN

Qualität der Angaben von Todesbescheinigungen: Ist die Todesursachenstatistik zu Krebserkrankungen besser als ihr Ruf?

Hölzel, Dieter; Schubert-Fritschle, Gabriele; Eckel, Renate; Eisenmenger, Wolfgang

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LNSLNS Zusammenfassung
Durch den Vergleich der Todesbescheinigungen der Region München von 1998 bis 1999 mit dem Tumorregister München wurde die Qualität von Todesbescheinigungen in Hinblick auf Krebserkrankungen untersucht. Unleserliche Eintragungen, ungebräuchliche Abkürzungen oder unzulässige Angaben wie Atem- und Herzstillstand treten nur in Einzelfällen auf. Allerdings ist es nicht hinreichend bekannt, dass die Angabe einer Tumordiagnose auf der Todesbescheinigung für geheilte Patienten nur ganz selten gerechtfertigt und deshalb in der Regel falsch ist. Beim Mamma- und Prostatakarzinom dürften circa 20 Prozent der Eintragungen tumorfreie Patienten betreffen. Der Anteil unzureichend spezifizierter Tumordiagnosen wie Gebärmutterkrebs oder urologischer Tumor beträgt 8,3 Prozent und ist zu hoch. Die Spezifikation einer Kausalkette mit Progressionshinweis fehlt in 30 Prozent der Todesbescheinigungen (Beispiel für WHO-Empfehlung: Lungenembolie, pathologische Fraktur, Metastase des Femurs, Grundleiden Mammakarzinom mit Zeitangabe der Primärdiagnose). Die Beteiligung an der Krebsregistrierung ist insbesondere aus internistischen Abteilungen unzureichend. Trotz der daraus resultierenden notwendigen Verbesserungen der Angaben auf Todesbescheinigungen – als letzter Dienst am Menschen – ist die amtliche Todesursachenstatistik besser als ihr Ruf.

Schlüsselwörter: Leichenschauschein, Todesursachenstatistik, Mortalität, Krebsregister, Krebserkrankung
Summary
Quality of Death Certificates
Death certificates in the Munich area from 1998 to 1999 were compared with the Munich Cancer Registry data. It was found that illegible records, use of unusual abbreviations or inappropriate terms like cardiac arrest were seen seldomly. It is not widely known that recording cancer as the cause of death for cured patients is rarely justifiable and is therefore normally considered incorrect. Approximately 20 per cent of breast and prostate cancer inscriptions involved cancer-free patients. The proportion of insufficiently specified cancer diagnoses like cancer of the uterus and urological cancer was 8.3 per cent and thus too high. Details of the sequence of events, with reference to disease progression, were absent in 30 per cent of death certificates (WHO recommendations suggest details such as pulmonary embolism, pathological fracture, femur metastasis, underlying medical condition: breast cancer with date of initial diagnosis). Cancer registration was particularly unsatisfactory in internal medicine departments.
Despite the fact that an improvement in the quality of medical statements on death certificates is required the official mortality data
were better than expected.

Key words: death certificate, official mortality data, mortality, cancer registry, cancer


Seit Ende der 40er-Jahre erfassen alle Länder der Erde die Todesursachen nach Richtlinien der WHO auf der Basis des ICD (Internationale Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen [1]). Damit ist die amtliche Todesursachenstatistik weltweit und auch in der EU die einzige systematische Erhebung zur Gesundheit beziehungsweise zum Krankheitsspektrum einer Nation. Sind kritische Aussagen zur Qualität dieser Daten gerechtfertigt? Autopsiestudien (10, 11, 21), die formale Qualität, die nicht hohe Einschätzung der Bedeutung dieses Dokumentes durch die Medizin oder auch populäre Recherchen (16) sollten an sich zu Qualitätsverbesserungen motivieren (9, 13). Da Tumorregister in Deutschland auf der Rechtsgrundlage von Krebsregistergesetzen sowohl die Neuerkrankungen aus dem Versorgungsprozess erfassen als auch die Todesbescheinigungen (TB) zu bearbeiten haben, können durch den Vergleich der beiden Datenbestände Aussagen zur Qualität der TB in Bezug auf Krebs abgeleitet werden. Im Folgenden werden die Daten der Region München analysiert.
Krebsregistrierung
Das Tumorregister des Tumorzentrums München (TRM) hat Ende der 70er-Jahre die ersten Krebspatienten für einige Universitätskliniken dokumentiert. Heute ist zumindest für das Stadtgebiet München eine fast vollzählige Erfassung erreicht. Seit 1994 ist durch die Kooperation aller Einrichtungen aus dem Gebiet der Pathologie eine weitgehende histologische Absicherung der Diagnosen gegeben. Für klinische Fragestellungen erfasst das TRM auch elementare Prognosefaktoren, lokoregionäre Progressionen und Metastasierungen. Erst mit diesen Zusatzinformationen über den Krankheitsverlauf sind differenziertere Bewertungen im Hinblick auf die Todesursache möglich.
1998 ist in Bayern ein Krebsregistergesetz in Kraft getreten. Dies ermöglicht wie in anderen Bundesländern eine systematische Bearbeitung aller TB aus der Stadt München und sieben
angrenzender Landkreise mit zusammen 2,3 Millionen Einwohnern. Jede TB der Region, die eine Tumordiagnose enthält oder die sich auf einen dem TRM bekannten Tumorpatienten bezieht, wird mit allen Diagnosen und Hinweisen auf Progression oder Tumorkachexie erfasst. Diese vollständige Erfassung unterscheidet sich von der amtlichen unikausalen Todesursachenstatistik, für die nur ein Grundleiden kodiert wird. Auch alle TB ohne Tumordiagnosen werden mit dem Datenbestand des Registers verglichen. Falls zuordenbar (record linkage) wird auch hier das Sterbedatum übernommen. Die Anzahl falscher oder erfolgloser Zuordnungen liegt bei 0,3 Prozent und wird durch die im Folgenden beschriebenen Verarbeitungsstrategien minimiert. Als klinisches Krebsregister arbeitet das TRM mit der vollen Patientenidentifikation. Die Zuordnung neuer Daten erfolgt dreistufig über Geburtsdatum, Nachnamen und eventuell den Anfangsbuchstaben des Vornamens. Zusätzlich werden neue Datensätze regelmäßig auf Doubletten aufgrund von Zahlendrehern oder ähnlicher Namensschreibweise geprüft. Der regelmäßige Abgleich mit den amtlichen Einwohnerverzeichnissen stellt darüber hinaus die korrekte Namensschreibweise sicher. Für das Jahr 2000 sind zum Beispiel von der Stadt München 190 Sterbefälle übermittelt worden, für die dem TRM keine amtliche Todesbescheinigung vorlag. Eine Überprüfung ergab, dass für zwölf Sterbefälle eine TB vorlag, die bei nochmaliger Kontrolle zuordenbar war.
Aus der Verfügbarkeit der beiden unabhängig entstandenen Datenbestände ergeben sich Vergleichsmöglichkeiten zur Beurteilung der Qualität der Angaben auf den TB.
Ausfüllen der Todesbescheinigung
Eine Bewertung der Qualität muss vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Todesursachenstatistik erfolgen: Nach den Richtlinien der WHO ist es erforderlich, alle Krankheiten, Leiden oder Verletzungen einzutragen, die entweder den Tod zur Folge hatten oder zum Tode beitrugen (1). Mit dieser Vorgabe werden Symptome wie Atem- und Herzstillstand oder Herz-Kreislauf-Versagen als unzulässige Eintragungen ausgeschlossen. Anzugeben sind alle wesentlichen Grundkrankheiten, die am Anfang einer zum Tode führenden Kausalkette stehen. Eine Kausalkette für eine Krebserkrankung wäre: Lungenembolie, pathologische Fraktur, Metastase des Femurs und als Grundleiden Mammakarzinom mit Zeitangabe der Diagnosestellung. Bei Mehrfachmalignomen sollten alle Tumordiagnosen angegeben werden (1). Da die amtliche Todesursachenstatistik eine unikausale Statistik ist, gibt es bei multiplen Angaben Richtlinien für die Auswahl des Grundleidens, die zur weltweiten Vergleichbarkeit der Kodierung beitragen. Deshalb kann der Quotient aus Mortalität und Inzidenz einer Krebserkrankung ein brauchbarer, international vergleichbarer Parameter für die Letalität beziehungsweise das Überleben sein, bei dessen Interpretation auch andere Kenngrößen der Krebsregistrierung und deren Einflüsse zu beachten sind (6, 12, 14).
Bewertung der Qualität der Todesbescheinigungen
Inwieweit werden die Forderungen der WHO erfüllt? Als Ersatz für das fehlende Wissen von Pathologen, denen durch Autopsien die meisten Fakten zur Kausalität zugänglich wären, wird eine Metastasierung oder die Angabe Tumorkachexie als Hinweis auf eine krebsbedingte Todesursache genommen. Diese Kriterien sind brauchbar, weil die Heilungschancen nach Metastasierung bis auf wenige Ausnahmen – wie beim Hodentumor – sehr gering sind. Im TRM sind von circa 18 000 metastasierten Patienten 50 Prozent nach 8,4 Monaten verstorben. Im Vergleich dazu liegt die mittlere Lebenserwartung eines 70-Jährigen – dies ist das mittlere krebsbedingte Sterbealter – bei 11,8 Jahren (für Frauen: Alter 73 Jahre, Lebenserwartung 12,6 Jahre [19]). Damit ergeben sich aus dem Vergleich von TB und TRM für eine Bewertung drei Alternativen:
- Auf der TB findet sich kein Hinweis auf Krebs, obwohl im Register ein Eintrag vorliegt. Ist der Patient tumorfrei und geheilt, so ist das Fehlen eines Eintrags korrekt. Bei einer progredienten Erkrankung läge ein Fehler vor (falschnegativ).
- Die Diagnosen in beiden Datenbeständen stimmen überein, was in über 90 Prozent der Sterbefälle zutrifft. Der TB-Eintrag ist richtig bei persistierender Krebserkrankung oder falschpositiv, falls der Patient tumorfrei ist.
- Der Patient mit einer Krebserkrankung auf der TB ist im Register nicht bekannt (so genannter DCO–Fall:
death certificate only). Dies ist zuerst ein Hinweis auf die unvollständige Erhebung des Registers. Ist die TB falschpositiv, der Patient also geheilt, kann die Erkrankung Jahrzehnte zurückliegen, also auch vor dem Beginn der Registrierung diagnostiziert worden sein.
Eine Analyse erübrigt sich bei prognostisch ungünstigen Erkrankungen wie Pankreas, Leber, Galle oder ZNS, weil die Überlebenszeiten nur wenige Monate betragen. Bei prognostisch günstigen Erkrankungen ist das mittlere Sterbealter ein geeigneter Qualitätsindikator für die Bewertung der TB-Angaben.
Tabelle 1 zeigt vier Fallunterscheidungen für die epidemiologische Kenngröße Sterbealter. Ein Krebspatient wird geheilt. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung für die Erkrankung und die in diesem Alter zu erwartenden Lebensjahre ergeben das mittlere Sterbealter. Bei einem krebsbedingten Tod ist dagegen nur die mittlere tumorspezifische Überlebenszeit zum Diagnosealter zu addieren. Zweitmalignome sind häufiger in prognostisch günstigen Untergruppen des ersten Malignoms zu erwarten und führen deshalb zu einem höheren Sterbealter.
Ergebnisse
Für 1998 und 1999 hat das TRM circa 43 000 TB aus der Region München bearbeitet. Von 12 447 Sterbefällen (29 Prozent) sind Daten in das TRM übernommen worden. Bei 55,8 Prozent der Patienten waren in beiden Datenbeständen Krebserkrankungen bekannt, bei 11,9 Prozent nur im TRM. Zu 32,3 Prozent der TB mit Tumordiagnosen gab es keine Hinweise im TRM.
In Tabelle 2 sind für Untergruppen der bearbeiteten TB die Anzahl der Verstorbenen und deren mittleres Sterbealter zusammengestellt. Bei 10 966 TB (88,1 Prozent der 12 447 identifizierten Patienten) war mindestens eine Krebserkrankung angegeben, bei 3,7 Prozent mindestens zwei Malignome. Das mittlere Sterbealter betrug bei Patienten mit einer Tumorerkrankung 72,5 Jahre, bei Patienten mit mehr als einem Malignom 75,2 Jahre, während Patienten, für die keine krebsbedingten Todesursachen angegeben waren, im Mittel mit 79,7 Jahren verstarben. Frauen versterben mit einem mittleren Alter von 74,6 Jahren deutlich später als Männer mit 70,7 Jahren. 70,5 Prozent aller TB enthielten einen Hinweis auf Progression der Tumorerkrankung.
