Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS Hier sitze ich in einer der zahlreichen Sitzungen, ein Mittdreißiger in gutem Anzug und Krawatte. Nach dem Medizinstudium, einem zweijährigen USA-Aufenthalt und einem Aufbaustudium in Krankenhausbetriebswirtschaftslehre bin ich nun seit zwei Jahren bei einer großen Unternehmensberatung tätig. Unser Auftrag: die Zusammenführung zweier Kliniken.
Mir gegenüber sitzt ein Kollege, der seinen ehemals weißen, inzwischen angegrauten Kittel lässig über der grünen OP-Kleidung trägt, und meint bei einer der Sitzungen, ich sei kein Arzt, sondern nur ein Mediziner. Getroffen in meiner Ehre weise ich auf meine Approbation als Arzt hin. Es entsteht ein reger Disput, denn unser Auftraggeber fordert von unserem Beratungsunternehmen ein Konzept für die Einsparung in zweistelliger Millionenhöhe durch diese Fusion. Dies wird nur gelingen, wenn Synergien genutzt werden.
Mein Gegenüber kontert, in den Berufsordnungen der Ärztekammern stehe, dass ein Arzt niemals einem „Nicht-Arzt“ unterstehe, wenn es um ärztliche Fragen geht. So werde ich mit dem Vorwurf konfrontiert, meinen ärztlichen Beruf zu „verraten“. Meine ärztlichen Kenntnisse werden dazu „miss-braucht“, einem Projekt zu dienen, das beabsichtigt, Betten abzubauen, wird mir vorgeworfen. Dies werde zu einer Rationierung medizinischer Leistungen führen und somit zu einer schlechteren Patientenversorgung.
Die Diskussion führt auf abstrakte Themen der medizinischen Ethik. Wenn ich mit den immens gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen und dem zu anderen Ländern vergleichsweise geringeren Output kontere, argumentiert er, zahlreiche Patienten nicht mehr optimal behandeln zu können. Wegen des großen Spardrucks steige die Zahl der Patienten, und die Zeit, die für die Patienten übrig bleibt, werde immer knapper. Zwangsläufig steige somit die Fehlerrate. Ein emotional engagierter Arzt ist sachlich vorgebrachten Zahlen nicht mehr aufgeschlossen.
Die Lage beginnt sich zuzuspitzen. Wir Ärzte wären ja nur noch Angestellte von Krankenkassen, das Arzt-Patienten-Geheimnis als eine der im Grundgesetz verankerten Grundrechte der Ärzte gerät in Gefahr, aufgeweicht und abgeschafft zu werden. Vorstellungen der Telemediziner beschränkten das Arzt-Patienten-Verhältnis zukünftig nur noch auf einen technischen Automaten, der Fragen stelle, einige Laborwerte gewinne, mit künstlicher Intelligenz eine wahrscheinliche Diagnose generiere, und neben einem Rezept eine korrekte Rechnung schreiben könne. Hierauf erwidere ich, dass in einigen Staaten sich die Funktion des Arztes als „Gatekeeper“ bewährt habe. Ich fordere ihn auf, Lösungen vorzuschlagen, wie sich die Kosten senken lassen, denn wie bislang kann die Kostenexplosion nicht bewältigt werden. Immer mehr Ärzte seien im so genannten NPC – non patient care – Bereich tätig, werfe ich ein. Aufgaben im medizinischen Controlling, in der Medizininformatik, bei den Krankenkassen und im medizinischen Dienst seien nur einige Beispiele. Sogar der Marburger Bund hält eigene Kongresse für alternative Medizinberufe ab. Hierauf entgegnet er, dass durch die Ökonomisierung der Mensch auf der Strecke bleibe.
Nachdem ich bemerke, dass diese Diskussion nicht weiterführt, schwenke ich auf ein unstrittiges Thema über. Zu den nächsten Sitzungen erscheint der streitwillige Kollege nicht mehr. Trotz einiger Widerstände gelingt unsere Unternehmensfusion: Ein Drittel der Betten werden abgebaut, um rund 20 Prozent wurde der Mitarbeiterstab – sozial verträglich – reduziert. Das politisch vorgegebene Sparziel konnte erreicht werden. Alles in allem glaube ich auch in dieser Funktion als Arzt dem deutschen Gesundheitswesen und somit nicht unbedingt mittelbar, auch dem Patienten geholfen zu haben. Oder bin ich doch nur ein Mediziner? Klaus-Diethelm Schuster

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote