ArchivDeutsches Ärzteblatt PP4/2002Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde: Mythos psychische Blockade

WISSENSCHAFT

Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde: Mythos psychische Blockade

Sonnenmoser, Marion

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LNSLNS Psychologische Beratung ist bei unerfülltem Kinderwunsch oft hilfreich. Betroffene Paare wünschen sich ein Beratungsangebot bereits zu Beginn der reproduktionsmedizinischen Behandlung.
Für knapp zehn Prozent aller Paare erfüllt sich der Wunsch nach eigenem Nachwuchs nicht. Tendenziell wird die Zahl der Paare, die ungewollt kinderlos bleiben, sogar noch steigen. Psychologische Aspekte bei unerfülltem Kinderwunsch standen auf der Informations- und Fortbildungsveranstaltung der Abteilung für Medizinische Psychologie am Heidelberger Universitätsklinikum vom 8. bis 9. März im Vordergrund. Die Psychologen Dr. Tewes Wischmann und Dr. Heike Stammer stellten Ergebnisse aus mehreren Studien und ein daraus entwickeltes Beratungskonzept vor.
Kinder werden zu einem immer späteren Zeitpunkt in die Lebensbiografie eingeplant. Mit dem Lebensalter sinkt jedoch die Fruchtbarkeit. Hat eine Frau das Alter von 30 Jahren erst einmal überschritten, sinken die Chancen einer Schwangerschaft rapide. Aber nicht nur das Alter spielt eine Rolle, wenn Paare ohne Nachwuchs bleiben, es gibt viele Ursachen. Neben organischen Störungen wird oftmals die Psyche als Hauptverursacher angesehen. Beispielsweise wird von Experten behauptet, durch Unfruchtbarkeit wehre sich eine Frau unbewusst gegen ein Kind. „Das konnte wissenschaftlich bisher nicht nachgewiesen werden“, sagt hingegen Wischmann. Er und seine Kollegen untersuchen und beraten seit Jahren ungewollt kinderlose Paare. Die Ergebnisse seiner Studien räumen mit einigen Mythen auf, die sich um diese Paare ranken.
Mythos 1: Ungewollt kinderlose Paare haben psychische Probleme, die Unfruchtbarkeit zur Folge haben.
Man weiß aus Studien, dass ungewollt kinderlose Paare psychisch nicht auffälliger sind als Eltern und als die Allgemeinbevölkerung. Allerdings sind die Unfruchtbarkeit und die reproduktionsmedizinischen Behandlungen auf Dauer so belastend, dass unfruchtbare Frauen ängstlicher und depressiver werden. Die psychischen Probleme sind häufig eine Folge und keine Ursache von Kinderlosigkeit.
Mythos 2: Ungewollt kinderlose Paare sind mit ihrer Partnerschaft unzufriedener.
Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Paare nicht unzufriedener mit ihrer Partnerschaft als Eltern sind und deshalb auch nicht immer eine Verbesserung der Partnerschaftsqualität durch ein Kind erhoffen.
Mythos 3: Wenn unfruchtbare Paare ihren Kinderwunsch aufgeben, stellt sich eine Schwangerschaft wie von selbst ein.
Der häufig zu hörende Rat: „Fixiert euch nicht so auf ein Kind, dann wird es schon klappen“, unterstellt psychische Blockaden. Tatsächlich bringt es unfruchtbaren Paaren jedoch kaum etwas, den Kinderwunsch völlig aufzugeben. Untersuchungen zeigten, dass sich bei Paaren, die sich keine Kinder mehr wünschten beziehungsweise ein Kind adoptierten oder zur Pflege aufnahmen, nicht häufiger „spontan“ eine Schwangerschaft einstellte als bei Paaren, die weiter auf ein Kind hofften.
Obwohl die Reproduktionsmedizin große Fortschritte macht, kann nicht allen ungewollt kinderlosen Paaren geholfen werden – sie stürzen immer wieder in ein tiefes seelisches Loch, zum Beispiel wenn die Monatsblutung einsetzt oder wenn die Behandlungen nur zu Misserfolgen führen. „Hier kann psychologische Beratung hilfreich sein“, meinen Wischmann und Stammer. Wie eine Befragung der beiden Psychologen zeigte, scheint ein Bedarf an Beratung vorhanden zu sein. Er wird jedoch von Gynäkologen und Betroffenen unterschiedlich eingeschätzt. Die befragten Ärzte hielten eine psychologische Beratung für weniger notwendig und hilfreich als die ungewollt kinderlosen Paare. Außerdem ist nach Ansicht der Frauenärzte eine psychologische Beratung vor allem bei Misserfolg der reproduktionsmedizinischen Behandlung notwendig, jedoch nicht sinnvoll, wenn organische Ursachen vorliegen. Im Gegensatz dazu wünschten sich die Betroffenen ein fakultatives Beratungsangebot schon zu Beginn der Behandlung.
Emotionale Entlastung und Stimmungsverbesserung
Um die Betroffenen psychologisch zu begleiten, haben die Forscher im Rahmen der „Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde“ ein Beratungskonzept entwickelt und evaluiert. Es soll den Betroffenen helfen, den Umgang mit der Kinderlosigkeit zu erleichtern und Stress und emotionale Belastungen zu verringern. Die Paare werden dabei unterstützt, ihre Kinderwunschmotive zu hinterfragen und den Kinderwunsch zu relativieren. Sie sollen neue Lebensperspektiven entwickeln und lernen, miteinander und mit Außenstehenden über ihr Problem zu sprechen. Es ist jedoch kein vorrangiges Ziel der Beratung, psychische Blockaden zu lösen, damit eine Schwangerschaft eintritt. Das Beratungskonzept scheint erfolgreich zu sein: Bereits zwei psychologische Beratungsgespräche führten bei den betroffenen Paaren schon zu einer nachweisbaren emotionalen Entlastung und Stimmungsverbesserung. Marion Sonnenmoser


Literatur
Wischmann T, Stamme H: Der Traum vom eigenen Kind. Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch. Stuttgart: Kohlhammer, 2001.

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