In Tabelle 3 sind Patienten mit systemischen Tumorerkrankungen nicht berücksichtigt. In der Untergruppe der soliden Tumorerkrankungen waren für 27,4 Prozent der Sterbefälle die prognostisch ungünstigen Diagnosen Lungen-, Leber-, Pankreas- oder Gallengangs-karzinom angegeben, für die die Fünf-Jahres-Überlebensrate zum Teil weit unter zehn Prozent liegt. Angaben zu diesen prognostisch ungünstigen Erkrankungen sind in der Regel korrekte Todesursachen. Bei der in Tabelle 3 analysierten komplementären Gruppe der soliden Tumoren mit günstigerer Prognose war in 30,4 Prozent kein Hinweis auf Progression, Metastasierung oder Tumorkachexie eingetragen, wie es nach den Vorgaben der WHO nötig wäre, wenn ein progredientes Tumorleiden wirklich vorgelegen hätte. Das mittlere Sterbealter dieser Gruppe betrug 77,4 Jahre. Die Aufteilung nach dem Geschlecht ergab ein Sterbealter von 75,2 Jahren bei Männern und 79,3 Jahren bei Frauen. Bei einer Diagnosestellung zwischen dem 60sten und 70sten Lebensjahr liegt das Sterbealter damit sehr nahe an der Lebenserwartung der Normalbevölkerung. Bei Hinweisen auf Progression zeigte sich ein deutlich niedrigeres Sterbealter von 71,5 Jahren, was wiederum auf plausible Angaben auf den TB schließen lässt.
Die Grafik skizziert für ausgewählte prognostisch günstige Tumoren eine differenziertere Analyse auf der Basis der Progressionsangaben im TRM und/oder auf den TB. Verglichen wird das Sterbealter in acht Gruppen, die entsprechend den verfügbaren Angaben in den beiden Datenbeständen gebildet werden. Gruppe 8 entspricht weitgehend dem erwarteten Sterbealter für Geheilte. Falschnegative Angaben (Gruppe 6 und 7) sind selten. Ihre Häufigkeit dürfte wegen prognostisch günstiger Mehrfachmalignome und kurabler Rezidive noch unter den drei bis fünf Prozent der Beispiele liegen, was sich mit dem Sterbealter andeutet. Nahezu sicher belegt aber die Grafik einen hohen Anteil falschpositiver Angaben (Gruppe 2 und 4). Beim Mammakarzinom beträgt er circa 20 Prozent, beim Prostatakarzinom 30 Prozent.
Einen weiteren Qualitätsaspekt liefern folgende Daten: Zu 124 Krebspatienten war im TRM auch ein pathologischer Befund verfügbar, und die Patienten waren innerhalb von sieben Wochen nach der Biopsie oder Operation verstorben (34 Prozent Darm-, 14 Prozent Magen- und 12 Prozent Lungenkrebspatienten). Wenn Krebs oder eine postoperative Komplikation die Todesursache war, steht die Tumorerkrankung jeweils am Anfang der Kausalkette und müsste auf der TB eingetragen werden. Nur 12 (9,7 Prozent) dieser 124 frühen Sterbefälle enthielten keinen Hinweis auf Krebs. Falschnegative Eintragungen sind also sehr selten.
Diskussion
Aus den TB entsteht der weltweit einzige Datenbestand zum Gesundheitsstatus einer Nation, der für internationale und als Zeitreihe für nationale Vergleiche zur Verfügung steht. Jedoch fördern unterschiedliche Rahmenbedingungen weder die Qualität noch die Wertschätzung dieses Datenbestands. Generell zeigt die Medizin Distanz, da der Tod insbesondere bei Krebs erfolgloses Handeln belegen kann. Notärzte haben die Aufgabe, ohne detaillierte Kenntnis des Patienten, TB auszustellen. Wohnortnahe Hausärzte werden in Ballungszentren häufig erst in der finalen Phase eingeschaltet. Selbst Hochschullehrer begründen eine mangelnde Sorgfalt beim Ausfüllen der TB mit der Verpflichtung gegenüber den Lebenden, mit Zeitmangel oder unklaren Kausalketten. Natürliche aber unklare Todesursachen können häufig nicht mehr durch eine Obduktion abgesichert werden, unter anderem auch weil die Kostenübernahme nicht geklärt ist. Die Obduktionsrate liegt in Deutschland mittlerweile unter ein Prozent (8). Die berechtigte Kritik der Pathologen an einer klinischen Festlegung der Todesursachen steigert ebenfalls nicht die Sorgfalt. Zudem werden die Ergebnisse der seltenen Obduktionen in der Regel nicht auf den TB nachgetragen.
Die Realität der Todesursachenstatistik ist aber besser als ihr Ruf. Fehler sind zwar allein aufgrund der unikausalen Kodierung nicht zu vermeiden. Sie könnten durch bessere Rahmenbedingungen reduziert werden (9). Wenn aber die gleichen Fehler Jahr für Jahr auftreten, sind die zeitlichen Veränderungen aussagekräftig. Kein anderer Datenbestand belegt zum Beispiel für Deutschland einen Rückgang der Herzinfarktmortalität bei Männern seit 1980 um 44 Prozent, der Magenkrebsmortalität seit 1970 um 69 Prozent. Die altersstandardisierte Krebsmortalität der Frauen sinkt seit den 50er-Jahren kontinuierlich, seit 1970 allein um 17 Prozent, die der Männer erstmalig 1988 und seitdem um elf Prozent. Auch nicht genutzte Chancen der Krebsfrüherkennung und der Krebsbehandlung lassen sich belegen (7). Der Anstieg der Lebenserwartung in den letzten 45 Jahren um 9,9 Jahre bei den Männern auf 74,4 (1996/98) und um 12,0 Jahre bei den Frauen auf 80,5 Jahre wird ebenfalls aus den TB berechnet und durch todesursachenspezifische Zeitreihen erläutert (20).
Differenzierte Aussagen zur Qualität der TB können durch die Bearbeitung im Zusammenhang mit Krebsregisterdaten und durch den Vergleich der beiden Datenbestände gewonnen werden. Eine formale und eine krebsspezifische Beurteilungsebene sind dabei zu unterscheiden. Zur formalen Qualität ist anzumerken, dass entgegen den Anforderungen nichtssagende Feststellungen wie Atem- und Herzstillstand selten, unspezifische Angaben hier in Bezug auf Krebs jedoch mit 8,3 Prozent recht häufig zu finden sind. Metastasierendes Geschehen, finales Tumorleiden, Knochenmetastasen, Fisteltumor, abdominales Krebsgeschehen, gynäkologischer oder urologischer Tumor oder maligne hämatologische Erkrankung sind solche Negativbeispiele. Sie werden gleichhäufig im stationären wie im ambulanten Sektor formuliert. Auch die Anzahl der Angaben und ihre Differenziertheit zeigen keine sektorspezifischen Unterschiede.
Insbesondere ist die hohe Anzahl der Krebserkrankungen anzusprechen, die dem TRM erst mit den TB bekannt wurden. Dafür gibt es verschiedene Ursachen (15). Besonders die Kooperation der internistischen Abteilungen ist im TRM – wie auch in anderen Registern in Deutschland – optimierbar. Deshalb ist darauf zu verweisen, dass TB wichtige Dokumente sind. Sie sollten lesbar und mit hoher Sorgfalt ausgefüllt werden. Die Würde des Menschen, aber auch epidemiologische und kriminalistische Gründe machen diesen letzten Dienst am Menschen zu einer bedeutenden Aufgabe (13). Die Gesundheitsämter, die die TB archivieren, haben bei jedem Eingang eine wichtige Kontrollfunktion hinsichtlich der Qualität (9).
Es gibt also Optimierungsreserven, die mit etwas mehr Sorgfalt und Detailangaben zu Progressionen leicht aktiviert werden könnten. Wie steht es aber mit der Qualität der TB im Bezug auf die Todesursache? Die Tatsache, dass bei über 90 Prozent der Sterbefälle Krebs auf der TB angegeben war, bei denen der Tod innerhalb von sieben Wochen nach einem pathologischen Befund auftrat, ist ein positiver Qualitätshinweis. Denn auch bei postoperativen Komplikationen steht selbst bei guter Prognose der Tumor am Anfang einer Kausalkette.
Auch progrediente Tumorleiden, die mit einer entscheidenden Reduktion der Lebenserwartung verbunden sind, sollten stets auf der TB angegeben werden. Dies gilt auch dann, wenn unterschiedlich interkurrente oder konkurrierende Erkrankungen die unmittelbar zum Tode führende Ursache waren. In 70 Prozent der Fälle wurde eine Kausalkette durch Hinweise auf eine Tumorkachexie oder auf Metastasenlokalisationen explizit angegeben, das heißt in fast 30 Prozent fehlte der Progressionshinweis. Die Analyse des Sterbealters belegt, dass zum Beispiel beim Mammakarzinom in 20 Prozent, beim Prostatakarzinom sogar in 30 Prozent der Sterbefälle wahrscheinlich keine Progression vorlag, die Patienten also geheilt und damit der TB-Eintrag falsch war. Eine systematische Untererfassung des TRM im hohen Alter kann ausgeschlossen werden. Zur Absicherung dieser Annahme ist weiter anzumerken, dass Mortalitätsraten des TRM im Vergleich zur amtlichen Statistik nur beim Prostatakarzinom höher liegen. Die Inzidenzraten haben im Vergleich zum Saarländischen Krebsregister fast 20 Prozent höhere Werte erreicht (2).
