POLITIK
Rehabilitation psychisch Kranker: Arbeit als Gesundungsfaktor


Erzwungenes Nichtstun ist eine Qual“ – so erleben es Arbeitslose häufig über Jahre. Das Selbstwertgefühl sinkt, persönlicher Erfolg und kollegiale Kontakte bleiben aus, und die Existenzgrundlage kann nicht aus eigener Kraft gesichert werden. Vor allem chronisch psychisch Kranke leiden, wenn sie „zur Untätigkeit verurteilt“ sind, hieß es auf einer Fachtagung zur „Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen“ in Berlin. „Die Teilhabe am Arbeitsleben ist bisher nicht realisiert“, betonte Dr. Niels Pörksen, Vorstandsmitglied der Aktion Psychisch Kranke e.V. (APK), Bonn, und Leiter des Projekts „Rehabilitation psychisch Kranker“, das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durchgeführt wird.
Blinder Fleck der Psychiatriereform
Dies sei ein „blinder Fleck“ der in weiten Teilen erfolgreichen Psychiatriereform. Je nach Wohnort stünde ein unübersichtliches Angebot spezialisierter Rehabilitationseinrichtungen zur Verfügung. Psychisch Kranke bewegten sich zwischen diversen Diensten, Einrichtungen, Arbeitgebern und Kostenträgern mit wechselnden Bezugspersonen, ohne Anschluss an ihre vormalige Tätigkeit zu bekommen. Beispielhaft schilderte Prof. Dr. med. Peter Kruckenberg, Zentralkrankenhaus Bremen-Ost, die ergebnislose Reha-Odyssee eines 24-jährigen Laborangestellten, dem einige Monate nach seiner erstmals aufgetretenen schizophrenen Störung aus betriebsbedingten Gründen gekündigt worden war. Statt eines Arbeitsplatzes wurde ihm am Ende ein Schwerbehindertenausweis empfohlen – eine Stigmatisierung, aber eine Voraussetzung für die Arbeitsvermittlung.
Etwa 400 000 bis 500 000 Menschen im erwerbsfähigen Alter sind aktuell in Deutschland von schweren chronisch verlaufenden psychischen Erkrankungen betroffen: Schizophrenien, Depressionen, neurotischen Störungen oder Persönlichkeitsstörungen. Maximal zehn Prozent sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voll- oder teilzeitbeschäftigt (inklusive Integrationsfirmen), und rund 20 Prozent haben einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für Behinderte. Weitere 20 Prozent verteilen sich auf berufliche Trainings- oder Rehamaßnahmen und Hilfsangebote mit geringer Beschäftigung. Die Hälfte aller chronisch psychisch Kranken ist ohne Arbeits- oder Beschäftigungsangebot, so der Zwischenbericht der „Bestandsaufnahme zur Rehabilitation psychisch Kranker“.
Die Problematik verdeutlichte Klaus Laupichler, Vorstand des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen: „Wir wollen raus aus der Beheimatung im psychosozialen Netz und rein in den ersten Arbeitsmarkt.“ Innerhalb des psychiatrischen Hilfesystem müsse das Bedürfnis nach einer sinnvollen Tätigkeit ernster genommen werden. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen fühlen sich in einer Behindertenwerkstatt häufig unterfordert und zu gering bezahlt und erleben die Arbeit als monoton und perspektivlos. Die Kompetenzen von psychisch Kranken würden oft nicht gesehen. Laupichler wünschte sich wohnortnahe Berufstrainingsmöglichkeiten und „statt tausend Ämtern eine Bezugsperson“, die dabei hilft, eine Erwerbstätigkeit zu finden und zu behalten.
Studien aus den USA zeigen, dass die individuelle Platzierung und Unterstützung durch eine Fachkraft erfolgreicher ist als der „gestufte“ Weg in und durch Rehabilitationseinrichtungen: 61 Prozent der Personen mit schweren psychischen Störungen konnten mithilfe eines Betreuers in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden (elf Prozent nach Rehamaßnahmen). Entsprechend sollten personenzentrierte passgenaue Maßnahmen langfristig die einrichtungsbezogenen Hilfen ablösen, so Prof. Dr. med. Heinrich Kunze, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Merxhausen.
Erste niedrigschwellige und verzahnte Ansätze bieten Integrationsfachdienste, bei denen die Vermittlung eines Arbeitsplatzes und die anschließende psychosoziale Betreuung „in einer Hand“ liegen. Gerade in den ersten Arbeitsmonaten sieht sich der psychisch Kranke mit ungewohnten Leistungsanforderungen konfrontiert, leidet unter Stress und Versagensängsten oder benötigt Beratung im Umgang mit Vorgesetzten. Andererseits ist die Welt der Psychiatrie häufig fremd für Kollegen und Arbeitgeber. Verunsicherungen und Vorurteile müssen abgebaut werden, um das Interesse von Betrieben nicht nur am Minderleistungsausgleich, sondern auch an dem neuen Teammitglied zu wecken.
Es gelte, festgefahrene Einstellungen bei denen zu überwinden, die Arbeit zu vergeben haben, hob auch Bundesarbeitsminister Walter Riester hervor. Der rechtliche Rahmen für eine personen- und ressourcenorientierte Wiedereingliederung sei geschaffen, die „Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten“ sei im neuen Sozialgesetzbuch IX verankert. Florian Gerster, Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Arbeit, ergänzte, dass mit Hilfe von Reha- oder Integrationsteams in den Arbeitsämtern sichergestellt werden soll, „dass die Akten wandern, nicht die Menschen“. Karin Dlubis-Mertens
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