ArchivDeutsches Ärzteblatt22/2002Gentests: Manchmal ein Geschäft mit der Angst

POLITIK: Medizinreport

Gentests: Manchmal ein Geschäft mit der Angst

Leinmüller, Renate

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Einblick in die Produktion von Gen-Chips: Ein Glas- Wafer wird in Felder für die Gen-Chips aufgeteilt. Foto: ap
Einblick in die Produktion von Gen-Chips: Ein Glas- Wafer wird in Felder für die Gen-Chips aufgeteilt. Foto: ap
Aus der Kenntnis von genetischen Polymorphismen lässt sich nicht zwingend ein gesundheitliches Risiko für die untersuchte Person ableiten.

Die Idee kommt ohne jeden Zweifel dem Bedürfnis von Patientinnen nach: Ein Gentest, der auf der Basis moderner Chip-Technologie anzeigen soll, ob mit der Einnahme von Hormonen im Einzelfall ein Gesundheitsrisiko verbunden ist oder nicht. Therapiemaßnahmen sind daraus für seriöse Wissenschaftler nicht abzuleiten, denn nur für einen Bruchteil der getesteten Polymorphismen sind krank machende oder direkt krebsfördernde Auswirkungen im Zusammenhang mit einer Hormongabe prospektiv gesichert – und diese können bei gegebener Indikation als Kassenleistung verifiziert werden. Doch die Schlagzeile „Hormone? Ab sofort nur noch mit Gentest“ hat in den Labors eine enorme Nachfrage ausgelöst; Kliniker und niedergelassene Frauenärzte müssen sich Diskussionen stellen.
Der Gentest, der von Wiener Gynäkologen und Endokrinologen um Prof. Johannes Huber mitentwickelt wurde und von Genosense für rund 300 Euro angeboten wird, erfasst 18 „gynäkologisch relevante polymorphe Punktmutationen (Single Nucleotide Polymorphisms/SNPs) aus Lymphozyten-DNS“ und die klinische Interpretation der Ergebnisse. Dabei reicht das Spektrum vom Verzicht auf konjugierte Estrogene oder die Vermeidung von Subtypen, die bestimmten Metabolisierungswegen unterliegen, bis zur Warnung vor Progesteron.
Zweifellos haben die Veröffentlichungen der vergangenen Monate die Krebsangst im Zusammenhang mit der Hormontherapie bei Patientinnen geschürt. Hier setzen die Werbeversprechen des Gentests an: „Die Kenntnis von Polymorphismen im Bereich der Sexualsteroid-Metabolisierung erleichtern die individuelle Beratung und Verschreibung von Hormonpräparaten“. Tatsächlich ist es jedoch nach Überzeugung von Experten nicht gerechtfertigt, aus den bisherigen – retrospektiv gewonnenen – Daten zu den untersuchten SNPs ein gesichertes Risiko abzuleiten, das lebensverändernde Konsequenzen nach sich zieht. Die Ergebnisse des Tests und die Interpretation seien deshalb als pure Spekulationen und Hypothesen einzustufen, meint Prof. Herbert Kuhl (Frankfurt/Main).
Dieser Kritik stimmt auch der Erlanger Gynäkologe Prof. Matthias Beckmann zu. In großen Kollektiven von Mammakarzinom-Patientinnen habe sich zwar eine – schwache – Korrelation zu Polymorphismen (etwa im Progesteronrezeptor und Enzymen des Steroid-Stoffwechsels) aufstellen lassen; bei Nicht-Brustkrebs-Patientinnen wurden jedoch nie mehr als vier unterschiedliche SNPs zusammen untersucht. Für die kleinen und unterschiedlichen Einzelgruppen seien die Ergebnisse und Rückschlüsse zwar richtig, die Zusammenstellung im bunten Mix jedoch unzulässig. „Derzeit liegen also keine Daten darüber vor, wie die Risikokonstellation in einem unselektierten Kollektiv von Frauen ist. Die Verwendung unter kommerziellen Gesichtspunkten entbehrt einer prospektiven wissenschaftlichen Grundlage“, so Beckmann.
