POLITIK: Deutscher Ärztetag
105. Deutscher Ärztetag: Stapellauf in der Werfthalle


Alle Fotos aus Rostock: Bernhard Eifrig
mit der ärztlichen Selbstverwaltung. Der Präsident der Bundesärztekammer definiert die Anforderungen für einen künftigen gemeinsamen Weg.
Das sah beeindruckend nach Arbeit aus. Nachdem sich der 100. Deutsche Ärztetag in Eisenach zur Eröffnungsveranstaltung in einer Kirche eingefunden hatte, bildete nun die Schiffsbauhalle der Kvaerner Warnow Werft die Kulisse für die Auftaktveranstaltung
zum 105. Deutschen Ärztetag in Rostock. Beim Anblick des gewaltigen Schiffsrumpfs im Hintergrund drängte sich unwillkürlich die Frage auf, wie lange es wohl noch dauern wird, bis das große Projekt „Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung“ vom Stapel laufen wird. Und fast schon mochte man an eine perfekte Ärztetags-Regie glauben, als zum begeistert aufgenommenen Statement des gerade mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichneten Prof. Dr. med. Hanns Gotthard Lasch – „Helfen und Heilen muss auch weiterhin der Mittelpunkt unseres Berufes sein“ – dreimal das Signalhorn eines vorbeifahrenden Schiffes erklang. Lasch verwies auf die „unerträgliche Bürokratisierung“ der ärztlichen Berufsausübung, wodurch die Zuwendung zu den Patienten immer mehr eingeschränkt werde. Unter den herrschenden Bedingungen verliere die junge Ärztegeneration zunehmend den Spaß an der Ausübung ihres Berufs, obwohl viele junge Ärzte doch zu außergewöhnlichem Arbeitseinsatz bereit seien.
Arbeitsbelastung und Bürokratisierung waren auch Schwerpunkte in den Reden des Bundesärztekammer-Präsidenten Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe und der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Die Ministerin bezeichnete die zügige Umsetzung des Urteils
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Bereitschaftsdienst im Krankenhaus als wichtiges Projekt für die nächste Legislaturperiode. Für die Gegenwart empfahl sie pragmatische Lösungen; im Fallpauschalengesetz seien bereits zusätzlich 200 Millionen Euro für die beiden nächsten Jahre zur Verfügung gestellt worden. Nun seien die Krankenhäuser gefordert, kurzfristig für eine bessere Arbeitszeitgestaltung zu sorgen. Sollten die bereitgestellten Gelder aufgebraucht sein, könne sie sich weitere kurzfristige Lösungen vorstellen. Hoppe zeigte sich von diesen vagen Versprechungen wenig beeindruckt. Die korrekte Umsetzung des EuGH-Urteils bedeute jährliche Personalmehrkosten in Höhe von mindestens einer Milliarde Euro. Im Fallpauschalengesetz werde nur ein Bruchteil dieser Summe zur Verfügung gestellt – kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Wird diese Politik so fortgeführt, ist der Personalkollaps in den Kliniken programmiert.“
Gespannter Blick nach vorn: Schmidt, Hoppe, Bunge
Einig waren sich der Bundesärztekammerpräsident und die Bundesgesundheitsministerin darin, dass gerade auch angesichts des abzusehenden Ärztemangels die Arbeitsbedingungen für Ärztinnen verbessert werden müssten. Für Ärztinnen mit der immer noch klassischen Doppelbelastung von Beruf und Familie forderte Hoppe mehr flexible Arbeitszeitmodelle in den Kliniken wie auch eine flexiblere Handhabung des Jobsharing und anderer Teilzeitmodelle in der Arztpraxis. „Denn wir können es uns auf Dauer nicht leisten, auf die beruflichen Fähigkeiten und Erfahrungen von einem Viertel der rund 150 000 Ärztinnen in Deutschland zu verzichten.“ Schmidt hatte sich gleich zu Beginn ihrer Rede für die Einladung zum „Deutschen Ärztinnen- und Ärztetag“ bedankt. Sie sei Optimistin und hoffe es noch zu erleben, dass ihr in den Gremien der Ärzte und der Krankenkassen genauso viele Frauen gegenübersitzen, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.
Forderte Sofortmaßnahmen zugunsten
der Ostärzte: Gastgeber Andreas
Crusius; rechts Ursula Auerswald,
wie Crusius Vizepräsident(in)
der Bundesärztekammer
Energisch plädierte Schmidt für den Erhalt der solidarischen Finanzierung im Gesundheitswesen. Die Forderung nach einer Aufsplittung in Grund- und Wahlleistungen lehnte sie kategorisch ab: „Diese ganzen Angebote richten sich an junge Gesunde auf Kosten derer, die wirklich Hilfe nötig haben.“
Unerwartet positiv aufgenommen wurde die Rede der PDS-Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Martina Bunge. Sie sprach sich – bei Erhalt der solidarischen Krankenversicherung – für unkonventionelle Konzepte in der künftigen Gesundheitsversorgung aus. Anzustreben sei eine aufgabenorientierte Ausgabenpolitik. Medizinische Versorgung sei nicht zum Nulltarif zu haben. Der Lohnsummenbezug beim Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung müsse durch einen Wertschöpfungsbezug abgelöst werden.
Mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet (von links): Georg Holfelder, Wildor Hollmann, Ruprecht
Zwirner, Hanns Gotthard Lasch (Laudationes in diesem Heft)
- einen Stopp des sozialpolitischen Missbrauchs der Versichertengelder für Zwecke der Renten- und Arbeitslosenversicherung,
- eine Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen, wodurch die Gesetzliche Krankenversicherung um mindestens 2,3 Milliarden Euro entlastet würde,
- eine Erweiterung der Einnahmebasis über das Arbeitseinkommen hinaus sowie eine faire Gestaltung der Mitversicherung.
„Ich will, dass wir wieder den Spitzenplatz in der Medizin einnehmen“, forderte die Bundesgesundheitsministerin zum Abschluss ihrer Rede. Dem wird sicherlich auch der Präsident der Bundesärztekammer zustimmen. Über den Weg dorthin besteht jedoch noch Uneinigkeit. Thomas Gerst
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