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Psychologische Notfallhilfe: Fehlende Standards


der Solidarität. Kriseninterventionsteams, Ärzte, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und Seelsorger reisten aus ganz Deutschland an, um die psychische Last der Betroffenen zu lindern. Die Koordination der Krisenintervention habe gut funktioniert, sagt Polizeioberrat René Treunert, Leiter des Einsatzkommandos psychologische Betreuung. Das ist jedoch mehr dem Zufall zu verdanken als ausgereiften Konzepten. Das Land Thüringen hatte bis dahin nur Unfertiges zur psychologischen Notfallhilfe in den Schubladen der Ministerien. Treunert, eigentlich Polizeichef in Jena, griff auf ein Konzept einer Arbeitsgruppe zurück, die der Frage nachgegangen war, wie Polizeibeamte nach „schwerwiegenden Ereignissen“ betreut werden sollten. Treunert appelliert an die Landesministerien, das Konzept generell zu übernehmen.
Dass es sich für die notfallpsychologische Betreuung bewährt hat, davon ist auch Traumatherapeut Georg Pieper überzeugt. Allerdings seien Psychotherapeuten dabei gewesen, die wenig Kenntnisse in
der Krisenintervention mitbrachten. Auch wenn das Engagement zu begrüßen ist, müssen eindeutige therapeutische Standards formuliert werden. Wissenschaftlich umstritten, jedoch auch in Erfurt meist angewandt, ist zum Beispiel die Methode des so genannten Debriefing, bei der Betroffene unmittelbar nach dem Ereignis mit ihren Gefühlen konfrontiert werden. Pieper, der seit 14 Jahren nach Katastrophen im Einsatz ist, wendet Debriefing selbst an. Er hält es jedoch bei Hochbelasteten und als Einzelmaßnahme eher für schädigend. Vor allem den schwer Betroffenen empfiehlt er zum Schutz vor Traumatisierung weitere therapeutische Maßnahmen. Ein Konzept, wie die langfristige psychotherapeutische Betreuung der 500 bis 700 Hilfebedürftigen in Erfurt zu regeln ist, wird ausgearbeitet. Zurzeit ist die Bereitschaft, Standards zu entwickeln, groß – auch bei den Ministerien. Hoffentlich ebbt sie nicht ab. Petra Bühring
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