POLITIK: Kommentar
Krankenversicherung: Unfriedensgrenze


Der Unfriede und das Rütteln an der „Friedensgrenze“ zwischen Gesetzlicher und privater Krankenversicherung (PKV), die seit 1970 gilt
und jährlich lohndynamisiert ist, beschwört gravierende ordnungs- und gesellschaftspolitische Probleme herauf. Vor 31 Jahren wurde die Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Arbeitnehmer in der GKV versichert sein müssen, auf 75 Prozent der Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung von heute jährlich 54 000 € festgelegt.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt beschwichtigt, dass es ihr ums Prinzip und in erster Linie um mehr Gerechtigkeit gehe. Von höheren Belastungen der neu in das Pflichtkorsett der GKV gezwungenen Versicherten ist (vorläufig noch) nicht die Rede. Also würde eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze nicht die aktuellen und dauerhaften Finanzprobleme der GKV lösen – ganz im Gegenteil: Der Gesetzlichen Krankenversicherung drohten unkontrollierbare und unerwünschte Wanderungsbewegungen, wenn gerade leistungsaufwendige, ältere (meist multimorbide) Versicherte aus der privaten in die Gesetzliche Krankenversicherung zurückkämen und zwangsrekrutiert würden. Andererseits würde den 2,8 Millionen Angestellten, die heute noch freiwillig in der GKV versichert sind, jede Wechselalternative und Wahlfreiheit in einem privaten, kapitalgedeckten Krankenversicherungssystem genommen. Vital bedroht und in ihrem Existenznerv getroffen wäre damit die private Krankenversicherung und mithin auch der Privatliquidationssektor der Ärzte in der freien Praxis und im Krankenhaus, falls der Zugang an jungen Versicherten abgeschnitten und die PKV in eine Randanbieterrolle gedrängt würde. Dies hält die Privatassekuranz für verfassungswidrig (Art. 2 und 12 Grundgesetz) und vor dem Europäischen Gerichtshof für nicht bestandsfähig.
Zudem: Ist erst einmal die Schraube der Versicherungspflichtgrenze nach oben gedreht worden, so ist es fast so wie das Amen in der Kirche, dass die Beitragsbemessungsgrenze ebenfalls angehoben wird mit der Folge, dass die Höherverdienenden unsolidarisch um 33 Prozent mehr belastet werden. Dann wird aber die „Friedensgrenze“ schnell zur Unfriedensgrenze und das Ausmaß der Solidar- und Einstandspflicht weithin unsolidarisch überzogen. Dr. rer. pol. Harald Clade
Berning, Johannes
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.