BRIEFE
Mammographie: Hören wir endlich auf mit dieser Heuchelei!


Dazu ist man sich auch nicht zu schade, das ansonsten verteufelte englische Gesundheitssystem als Beleg herzunehmen, wohingegen in allen anderen Fällen das amerikanische System das Maß aller Dinge ist.
Die hohe Biopsierate in Deutschland ist nur zu geringem Teil von den Radiologen zu verantworten; in vielen Fällen wird die Patientin trotz negativem radiologischen Befund vom behandelnden Gynäkologen oder Hausarzt einer Biopsie zugeführt – ein zeitnahes Feedback an den beteiligten Radiologen hinsichtlich der Histologie, auch bei von diesem veranlassten Operationen, findet nur in seltenen Fällen statt, es sei denn, er hakt eindringlich nach.
Die Anzahl der durchgeführten Mammographien als Indikator für die Qualität des Diagnostikers heranzuziehen ist abwegig; unter dieser Prämisse müsste manche Uni-Klinik wegen ihrer geringen Untersuchungszahlen (zum Teil < 1 500/Jahr) die Mammadiagnostik freiwillig aufgeben. Eine gewisse Mindestanzahl von Untersuchungen ist aufgrund des Trainingseffektes unstrittig notwendig, lässt sich jedoch nicht als absoluter Schwellenwert angeben. Ab einer bestimmten Fallzahl kehrt sich der positive Effekt durch Ermüdungs- und Monotonieeffekte um.
Die Misere der Mammadiagnostik in Deutschland ist hauptsächlich darin begründet, dass zu viele Fachgruppen unkoordiniert mitmischen. Der Allgemeinmediziner meint, aufgrund seiner natürlichen Universalkompetenz dabei sein zu müssen, mancher Gynäkologe glaubt, mit der von ihm durchgeführten klinischen Untersuchung und/oder Mammasonographie sei alles erledigt, eine Mammographie damit unnötig oder – wenn doch durchgeführt – lediglich als Alibiveranstaltung anzusehen, um notfalls dem Radiologen den schwarzen Peter zuschieben zu können. Dem Radiologen bleibt in diesem Szenario in den Augen der anderen Disziplinen lediglich die Rolle des akademischen Hoffotografen, unfähig, sich ein fundiertes Urteil über den Fall zu machen, und auch ungeeignet, eigenständig über das diagnostische und therapeutische Procedere zu entscheiden. Daher sollte man ihn tunlichst vom klinischen Entscheidungsprozess fernhalten. Ihm aber zum Schluss schlechte Biopsieraten unterzuschieben, die er nicht beeinflusst hat, dazu ist er dann wieder von Nutzen.
Das Argument der Kostenreduktion durch Vermeidung unnötiger Biopsien ist eine Milchmädchenrechnung. Eine wesentlich umfangreichere und effektivere Kostenersparnis in unserem Gesundheitssystem wäre durch Zurückdrängen der „Woodoo“- und „Beruhigungs“-Medizin (unsinnige Infusions- und Injektionstherapien, „Einrenken“, Magnetfeld- und Elektrotherapie etc.) zu erzielen. Eine Diskussion über diese Therapieelemente oder gar eine Qualitätskontrolle findet nicht statt. Wer wollte es auch wagen, an der Effizienz der Verfahren der Allgemeinmedizin zu zweifeln, gilt doch hier das Motto „Faeces ist nahrhaft, Millionen Fliegen können sich nicht irren“. Hier Qualitätskontrolle zu fordern, eine jährliche Prüfung der Therapeuten einzuführen mit der Konsequenz, bei Nichtbestehen die Kassenzulassung zu verlieren, ist Blasphemie – dies bei den Radiologen zu tun, eine Selbstverständlichkeit.
Nichts gegen Qualitätskontrolle, aber dann bitte für alle Disziplinen mit gleichen Konsequenzen!
Dr. med. Jürgen Milbich, Facharzt für Diagnostische Radiologie, Wirtelstraße 34–36, 52349 Düren
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