Die Untersuchung von Polymorphismen ist für die Zukunft von Diagnostik und Therapie sicher ein viel versprechender Ansatz; darüber sind sich alle Experten einig. Als verwirrend und unsachlich imponiert in der Hochglanzbroschüre des „revolutionären Diagnosesystems“ allerdings die Vermischung von SNPs und Mutationen. Während „Mutation“ im Allgemeinen als Begriff für krank machende Veränderungen verwandt wird, existieren viele Polymorphismen ohne jegliche – und einige Kandidaten mit umstrittener – krank machender Bedeutung.
Darauf geht auch der „Zürcher Gesprächskreis“ in den Empfehlungen zur Hormonsubstitution im Klimakterium und in der Postmenopause ein. In der Zusammenfassung des 27. Arbeitstreffens heißt es: Bei der willkürlichen Auswahl der Parameter fehlen viele wichtige Faktoren (zum Beispiel BRCA-1 und -2, 21-Hydroxylase, viele Thrombophilien). Die klinische Bedeutung der meisten im Test analysierten Polymorphismen ist umstritten, fraglich und irrelevant, da sie keinen Krankheitswert haben. Die behaupteten Zusammenhänge, insbesondere die Aussagen zum Brustkrebsrisiko aufgrund erhöhter Gewebekonzentrationen von Steroidhormonen, sind nicht belegt und dazu geeignet, Krebsangst zu erzeugen.
Dass die Mutationen im BRCA-1- und -2-Gen, die mit einem Mammakarzinom-Lebenszeitrisiko von 75 bis 80 Prozent einhergehen, nicht im Test erfasst werden, hat einfache Gründe: Einerseits besteht ein weltweiter Patentschutz, andererseits müssten allein beim BRCA-1-Gen über 280 Mutationen erfasst werden, was in einem einfachen Test unmöglich ist. Ob jede dieser Mutationen krank machend ist und welche Bedeutung die über 500 Polymorphismen auf diesem Gen haben, ist derzeit nicht bekannt.
Vorschnelle Rückschlüsse
Bei der Faktor-V-Leiden-Mutation im Zusammenhang mit Thrombophilie dagegen war bis vor kurzem nur eine einzige Mutation beschrieben, was eine schnelle Diagnostik erlaubt. Für die Endokrinologen um Huber sind auch (vor)schnelle Rückschlüsse und Konsequenzen bei der oralen Kontrazeption erlaubt – zum Beispiel die Vermeidung von „veränderten Östrogenen wie insbesondere Ethinylestradiol“.
Dem gegenüber steht eine Düsseldorfer Studie, bei der Schwangere mit Thrombosen auf die Mutation untersucht wurden; in der Anamnese gab die Hälfte dieser Frauen an, sowohl geraucht als auch orale Kontrazeptiva eingenommen zu haben. Selbst unter dieser Hochrisikokonstellation entwickelte sich in keinem Fall eine Thrombose, dies war erst in der Schwangerschaft der Fall. Die Empfehlung alternativer Kontrazeptionsformen ist in dieser Stringenz und Kausalität sicher fraglich, meint Beckmann.
Ein Screening auf die Faktor-V-Leiden-Mutation hat eine Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe trotz der relativ hohen Prävalenz (zwei bis vier Prozent) wegen des ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses als „nicht zu rechtfertigen“ abgelehnt und stattdessen eine Familienanamnese empfohlen. Ergibt sich dabei ein Verdacht auf eine familiäre Thrombophilie, ist die klare Indikation zur Untersuchung der zugrunde liegenden genetischen Ursachen als Kassenleistung gegeben – worunter dann auch die Faktor-V-Leiden-(FVL-)Mutation fällt, die mit einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Aborte einhergeht.
