MEDIZIN: Zur Fortbildung
Psychosomatik und Psychotherapie: Wirksamkeit und Nutzen von psychotherapeutischenBehandlungsansätzen


Auch wenn die Wirksamkeit und der Nutzen von Psychotherapie vielfältig nachgewiesen werden konnte, sind
die zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen zu einem guten Teil noch ungeklärt und werden kontrovers
diskutiert. Die verschiedenen Psychotherapierichtungen entwickelten diesbezüglich ihre eigenen
Erklärungsmodelle. Zunächst sollen in dieser Arbeit die theoretischen Konzepte der vier führenden
Psychotherapierichtungen kurz skizziert werden. Anschließend wird auf Ergebnisse der
Psychotherapieforschung eingegangen.
Psychoanalytische Therapie
Nach dem Konzept der Psychoanalyse liegt die Ursache einer Neurose in einem unbewußten Konflikt, der seine
Wurzeln in einer traumatischen Situation in der Kindheit hat. Damals mußten die hiermit verbundenen
Gefühle und Affekte unterdrückt und verdrängt werden, da sie nicht auszuhalten waren. Wenn dieser
unbewußte Konflikt durch eine spätere Lebenssituation aktualisiert wird, kommt es zum Ausbruch der
Erkrankung.
Hieraus ergibt sich das Behandlungskonzept: Wenn das Unterdrücken von Affekten zur Erkrankung führt,
müßte durch die Bewußtwerdung des Verdrängten eine Heilung erzielt werden. Nach Freud kommt es jedoch
zu einer wirklichen Veränderung der psychischen Struktur nur, wenn das Erinnern mit Affekten einhergeht;
ein allein rationales Wissen um die eigenen Konflikte reicht nicht. Einer solchen mit dem Erinnern
einhergehenden "Katharsis" muß dann die bewußte Verarbeitung – im analytischen Sprachgebrauch das
"Durcharbeiten" – folgen; ansonsten treten nach vorübergehender Erleichterung die alten Strukturen erneut
auf. Der beim Patienten auftretende Widerstand wird als Ich-Leistung anerkannt, den es nicht mit Gewalt zu
durchbrechen gilt, sondern an dessen Oberfläche die Therapie ansetzt (das heißt auf manipulative Methoden zu
verzichten).
Für diese Arbeit ist zwischen Therapeut und Klient eine vertrauensvolle Beziehung unerläßlich. Die
therapeutische Beziehung wird in der Analyse auch deshalb als grundlegend angesehen, da in dieser
Übertragung und Gegenübertragung ermöglicht wird – das heißt frühere Beziehungsmuster werden im
therapeutischen Rahmen wiederholt, so daß mit den hiermit einhergehenden Gefühlen therapeutisch gearbeitet
werden kann.
Neuere psychoanalytische Konzepte stellen dem Instanzenmodell von Freud (Ich, Über-Ich und Es) das Selbst
als intrapsychische Struktur zur Regulierung des Selbstwertgefühls gegenüber. Für dessen Aufbau ist eine
konstante Objektbeziehung erforderlich. Fehlte sie in der frühkindlichen Entwicklung, ist der Patient nicht in
der Lage, eine Übertragungsbeziehung aufzubauen, mit der wie oben beschrieben gearbeitet werden kann. Bei
diesen "frühen Störungen" ist statt einer klassischen Analyse eine stützende und strukturgebende Haltung des
Therapeuten erforderlich, um so eine Nachreifung des Selbst zu ermöglichen.
Verhaltenstherapie (VT)
Als Gegenpol zur Psychoanalyse entwickelte sich der Behaviorismus, der sein Augenmerk anfänglich rein auf
das sichtbare und meßbare Verhalten richtete. Die Symptome eines Menschen wurden als von der Umwelt
determinierte Reflexe betrachtet und Lerntheorien wie die klassische und operante Konditionierung entwickelt.
