ArchivDeutsches Ärzteblatt20/2002Sozialgerichtsgesetz: Erhebliches Kostenrisiko für Ärzte

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Sozialgerichtsgesetz: Erhebliches Kostenrisiko für Ärzte

Breidenbach, Wolfgang

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LNSLNS Nach der Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ist es für den Arzt schwieriger geworden, sich gegen Honorarkürzungsbescheide zur Wehr zu setzen.

Bei Auseinandersetzungen um Honorarkürzungsbescheide sind die Vertragsärzte durch das 6. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG ÄndG), das Anfang 2002 in Kraft trat, erheblich betroffen. Wichtig sind insbesondere Änderungen in Bezug auf eine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage bei Honorarkürzungsbescheiden nach der Wirtschaftlichkeitsprüfung, bei der Durchsetzung eines einstweiligen Rechtsschutzes am Sozialgericht sowie beim Kostenrecht, das nunmehr im Vertragsarztverfahren ein erhebliches Kostenrisiko für den betroffenen Arzt mit sich bringt.
Widerspruch gegen Honorarkürzungsbescheide
Aufschiebende Wirkung bedeutet, dass ein Verwaltungsakt in Form eines Bescheides oder einer Verfügung zwar mit seinem Erlass rechtlich existent ist, jedoch erst nach Ablauf der Rechtsbehelfseinlegungsfrist Ansprüche daraus hergeleitet werden müssen. Der Verwaltungsakt darf also während des Laufs der Rechtsbehelfseinlegungsfrist nicht vollzogen werden.
In der Praxis ist das durch Einlegung eines Widerspruches hervorgerufene Vollstreckungsverbot insbesondere bei Honorarkürzungsbescheiden nach erfolgter Wirtschaftlichkeitsprüfung von großer Bedeutung. Obwohl § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V ausdrücklich normiert, dass die Anrufung des Beschwerdegremiums aufschiebende Wirkung hat, verrechnen die meisten Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die durch Prüfbescheid festgestellte Kürzung mit aktuellen Honorarforderungen, ohne die Entscheidung des Beschwerdegremiums abzuwarten. Gleiches gilt beim Arzneimittelregress, obwohl hier § 106 Abs. 5 a Satz 3 SGB V auf die genannte Regelung zur Wirtschaftlichkeitsprüfung verweist.
Hierbei berufen sich die KVen zumeist auf eine entsprechende Vorschrift in ihrem Honorarverteilungsmaßstab (HVM), wonach der Honoraranspruch des Abrechnenden gegen die KV erst nach abgeschlossener Prüfung (sachlich-rechnerische Prüfung, Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V sowie der Qualitätsprüfung im Einzelfall nach § 136 SGB V) der Abrechnungsunterlagen in Höhe des festgestellten Geldbetrags fällig werde (so § 13 Abs. 1 des HVM der KV Sachsen-Anhalt).
Dieser Vorgehensweise erteilte das Sozialgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 20. September 2001 (Az.: S 17 KA 177/01; rechtskräftig) eine klare Absage. Das Gericht stellte fest, dass die verbindliche Festlegung des Honorars für den Vertragsarzt bereits aufgrund des Honorarbescheids erfolge, der quartalsweise erstellt wird und das aufgrund der Abrechnung zu zahlende genaue Honorar für den jeweiligen Vertragsarzt ausweist. Die Honorarbescheide stellten daher – entgegen der Auffassung der KV – nicht lediglich die Basis für die Vorauszahlungen dar. Gestützt wird diese Entscheidung des Sozialgerichts Magdeburg darüber hinaus durch die Überlegung, dass der jeweilige Honorarverteilungsmaßstab lediglich als Satzung zu qualifizieren ist, die in der Normenhierarchie unter den Bundesgesetzen wie dem SGB V steht. Dies bedeutet auch, dass in einer Satzung keine dem Gesetzestext widersprechenden Regelungen getroffen werden dürfen. Geschieht dies doch, so kann sich der Vertragsarzt mit Erfolg gegen die gesetzeswidrige Regelung in der Satzung zur Wehr setzen.
Das Sozialgericht Magdeburg hat zu Recht in dem genannten Beschluss klargestellt, dass der Vertragsarzt schon aufgrund des Honorarbescheids einen fälligen Anspruch auf Auszahlung des Honorars gegen die KV hat. Eine Aufrechnung kann daher nicht damit begründet werden, dass der Vertragsarzt erst nach dem Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung überhaupt einen Anspruch auf Auszahlung seines Honorars habe. Es bleibt abzuwarten, ob die Kassenärztlichen Vereinigungen jetzt unter Berücksichtigung des Sozialgerichts Magdeburg von dieser rechtswidrigen Praxis abrücken werden.
Anfechtungsklage
Nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Recht war sehr umstritten, ob eine Klage gegen die die Honorarkürzung bestätigende Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufschiebende Wirkung hat. In dem neuen in § 106 Abs. 5 SGB V eingefügten Satz 7 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Klage gegen eine vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Honorarkürzung keine aufschiebende Wirkung hat.
Dies bedeutet, dass die KV mit der ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses an den Vertragsarzt aus dem Prüfbescheid vollstrecken kann. Erstaunlich ist die Gesetzesbegründung, wonach es durch die Änderung bei der geltenden Rechtslage verbleibe, dass Klage und Widerspruch keine aufschiebende Wirkung haben, da anderenfalls die finanzielle Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Leistungserbringung gefährdet würde (vgl. BT-Drs. 14/6335, S. 33). Dabei war die bis zum 31. Dezember 2001 geltende Rechtslage alles andere als eindeutig.
Aufgrund dieser gesetzlichen Festlegung und der finanziellen Auswirkungen der gegen einen Vertragsarzt festgestellten Honorarkürzungen wird daher in Zukunft das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten an Bedeutung gewinnen.
Der einstweilige Rechtsschutz war im SGG bislang in den §§ 86 und 97 SGG (alte Fassung) nur lückenhaft geregelt. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 19. Oktober 1977 (BVerfGE 46, 166 f.) bereits feststellte, entsprach diese unvollständige Regelung nicht den Anforderungen des in Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz enthaltenen Gebotes des effektiven Rechtsschutzes. Danach gilt es zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung hoheitlicher Maßnahmen Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Diese Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts beanspruchen nach wie vor Gültigkeit. Der Gesetzgeber versucht nun mit der lange geplanten Novellierung des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren diesen Vorgaben gerecht zu werden.
Nach der neuen Regelung in § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung jedoch bei Klagen gegen eine vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Honorarkürzung. Will sich der betroffene Vertragsarzt gegen die nun drohende Vollstreckung aus dem Prüfbescheid, das heißt gegen die Aufrechnung mit aktuellen Honoraransprüchen, zur Wehr setzen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als beim zuständigen Sozialgericht (das Sozialgericht, an dem die KV ihren Sitz hat, § 57 a SGG) einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG zu stellen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Einstweiliges Rechtsschutzverfahren
Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist nur die Frage der Vollziehung des Verwaltungsakts. Der einstweilige Rechtsschutz bewirkt damit einen Vollstreckungs- oder Vollziehungsschutz und betrifft nicht unmittelbar den Regelungsinhalt der Hauptsacheentscheidung, sondern lediglich die Frage des Zeitpunkts, ab dem die getroffene Regelung Geltung beansprucht. Aufgrund der Eilbedürftigkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist es dem Sozialgericht nicht möglich, eine abschließende Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Ausreichend und geboten ist daher nach allgemeiner Auffassung eine summarische Prüfung. Das Sozialgericht hat hierbei in erster Linie zu prüfen, ob der vom Vertragsarzt angegriffene Prüfbescheid in der Fassung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist. Im Gegensatz zur alten Rechtslage hat der Vertragsarzt nicht vorzutragen und glaubhaft zu machen, dass die Vollstreckung aus dem angegriffenen Prüfbescheid bei ihm zu unzumutbaren und irreparablen Nachteilen (zum Beispiel Existenzbedrohung seiner Praxis) führt. Diese Hürde, die unter Geltung des alten Rechts oft zur Abweisung des Antrages geführt hatte, sieht die neue Regelung ausdrücklich nicht vor.
Zeichnung: Reinhold Löffler
Zeichnung: Reinhold Löffler
Die beschriebenen Gesetzesänderungen im Bereich des Vertragsarztrechts sind umso brisanter, wenn man sich die damit einhergehenden Änderungen im Kostenrecht vor Augen führt. Mit dem 6. SGG ÄndG ist nämlich auch die Gerichtskostenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren für vertragsärztliche Streitigkeiten aufgehoben worden. Nunmehr bestimmt § 1 Abs. 1 d GKG, dass für das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach dem Sozialgerichtsgesetz, soweit nach diesem Gesetz das Gerichtskostengesetz anzuwenden ist, Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben werden. Da Vertragsärzte nicht zu den privilegierten Personengruppen des § 183 SGG (wie Versicherte, Leistungsempfänger und Behinderte) zählen, werden in vertragsärztlichen Verfahren vor dem Sozialgericht nach § 197 a Abs. 1 nunmehr Kosten nach dem GKG erhoben.
Dies bedeutet zunächst, dass die Gerichtskosten abhängig von der Höhe des Streitwerts erhoben werden. Dieser bemisst sich nach der in Streit stehenden Geldsumme, in Verfahren nach § 106 SGB V nach dem von der KV gekürzten Honorar. Ist der Streitwert gering, fallen die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten nicht ins Gewicht. Ist dieser hingegen hoch, was bei Anfechtungsklagen gegen Honorarkürzungsbescheide die Regel ist, ist das sozialgerichtliche Verfahren für den betroffenen Vertragsarzt mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden.
Erhebliche finanzielle Risiken für den Arzt
Ist Gegenstand des Prüfbescheides und der diesen bestätigenden Entscheidung des Beschwerdeausschusses zum Beispiel eine Kürzungssumme von 24 000 Euro, so wird bereits bei der Einreichung der Klage beim Sozialgericht eine Gebühr nach Nr. 4110 des Kostenverzeichnisses zum GKG in Höhe von 311 Euro fällig. Diese erhöht sich bei einem Endurteil nach streitiger Verhandlung um eine 2,5fache Gebühr (Nr. 4115), das sind im Beispielsfall 777,50 Euro. Mithin sind bei einem Streitwert von 24 000 Euro Gerichtskosten in Höhe von 1 088,50 Euro zu zahlen, soweit das Sozialgericht ein Urteil fällt und der Vertragsarzt unterliegt. Hinzu kommen noch die Rechtsanwaltskosten, die sich – ohne Beweisaufnahme – in einer Größenordnung von 1 614 Euro bewegen (nur für den eigenen Anwalt; soweit sich die KV ebenfalls durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt, verdoppeln sich diese Kosten).
Wird neben der Klage gegen einen Honorarkürzungsbescheid noch der genannte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b SGG gestellt (III. 1.) – was aufgrund der Verfügbarkeit über die gekürzte Honorarsumme nahe liegend ist –, so wird ferner noch eine halbe Gerichtsgebühr in Höhe von 109,50 Euro (Nr. 4210 des Kostenverzeichnisses zum GKG) fällig. Daneben fallen nochmals (mit mündlicher Verhandlung) Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1 243 Euro an, wobei unterstellt wird, dass das Sozialgericht, wie allgemein üblich, den Streitwert im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Vergleich zum Hauptsacheverfahren um die Hälfte – auf 12 000 Euro – mindert. Das Kostenrisiko für den Vertragsarzt beträgt daher im Beispielsfall circa
4 055 Euro.
Es bleibt festzuhalten, dass die mit dem 6. SGG ÄndG vorgenommenen Gesetzesänderungen für den Vertragsarzt erhebliche finanzielle Risiken enthalten. Aufgrund der Festlegung in der neuen Vorschrift des § 106 Abs. 5 Satz 7 SGB V wird die KV die vom Beschwerdeausschuss festgestellte Honorarkürzungssumme bei nächster Gelegenheit mit aktuellen Honorarforderungen verrechnen. Dies kann für den Vertragsarzt zu finanziellen Engpässen bis zur Aufgabe der Praxis führen. Will er sich hiergegen zur Wehr setzen, so muss er neben der Klage noch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim Sozialgericht stellen. Allein die Klageeinreichung hindert die KV noch nicht an der Vollstreckung aus dem Prüfbescheid. Die Stellung des Antrags im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist schon deshalb anzuraten, weil die Hauptsacheverfahren vor den Sozialgerichten in der Regel mehrere Jahre dauern und dem Vertragsarzt die Kürzungssumme in dieser Zeit nicht zur Verfügung steht.
Aufgrund der kostenrechtlichen Änderungen im Vertragsarztbereich ist die Einreichung der Klage sowie die Stellung des Antrages im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für den Vertragsarzt mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden. Trotz der triftigen Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Vertragsärzten und Versicherten ist dieser Umstand bedenklich, da dem Vertragsarzt in der Praxis oft keine andere Wahl als die Anrufung des Sozialgerichts bleibt, will er die Verrechnung mit aktuellen Honorarforderungen und den damit einhergehenden Liquiditätsengpass vermeiden. Bedenklich ist der Wegfall der Gerichtskostenfreiheit bei Streitigkeiten zwischen Vertragsarzt und KV auch deshalb, weil es sich hier nicht um ein freiwilliges Rechtsverhältnis, sondern um eine Zwangsmitgliedschaft handelt. Die Vertragsärzte sind daher gut beraten, wenn sie sich gegen das dargestellte Kostenrisiko absichern.
Rechtsanwalt Dr. jur. Wolfgang Breidenbach
Halle (Saale)

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