BÜCHER
Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Partnerbeziehungen


Herausforderung für die eigene Entwicklung
Jürg Willi: Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Partnerbeziehungen. Klett-Cotta/J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart, 2002, 326 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 19 €
Dem Buch liegt die These zugrunde, dass nichts die persönliche Entwicklung so wirksam herausfordert wie eine Liebesbeziehung. Diese Herausforderung könne jedoch auch als Überforderung erlebt werden und dabei einem unreiferen Ausleben von Entwicklungsbereitschaften in der Beziehung Raum verschaffen (Kollusionen). Auf der anderen Seite lähme nichts die persönliche Entwicklung so sehr wie eine destruktiv gewordene Liebesbeziehung.
„Psychologie der Liebe“ ist das fünfte Buch zum Thema Paarbeziehungen, das Prof. Jürg Willi, heute Leiter des Instituts für ökologisch-systemische Therapie in Zürich, in einem Zeitraum von 25 Jahren geschrieben hat. Der Paartherapeut stellt eine neue Sehnsucht nach Bindung und stabiler Zweisamkeit fest, nachdem in den 60er- und 70er-Jahren Selbstverwirklichung vor allem in Autonomie und Abgrenzung gesucht worden war. Weshalb die Ehe aber für die Entfaltung des eigenen Potenzials wichtig ist, ist das Thema dieses fünften Buches – so schließt Willi die Lücke seiner Forschungen zu Paarbeziehungen.
Interessant ist die These, die Vorwürfe des Partners als Stimme des Unbewussten zu deuten, das heißt als Stimme der verdrängten Aspekte der persönlichen Entwicklung des jeweils anderen. Vorwürfe wiesen meist eine hohe Treffsicherheit auf, allerdings relativiert durch die Treffsicherheit der Gegenvorwürfe. Partner konstellierten die Beziehung oft so, dass der andere ihnen jene Entwicklung abfordert, der sie auszuweichen neigen.
In Willis ökologisch-systemischem Verständnis von Paartherapie – die im Durchschnitt 14 Sitzungen umfasst – wird versucht, die Herausforderungen der Partner als entwicklungsförderndes Agens zu nutzen. Die persönliche Entwicklung werde in einer Paartherapie unabhängig davon gefördert, ob die Partner zusammenbleiben oder sich trennen. Eine Studie des Zürcher Instituts mit 96 Teilnehmern ergab, dass sich immerhin 40 Prozent nach oder während der Therapie trennten. Doch auch von einer Trennung profitierten die Studienteilnehmer, besonders die Frauen: Psychische Traumatisierungen oder gesundheitliche Schäden reduzierten sich deutlich. Nicht das Scheitern einer Beziehung hält Willi für bedauerlich, sondern wenn Partner sich trennen, ohne sich über ihre Konflikte auseinander gesetzt zu haben.
Da Willi in einer allgemeinverständlichen Sprache schreibt, profitieren auch nicht therapeutisch vorgebildete Leser von dem anregenden Buch. Allein das letzte Kapitel, das die beziehungsökologische Perspektive der Paartherapie beschreibt, richtet sich explizit an Therapeuten. Es empfiehlt sich, auch dem eigenen Partner das Buch in die Hand zu geben – spannende Diskussionen sind garantiert. Petra Bühring