Die individuelle Lebensgeschichte, Motive und Überzeugungen des Patienten wurden außer acht gelassen, das
Unbewußte als Mythos abgetan. Es zeigte sich bald, daß dies der Komplexität menschlichen Verhaltens nicht
gerecht wird. Später fanden durch die Entwicklung der Theorie des Modell-Lernens – die besagt, daß
Verhalten von anerkannten Personen nachgeahmt werde – nicht unmittelbar beobachtbare kognitive und
soziale Prozesse Eingang in die VT. Ein radikaler Umbruch geschah jedoch in den 70er Jahren durch die
Vertreter der "kognitiven Verhaltenstherapie" (zum Beispiel Beck, Ellis und Meichenbaum), die kognitive
Bereiche wie Motivation und persönliche Denkschemata in den Mittelpunkt der Behandlung stellten. Hierdurch
erlangte die individuelle Lebensgeschichte als Einflußgröße wieder eine Bedeutung.
Der Schwerpunkt liegt jedoch pragmatisch auf der Veränderung der als dysfunktional bewerteten
Denkschemata und nicht wie in der Analyse auf dem Erfassen dahinterliegender unbewußter Prozesse; der
Therapeut nimmt in der VT eine deutlich aktivere und direktive Haltung ein.
Humanistische Therapie
Als Reaktion auf den Behaviorismus der 40er und 50er Jahre, in der der Mensch als abhängiges, formbares
Objekt angesehen wurde, entstand die "Humanistische Therapie".
Hier sind als bekannteste Vertreter die Gesprächstherapie nach Rogers und die Gestalttherapie nach Perls zu
nennen. Die Vertreter dieser Verfahren werfen sowohl der Psychoanalyse als auch der Verhaltenstherapie vor,
den Menschen zu "pathologisieren".
Sie fordern an Stelle der Pathologisierung, die jedem Menschen innewohnenden eigenen schöpferischen
Möglichkeiten zu erkennen und innerhalb eines geeigneten Rahmens deren Eigenentfaltung zu fördern. Im
Mittelpunkt dieser Betrachtung steht das Individuum mit seinen Ressourcen und nicht das Krankheitssymptom.
Rogers, der Begründer der Gesprächstherapie (GT), sieht in der therapeutischen Beziehung den entscheidenden
Wirkfaktor. Dabei müssen in dieser drei Qualitäten gegeben sein:
1. Empathisches Verstehen: Für Rogers bedeutet dies, als ob der Therapeut in die Haut des Klienten schlüpft,
ohne sich mit diesem zu identifizieren. Hierdurch wird die "Selbstempathie" des Klienten gefördert; er lernt
sich selber besser zu verstehen.
2. Wertschätzung: Es geht nicht nur um das Einfühlen in den Patienten, sondern dieser muß sich als Person
akzeptiert erleben.
3. Echtheit: Empathie und Wertschätzung sind in der therapeutischen Beziehung nur dann hilfreich, wenn sie
echt sind.
Systemische Therapie
Anhand der Ergebnisse der Kommunikationsforschung, die zwischenmenschliche Interaktionsformen
untersucht, entstand die systemische Therapie. Die Grundannahme beruht darin, daß komplexe Systeme nicht
durch linear-kausale Zusammenhänge erklärbar sind, sondern nur anhand zierkulärer Prozesse, in denen alles
mit allem vernetzt ist. So kann aus systemischer Sichtweise Heilung des einzelnen nur dann geschehen, wenn
sich das gesamte System verändert. Hieraus folgt die Forderung, in Therapien am System als Ganzem
anzusetzen. So wird von deren Vertretern die Paar- oder Familientherapie bevorzugt.
Als wichtigste Techniken sind zu nennen:
1. Die Allparteilichkeit und positive Konnotation den Familienmitgliedern gegenüber, wodurch ein Zugang
zum Familiensystem ermöglicht werden soll.
2. Zirkuläre Befragung: Jedes Familienmitglied wird über die Beziehungen zwischen den anderen befragt,
wodurch die gegenseitigen Vernetzungen deutlich werden.
3. Paradoxe Intervention oder Symptomverschreibungen: Das Symptom wird als positiv hingestellt und
angeordnet, dies noch zu verstärken. Hierdurch verliert das Symptom seine bisherige gruppendynamische
Funktion; pathologische Wechselbeziehungen werden unterbrochen und die Familie muß sich in einer neuen
Form organisieren.
Im systemischen Ansatz wird davon ausgegangen, daß komplexe Systeme eine eigene Fähigkeit zur
Selbstorganisation besitzen. Aus diesem Grunde sind die Abstände zwischen den Familiensitzungen recht lang
(mindestens ein Monat), um hierdurch dem Familiensystem Zeit zu geben, sich neu zu organisieren.
Mitgegebene Hausaufgaben können den Prozeß unterstützen. Wegen der geringen Anzahl von etwa fünf bis
zehn Therapiesitzungen ist dieses Verfahren sehr ökonomisch (siehe Kasten).
Wirksamkeit und Nutzen von Psychotherapie im allgemeinen
Alle bedeutenden psychischen Störungen können nachweislich wirksam psychotherapeutisch behandelt werden.
Dies umfaßt neben den klassischen Bereichen wie den Psychoneurosen, Persönlichkeitsstörungen und
psychosomatischen Störungen sowohl die psychische Unterstützung bei belastenden organischen Krankheiten
als auch die Mitbehandlung bei Psychosen (Es zeigte sich eine gegenüber rein medikamentöser Behandlung
signifikante Überlegenheit sowohl bezüglich der Depression [6] als auch bezüglich der Schizophrenie [5]). Die
Effektstärken sind im Vergleich mit Behandlungsmaßnahmen der Organmedizin sehr hoch und es wird mit
Ausnahme einiger Suchtstörungen oft eine anhaltende Wirkung erzielt (4, 6).
Die Psychotherapie führt nicht nur empirisch gesichert zu einer Verringerung des persönlichen Leidens und zu
einer dauerhaften Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern senkt daneben drastisch die
Kosten für die Krankenkassen: Anhand epidemiologischer Studien leiden 25 bis 30 Prozent der Patienten von
Allgemeinarztpraxen an behandlungsbedürftigen psychischen Störungen, die jedoch nur bei drei bis vier
Prozent diagnostiziert werden (7). So beträgt die Zeitspanne zwischen erster Arztkonsultation in
Zusammenhang mit diesen Beschwerden und Aufnahme in einer Fachklinik für Psychosomatik und
Psychotherapie durchschnittlich sieben Jahre (9). Nach einer von Betriebskrankenkassen durchgeführten
Untersuchung waren 40 Prozent jener Patienten in den zwei Jahren vor dieser Aufnahme mehr als 40 mal und
12,5 Prozent sogar mehr als hundertmal zum Arzt gegangen. Im Durchschnitt war jeder dieser Patienten in
diesen zwei Jahren 52 Tage stationär im Krankenhaus, obwohl nur sechs Prozent eine somatische Erkrankung
hatten. Hierdurch beliefen sich die Kosten für die Krankenkassen auf Durchschnitt 40 000 DM pro Person (4).
Eine einjährige ambulante Psychotherapie kostet dagegen lediglich 4000 DM. Hierbei sind die Kosten, die
durch Arbeitslosigkeit und Frühberentung für die Sozialgemeinschaft entstehen, noch gar nicht berücksichtigt.
Wir wollen es mit dieser kurzen Darstellung der allgemeinen Wirksamkeit und des gesellschaftlichen Nutzens
der Psychotherapie bewenden lassen und unser Augenmerk auf folgende Frage richten: Was wirkt konkret in
der Psychotherapie?
Wirkfaktoren in der Psychotherapie
Vergleichsuntersuchungen zwischen unspezifischer Zuwendung – wie zum Beispiel Laientherapie – und
professioneller Therapie, zeigen zwar bei beiden Gruppen eine Wirksamkeit, jedoch ist sie in der
professionellen Therapie durchschnittlich doppelt so stark (4, 6). Es wäre möglich, daß durch die spezifischen
Therapiemethoden unspezifische, ubiquitär vorkommende Wirkfaktoren besser zum Tragen kommen oder daß
das Spezifische der Therapiemethode in einer besonderen Kombination dieser "allgemeinen Wirkfaktoren"
besteht (11).
Als allgemeine oder kommunale Wirkfaktoren gelten:
1. "Güte der Therapiebeziehung": Dies ist der empirisch bestgesichertste Wirkfaktor und grundlegende
Voraussetzung, daß spezifischere Interventionen wie Deutung, Kompetenztraining und dergleichen überhaupt
vom Patienten angenommen werden.
