ArchivDeutsches Ärzteblatt31-32/2002Notfallmedizin: Einheitlichkeit notwendig
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Zunehmend befindet sich der Notarzt in der Rolle des Logistikers. Foto: dpa
Zunehmend befindet sich der Notarzt in der Rolle des Logistikers. Foto: dpa
Die Qualifikationsanforderungen für Notärzte in den
Bundesländern variieren stark. Eine einheitliche Ausbildung der Notärzte ist nicht gewährleistet.

Die Eignungsvoraussetzungen für Notärzte fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Dort existieren unterschiedliche Richtlinien und Vorgaben für die Weiterbildung und die Tätigkeit als Notarzt. Die Vielzahl der verschiedenen Eignungsvoraussetzungen führt zu teils erheblichen Unterschieden bei der Qualifikation der Notärzte und zu Verunsicherung bei Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildung.
Die Tätigkeit als Notarzt setzt nicht nur ein breit gefächertes notfall- und intensivmedizinisches Fachwissen voraus, zunehmend befindet sich der Notarzt auch in der Rolle des Logistikers, der bereits präklinisch kompetente organisatorische Entscheidungen treffen muss. Die Umsetzung dieser Anforderungen wird wegen der Zuständigkeit der Länder auf unterschiedlichen Wegen beschritten. Dabei variieren die Eignungskriterien für die als Notärzte eingesetzten Kolleginnen und Kollegen zum Teil erheblich.
Ziel der ärztlichen Mitwirkung im Rettungsdienst ist eine gleichmäßige Versorgung von Notfallpatienten auf hohem Niveau, da der Bürger im Rahmen des Rettungsdienstes einen gesetzlich garantierten Anspruch auf eine flächendeckende, hilfsfristorientierte und qualifizierte notärztliche Hilfe hat (1).
Gesetzliche Grundlagen
In den Rettungsdienstgesetzen der Länder (RDG) werden die Voraussetzungen zur Mitwirkung von Ärzten im Rettungsdienst nicht explizit genannt; die Vorgabe beschränkt sich auf die generelle Eignung für die Mitwirkung im Rettungsdienst und einen Verweis auf die Satzungen der Landesärztekammern (LÄK). Diese nennen in ihren Weiterbildungsordnungen und Richtlinien teils erheblich unterschiedliche Anforderungen für die Qualifikation von Notärzten. Bei einigen Landesärztekammern gibt es infolge der Übergangsregelungen im Rahmen der Einführung der durch die Bundesärztekammer geforderten Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ nebeneinander mehrere gültige Bestimmungen, abhängig vom Beginn der klinischen Tätigkeit oder der Weiterbildung zum Notarzt.
Die Pflichtmitgliedschaft in einer Bezirksärztekammer und Landesärztekammer richtet sich in erster Linie nach dem Ort der ärztlichen Tätigkeit, liegt eine solche nicht vor, nach dem Hauptwohnsitz. Für Baden-Württemberg sind beispielsweise die Bezirksärztekammern rechtlich unselbstständige Gliederungen der Landesärztekammer, sodass alle berufsausübenden Ärzte Pflichtmitglieder der Landesärztekammer sind (2). Die Vorgaben für den Erwerb eines Qualifikationsnachweises, der die Teilnahme am Notarztdienst ermöglicht, werden also von der Landesärztekammer vorgegeben und von der Bezirksärztekammer überprüft.
Von den 17 Landesärztekammern werden fünf verschiedene Eignungsnachweise für Ärzte vergeben, um am Rettungsdienst als Notarzt/Notärztin teilzunehmen:
c Fachkundenachweis „Rettungsdienst“
c Fachkunde „Arzt im Rettungsdienst“
c Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“
c Zusatzbezeichnung „Rettungsmedizin“
c „Rettungsarzt“ (ehemals Ärztekammer Westfalen-Lippe).
Zusätzlich zu unterschiedlichen Eignungsnachweisen werden die Eignungskriterien von den Landesärztekammern teilweise unterschiedlich geregelt.
Die Bundesärztekammer fordert in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 1997, dass zur Sicherung der Qualifikation für die Tätigkeit als Notarzt eine führbare Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ vorgesehen werden muss, um den erforderlichen hohen Qualitätsstandard der notärztlichen Versorgung sicherzustellen (1). In einigen Bundesländern ist diese Forderung bereits umgesetzt. Diese erteilen die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ zusätzlich beziehungsweise alternativ zum Fachkundenachweis „Rettungsdienst“. In der jeweils gültigen Weiterbildungsordnung (WBO) sind die Einzelnachweise zwar nicht näher erläutert, werden jedoch in den zugehörigen Richtlinien zur WBO konkretisiert. Zum Erwerb des Fachkundenachweises oder der Zusatzbezeichnung ist die am Beginn der Ausbildung gültige Weiterbildungsordnung mit Richtlinien verbindlich.
Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Notarzt für die Erstversorgung akut lebensbedrohter Patienten bei Erkrankungen beziehungsweise Unfällen benötigt, müssen so umfassend und spezifisch sein, dass dieser bei einem breiten Spektrum von Notfällen eine wirkungsvolle präklinische Intensivtherapie einleiten kann. Einheitlich werden bei jeder Landesärztekammer Vorgaben für die Erfahrung in bestimmten Bereichen gefordert (Dauer der klinischen Tätigkeit, intensivmedizinische Tätigkeit, Einzelnachweise, Kurse). Allerdings bestehen dabei erhebliche Unterschiede in der Anzahl und Dauer der nachzuweisenden Tätigkeiten und Eignungskriterien.
