VARIA: Feuilleton
Heinrich Aldegrever: Darsteller und Provokateur


Tanzendes Paar aus der Folge
der großen Hochzeitstänzer
Fotos:Westfälisches Landesmuseum
Kupferstecher nach der Dürer-Zeit
Skeptisch oder sogar kritisch blickt er unter seinem Schlapphut den Leser an, wenn dieser den Katalog aufschlägt. Überlang mit einem Mittelhöcker ist seine Nase über dem mädchenhaft geschwungenen Mund. Im Jahr 1537 hat Aldegrever dieses Selbstbildnis im Alter von 35 Jahren gestochen. Zu seinem 500. Geburtstag zeigt eine Wanderausstellung Werke des bedeutendsten Kupferstechers nach der Dürer-Zeit.
Nicht viel ist über das Leben des 1502 als Sohn eines Schuhmachers in Paderborn geborenen Künstlers bekannt. Jedenfalls fühlte er sich dazu berufen, zeit- und vor allem religionskritisch Stellung zu nehmen zu den Ereignissen seiner turbulenten Zeit. Neue künstlerische Leitwerte und stilistische Feinheiten der Renaissance machte er sich zunutze, um seinen Darstellungen den speziellen Ausdruck zu verleihen, den das jeweilige Thema verlangte.
Vom katholischen Paderborn ins bereits 1531 protestantisch gewordene Soest verzogen, beschäftigte er sich in seinen Arbeiten intensiv mit dem Aufeinanderprall der beiden religiösen Strömungen. Dem Anliegen Martin Luthers folgend, prangerte er Missstände in der katholischen Kirche an. In seinen Bildfolgen zum Alten und Neuen Testament wählte er Themen, die als moralisches Vorbild für ein sittliches Leben im Sinne von
Luthers Bibelinterpretationen stehen sollten. Insofern war Aldegrever fast ein Sprachrohr des Reformators. Denn die durch die Technik des Kupferstiches ermöglichte hohe Auflage seiner Zeichnungen glich einem Massenmedium.
Ornament mit weiblichem
Triton und Kind
Weit über Deutschlands Grenzen hinaus berühmt wurde der Künstler als „Gerichtsberichterstatter“ mit zwei großformatigen Porträtbildnissen. Vom damaligen Münsteraner Fürstbischof Franz von Waldeck bekam er, trotz seiner kritischen Haltung zur katholischen Kirche, 1536 den Auftrag, die zwei der Häresie angeklagten, in Haft befindlichen und später hingerichteten niederländischen Anführer der Wiedertäufer Jan van Leiden und Bernd Knipperdolling zu porträtieren, die in Westfalen eine neue religiöse Weltordnung und Vielweiberei einführen wollten. Er zeigt die
beiden Umstürzler nicht als Schmähbildnis, sondern in der Ikonographie von Herrscherporträts, dargestellt mit feinen Gesichtszügen, Respekt, sachlicher Würde und „einer gewissen Sympathie“. Diese spektakulären Porträts werden sofort und noch in späteren Jahrhunderten häufig kopiert.
Unter seinen Allegorien fällt besonders die Darstellung der „Nacht“ auf: In einem durchwühlten Bett liegt sie, lasziv-lockend im üppigen Stil Dürers. Wie überhaupt Albrecht Dürer offenbar ein großes Vorbild war. Und nicht nur das. Aldegrever kopiert in täuschender Nachahmung Dürers typisches Monogramm des großen A mit dem eingeschriebenen D als sein eigenes, ebenfalls mit dem Dürer-A und einem eingeschriebenen G. Wollte er bei den Käufern Verwirrung stiften des größeren Umsatzes wegen? Oder war es eine Hommage an Dürer?Renate V. Scheiper
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