2. "Offenheit und engagierte Mitarbeit des Patienten": Dieser ebenfalls grundlegende Wirkfaktor steht in
engem Zusammenhang mit dem erstgenannten. Zwar hat der Patient diesen Beitrag zu leisten, durch die
Gestaltung der Therapiebeziehung beeinflußt der Therapeut diesen Faktor jedoch wesentlich mit.
Als weitere Wirkfaktoren gelten:
3. Mobilisierung von Hoffnung beim Patienten;
4. Überzeugung des Therapeuten, helfen zu können;
5. Konfrontation mit dem Problem;
6. Der Patient erlebt, daß seinem Problem Interesse entgegengebracht wird;
7. Angebot eines schlüssigen Erklärungsmodells für das Problem des Patienten, das in neue
Bedeutungszusammenhänge gestellt wird;
8. Gemeinsame Suche nach konstruktiven Problemlösungen.
Differenzielle Überlegungen
Die Bedeutung der "Konfrontation mit dem Problem" für den Therapieerfolg (Wirkfaktor 5) führt zu einer
grundlegenden differenziellen Überlegung – die Frage nach dem geeigneten Setting.
Patienten mit Paarbeziehungsproblemen werden in ihrem spezifischen Konflikt am stärksten innerhalb einer
Paartherapie konfrontiert und Konflikte, die die gesamte Familie betreffen, werden am besten innerhalb der
Familientherapie erfahrbar und somit behandelbar. Es konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, daß
zwischenmenschliche Schwierigkeiten am besten in der Gruppentherapie veränderbar sind (4). Bei der
Entscheidung für das geeignete Setting muß jedoch der Aspekt der bestmöglichen Aktualisierung des Konflikts
mit der Frage abgewogen werden, ob der therapeutische Rahmen dem Patienten auch einen ausreichenden
schutzbietenden Raum ermöglicht (4).
Die Bedeutung des Settings wird in einer Arbeit von Szapocznik et al. (10) deutlich. Sie verglichen eine
Familientherapie und eine psychodynamische Einzeltherapie bei Problemkindern. Beide Behandlungen
reduzierten in gleichem Ausmaß das akut bestehende Problem. Bei der Familientherapie verbesserte sich
jedoch darüber hinaus die Familienbeziehung, wohingegen bei der Einzeltherapie sich diese verschlechterte.
Die Autoren der Arbeit erklären diese Verschlechterung durch den Wegfall des Kindes als Symptomträger,
wodurch die Familie in Schwierigkeiten geriet. Dieses Ergebnis spricht für die Notwendigkeit, insbesondere bei
der Behandlung von Kindern und Jugendlichen systemische Gesichtspunkte mitzuberücksichtigen, und wenn
möglich, die Familie mit einzubeziehen.
Neben der Frage nach dem geeigneten Setting ist nach Grawe (4) eine weitere grundlegende differenzielle
Frage, ob der Patient stärker durch ein direktives Vorgehen (wie zum Beispiel verhaltenstherapeutische
Methoden) oder ein nondirektives (wie zum Beispiel Gesprächstherapie oder Psychoanalyse) profitiert.
Es konnte gezeigt werden, daß Patienten, die ein großes Anlehnungsbedürfnis haben und gewohnt sind, sich
führen zu lassen, große Schwierigkeiten mit einem ausgesprochen nondirektiven therapeutischen Angebot
haben und umgekehrt, daß Patienten mit starkem Autonomiebedürfnis von einem direktiven Vorgehen wenig
profitieren (1, 3, 4). Ferner kann gesagt werden: Je schwerer die Störung ist, desto mehr Führung muß der
Therapeut übernehmen, desto direktiver muß er sein. Umgekehrt ausgedrückt: Je gesünder der Patient ist, desto
mehr kann er den freien Rahmen eines analytischen oder gesprächstherapeutischen Vorgehens für sich
nutzbringend gestalten (4).
Neben diesen allgemeinen Erwägungen gibt es eine Gruppe von Störungen wie Panikstörung, Phobien und
Zwänge, die von einem verhaltenstherapeutischen Vorgehen besonders gut profitieren (6).