Die aktuelle Diskussion zum Mammographie-Screening ist nicht hinreichend empirisch gesichert. Schweden hat im Vergleich zu Deutschland eine etwa 24 Prozent niedrigere Brustkrebsmortalität bei vergleichbarer Stadienverteilung und international vergleichbaren stadienspezifischen Überlebensraten. Die von TRM ermittelten Falschpositiv-Raten würden den Unterschied erklären. Aber auch nur zehn Prozent weniger falschpositive Eintragungen würden eine nennenswerte Reduktion der Mortalität bedeuten. Falschpositive und falschnegative Angaben kompensieren sich nicht, denn es ist selten, dass eine Todesursache Krebs nicht angegeben wird. Die Häufigkeit falschnegativer Angaben dürfte unter drei Prozent liegen (9). Beim Mammakarzinom würde eine um zehn Prozent niedrigere Mortalität eher der Versorgungsrealität in Deutschland entsprechen. Bestätigt werden solche falschpositive Eintragungen auch aus den USA. Beim Prostatakarzinom haben sich die Neuerkrankungszahlen in den letzten 15 Jahren durch das PSA-Screening mehr als verdoppelt. Parallel dazu ist auch häufiger ein Prostatakarzinom als falschpositive Todesursache angegeben worden. Damit konnte der erwartete positive Screeningeffekt nicht durch eine sinkende Mortalität belegt werden (3).
Ergänzend ist anzumerken, dass nicht wenige Ärzte unsicher sind, welche Angaben auf der TB erwartet werden. Unsere Analysen bestätigen dies. Im Studium wird zwar ausführlich die Problematik des unnatürlichen Todes besprochen. Auf die Anforderungen für die Ausstellung von Todesbescheinigungen und deren Bedeutung wird wahrscheinlich zu kurz und nur in der Rechtsmedizin und in der Biostatistik eingegangen.
Die große Bedeutung der Datenquelle Todesursache hat andere Länder wie USA, England und Kanada vor Jahrzehnten veranlasst, eine personenidentifizierte Datenbank zu allen Sterbefällen aufzubauen (17, 18). Viele Beiträge in den führenden medizinischen Zeitschriften zeigen den überwältigenden Nutzen. Ein Follow-up von zehn Jahren und mehr für 98 Prozent von einigen zehntausend Patienten ist keine Seltenheit (4, 5). Forschungsförderungen werden deshalb in den USA mit der Auflage vergeben, dass alle Identifizierungsmerkmale für diese Datenbank erhoben werden, die dann später einen Abgleich ermöglichen. Die Einrichtung einer solchen nationalen Datenbank für alle TB zum Monitoring der Gesundheit der Bevölkerung, für die Qualitätssicherung von Prävention und Behandlung und für die Förderung epidemiologischer und klinischer Studien wäre ein bedeutender Faktor für den Medizinstandort Deutschland. Die Krebsregistergesetze mit den resultierenden Verarbeitungsmöglichkeiten für TB waren ein entscheidender Fortschritt, um den circa 25 Jahre gerungen wurde. Vielleicht lässt sich der nächste Schritt aufgrund der sich verbreitenden Aufbruchsstimmung und Veränderungseuphorie etwas kurzfristiger realisieren, zumal die erforderliche Arbeit eigentlich schon geleistet wird. Nicht Geld, sondern die Bereitschaft zur Weiterentwicklung, eine Rechtsgrundlage und eine adäquate Organisation fehlen bisher.

Manuskript eingereicht: 12. 4. 2001; revidierte Fassung angenommen: 2. 8. 2001

zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 50–55 [Heft 1–2]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:
Dr. rer. biol. hum. Gabriele Schubert-Fritschle
Klinikum Großhadern/IBE
Marchioninistraße 15, 81377 München
E-Mail: schu@ibe.med.uni-muenchen.de
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