Für den zweiten getesteten „Thrombophilie-Polymorphismus“ (Prothrombin-Faktor-II-Gen) wird die Prävalenz unterschiedlich (1,5 bis zwei Prozent) angegeben. Für „den Dritten im Bunde“, Polymorphismen im Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-(PAI-)Gen, die mit Thrombosen beim Mammakarzinom in Verbindung gebracht werden, lägen noch keine verlässlichen Prävalenzzahlen vor, erklärt Dr. Carl Kirchmaier von der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden. Gleichwohl sieht der Hämostaseologe in diesen Fällen eine intensivierte Schwangerschaftsbetreuung als gerechtfertigt an – ein Screening außerhalb von Zentren jedoch als problematisch.
Zu den Problemen bei der Auswahl von Mutationen und Polymorphismen für eine rationelle Diagnostik sowie den Rückschlüssen aus den Ergebnissen, die Dr. Hanns-Georg Klein (Martinsried) bei einigen kommerziellen Anbietern als Vermischung von gesichertem Wissen mit Halb- und Unwahrheiten bezeichnet, kommt für den medizinischen Genetiker die unsaubere patientenunfreundliche Vermischung von Wahl- und indikationsbezogenen Kassenleistungen bei FVL und PAI. Beispielsweise hat der Patient bei entsprechender Indikation klar einen Anspruch auf eine genetische Untersuchung auf Thrombophilie oder Hämochromatose im Rahmen der humangenetischen Diagnostik.
Aufgrund der zahlreichen Anfragen hat sich Klein, als Leiter eines genetischen Fachlabors, mit dem Wiener Gentest auseinander gesetzt. Auf Basis der derzeitig vorliegenden Studien von Häufigkeit und Assoziation mit Gesundheitsrisiken sind nur sieben Varianten der „Wiener SNPs“ als Wahlleistung im Angebot (COMT-V158M, CYP1A1*2A, *2B,*2C, CYP17-A1/A2, SRD5A2-V89L) – bei allen übrigen seien guten Gewissens keine klinischen Konsequenzen abzuleiten. Allerdings kommt die Bestimmung jeweils auf circa 400 Euro und kann daher mit dem Wiener Gentest preislich nicht konkurrieren. Klein rechtfertigt die höheren Kosten mit dem Aufwand für eine individuelle, wissenschaftlich fundierte Befundinterpretation sowie dem Hinweis auf Arzthaftung, Schweigepflicht und Datensicherheit, Auflagen, denen eine Kapitalgesellschaft nicht unterliegt. Neben interpretatorischen bestehen auch technische Probleme:
- Kommerzielle Genchips setzen noch parallel validierte und nichtvalidierte SNP-Marker ein. Selbst für die Prognostik von Mammakarzinomen existieren nur kleine Zahlen aus Fall-Kontroll-Studien für einige validierte Marker, es fehlen vergleichbare Studien mit wissenschaftlich fundierten Kollektiven und statistischen Berechnungen.
- Die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse einer Genchip-Untersuchung muss erst noch gezeigt werden; wünschenswert wären zertifizierte, für alle medizinischen Laboratorien verfügbare Produkte.
- Durch so genannte Pseudogene oder Isoformen können falsche Ergebnisse produziert werden, daher ist eine Offenlegung der untersuchten Gense-quenzen notwendig, um die Ergebnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft vergleichbar zu machen.
Familienanamnese ist einfachste Methode
Der Genetiker Prof. Peter Wieacker (Magdeburg) brachte die Kritik auf den Punkt: „Es ist unverantwortlich, einen Gentest anzubieten, wenn Diagnose und Konsequenzen nicht belegt sind.“ Hinsichtlich eines möglichen Thromboserisikos ist eine detailliert erhobene Familienanamnese derzeit die einfachste und sicherste Methode, die vor Verordnung einer Pille oder Hormonsubstitution oder vor einer geplanten Schwangerschaft auch genützt werden sollte. Ebenso ist das Risiko für hereditäres Mamma- oder Ovarialkarzinom zu ermitteln. „Und eine Überdosierung bei der Hormonsubstitution ist allein anhand der Klinik leicht zu ermitteln, wenn die Nebenwirkungen des Hormonersatzes abgefragt werden“, erinnert Kuhl. Dr. Renate Leinmüller

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