Die meisten Landesärztekammern fordern 18 Monate klinische Tätigkeit nach Erteilung der Berufserlaubnis. Die Spannweite reicht allerdings von zwölf Monaten (LÄK Hessen und Schleswig-Holstein) bis hin zu 30 Monaten (LÄK Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Beispiel: Während in Hessen die Qualifikation als Notarzt schon während des AiP (zwölf Monate) erworben werden kann und nach Erhalt der Vollapprobation erteilt wird, ist in anderen Bundesländern die Vollapprobation Voraussetzung, um die Weiterbildung zum Notarzt überhaupt beginnen zu dürfen.
Für die geforderte Dauer der Tätigkeit auf Intensivstationen, in der Anästhesie oder in einer Notaufnahme existieren ebenfalls erhebliche Unterschiede. In Schleswig-Holstein wird von der LÄK lediglich „praktische Erfahrung in der Intensivtherapie“ (ohne nähere Definition) gefordert, bei der Landesärztekammer Berlin müssen zwölf Monate ganztägige Tätigkeit auf einer Intensivstation nachgewiesen werden.
Prüfungen
Prüfungen nach Abschluss der Kurse, um einen adäquaten Wissensstand der Notärzte zu verifizieren, werden nur in einigen Bundesländern verlangt. Zum Erwerb der Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ wurden in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und im Saarland Prüfungen eingeführt.
Die Anzahl der nachzuweisenden Notarzteinsätze unter Anleitung eines erfahrenen Notarztes variiert erheblich: Während in Hessen und Schleswig-Holstein fünf lebensrettende Einsätze genügen, müssen in Berlin 100 Einsätze unter Aufsicht nachgewiesen werden. Andere Landesärztekammern fordern zwischen 25 und 50 Einsätze zum Erwerb ausreichender praktischer Erfahrung für die eigenständige Teilnahme am Notarztdienst. Die Anforderungen an den notärztlichen Tutor (in der Regel ohne nähere Angaben als „erfahrener Notarzt“ bezeichnet) sind dabei ebenfalls unterschiedlich: Derzeit genügt in den meisten Fällen als Qualifikation der Fachkundenachweis „Rettungsdienst“, in Baden-Württemberg wird jedoch beispielsweise ab dem 1. Januar 2003 die praktische Ausbildung auf arztbesetzten Rettungsmitteln nur noch unter Aufsicht eines Arztes mit der Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ möglich sein.
Qualifikation der Notärzte
auf hohem Niveau
Die Einzelnachweise sind größtenteils identisch (25 endotracheale Intubationen, 50 venöse und zentralvenöse Zugänge, zwei Thoraxdrainagen und ein Reanimationsstandard), bei einigen Landesärztekammern aber auch deutlich umfangreicher (in Berlin beispielsweise zusätzlich Beurteilung von 200 pathologischen EKGs, 30 zentralvenöse Zugänge, fünf Reanimationen, fünf Kardioversionen, zehn Defibrillationen, in Sachsen-Anhalt beispielsweise zusätzlich fünf Entbindungen).
Zusätzlich zu den bereits genannten Differenzen bestehen in vielen Bun-desländern durch Einführung der von
der Bundesärztekammer geforderten
Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ Übergangsregelungen zum Erwerb der Notarztqualifikation. Kriterien für die Anwendbarkeit einer Übergangsregelung sind bei der zuständigen Landesärztekammer zu erfragen. In der Regel sind der Beginn der Weiterbildung und der Termin des In-Kraft-Tretens der jeweiligen Weiterbildungsordnung ausschlaggebend.
Die präklinische Notfallmedizin und die ärztliche Mitwirkung im Rettungsdienst liegen – wie auch die Ausbildung zum Notarzt – in der Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer. Unterschiedliche Eignungskriterien in den meisten Bundesländern, Übergangsregelungen, geänderte rechtliche Bestimmungen, stark variierende Ausbildungsanforderungen und notwendige Tätigkeitsnachweise verunsichern nicht nur Kolleginnen und Kollegen in der Ausbildung zum Notarzt, sondern erschweren auch die Umsetzung eines einheitlichen Standards in der Ausbildung von Notärzten in Deutschland.
Im Zuständigkeitsbereich einiger Landesärztekammern traten in den letzten Monaten im Zuge der Einführung der Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ Änderungen in Kraft, welche die Anforderungen an die Ausbildung zum Notarzt zum Teil deutlich erhöhen. Der Nachweis intensivmedizinischer Tätigkeit kann allerdings bei den meisten Landesärztekammern durch eine Tätigkeit in der Anästhesie, einer Notaufnahme oder einer Wachstation umgangen werden. Hierbei können jedoch nicht immer ausreichende intensivmedizinische Kenntnisse erworben werden. Ähnlich wie bei den Mindestanforderungen an die ausbildenden Notärzte oder die Erteilung der Weiterbildungsbefugnisse ist hier die Definition entsprechend qualifizierter Einrichtungen denkbar.
Langfristig sollten eine bundesweit einheitliche Weiterbildung und gleiche Weiterbildungskriterien angestrebt werden, um eine Qualifikation der Notärzte auf gleichmäßig hohem Niveau und damit flächendeckend eine notfallmedizinische Versorgung ohne qualitative Unterschiede gewährleisten zu können.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2095–2096 [Heft 31–32]

Literatur
1. Bundesärztekammer (1997): Grundlagen und Grundsätze zur Weiterentwicklung der Rettungsdienste und der notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. www.baek.de
2. Bezirksärztekammer Nordbaden (2001): Merkblatt zur Kammermitgliedschaft: Pflichtmitgliedschaft – freiwillige Mitgliedschaft

Anschrift der Verfasser:
Jochen Hinkelbein, Harald Genzwürker
Priv.-Doz. Dr. Klaus Ellinger
Institut für Anästhesiologie und
Operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1–3, 68167 Mannheim

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