Bei Patienten mit Psychosomatosen (psychogen mitbedingten Körperkrankheiten) werden anhand analytischer
Konzepte Störungen in der frühkindlichen Entwicklung – das heißt während der Phase der Ausdifferenzierung
des "Selbst" – als besonders bedeutsam angenommen. Hieraus ergibt sich die Forderung nach einer anfänglich
stützenden, strukturgebenden Vorgehensweise; eine klassische Psychoanalyse ist nur selten der richtige Ansatz
(siehe Abschnitt Psychoanalytische Therapie, letzter Absatz). Insbesondere körperwahrnehmungsfördernde
Verfahren (zum Beispiel Konzentrative Bewegungstherapie) erwiesen sich als wirkungsvolle Ergänzungen im
Therapieprozeß.
Weitere Ergebnisse
Befunde zu psychoanalytischen Behandlungen legen nahe, daß die Bedeutung der Einsicht, die durch den
Patienten erlangt wird, im analytischen Konzept überschätzt wurde, auch wenn diese sicher als ein Wirkfaktor
anzusehen ist.
In der sogenannten Menninger-Studie (12) erwiesen sich supportive Anteile in der Therapie wirksamer als
aufdeckende.
Da sich jedoch in der Studie zum großen Teil schwer gestörte Patienten befanden ist dieser Befund auf dem
Hintergrund der oben dargestellten differenziellen Überlegung von Grawe zu bewerten.
Als ein weiterer Wirkfaktor erwies sich die korrigierende Erfahrung außerhalb der Therapie (4); dies wird zum
Beispiel durch Hausaufgaben in der VT genutzt.
Besonders wichtig für den Therapieverlauf scheint jedoch zu sein, den Blick nicht auf den Defiziten des
Patienten zu belassen, sondern dessen individuelle Ressourcen wahrzunehmen (das, was der Patient kann) und
sie als Motor des Veränderungsprozesses zu nutzen; diese Haltung geht in die Richtung des humanistischen
Ansatzes, der sich gegen die Pathologisierung wendet.
Unterscheidbare Wirkungsmechanismen
Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß die verschiedenen Therapierichtungen nicht nur allgemeine Wirkfaktoren
besser oder schlechter nutzen, sondern auch über unterschiedliche Mechanismen ihre Wirkung entfalten.
Ein Vergleich von VT und GT bei phobischen Patienten zeigte bei ähnlicher Wirkung, daß in der VT nur dann
eine umfassende Verbesserung des Gesamtbefindens eintrat, wenn die Angstsymptomatik wirksam reduziert
werden konnte; die Symptomreduktion scheint eine funktionale Bedeutung für den Veränderungsprozeß zu
besitzen. Bei der nicht symptomorientierten GT hingegen zeigte sich die Veränderung des Gesamtbefindens als
völlig unabhängig von der Symtomreduktion. So ist von unterschiedlichen Wirkungswegen bei den beiden
Therapierichtungen auszugehen (4).
Bedeutung der Zielsetzungen
Besonders die einsichtsorientierte Analyse und die Verhaltenstherapie unterscheiden sich in ihrer Zielsetzung.
In der Analyse wird ein Konflikt als eine Entwicklungschance angesehen, zwei gegensätzliche Strebungen
kreativ zu integrieren. In der Verhaltenstherapie wird dichotom gedacht, wird zwischen dysfunktional und
funktional unterschieden. Hiermit sind qualitativ unterschiedliche Ergebnisse verbunden: Bei einem Vergleich
zwischen verhaltenstherapeutischer und "einsichtstherapeutischer" Paartherapie bei Eheproblemen zeigte sich
(8), daß die Verhaltenstherapie die Kommunikationsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur gemeinsamen
Problemlösung und die Einsichtstherapie ein besseres gegenseitiges Verständnis fördert. Nach Ende der
Behandlung schien die VT leicht überlegen zu sein. Jedoch vier Jahre nach der Therapie waren 39 Prozent der
mit VT behandelten Paare geschieden aber nur drei Prozent der mit "Einsichtstherapie" behandelten. Es soll
hier nicht entschieden werden, inwieweit Scheidung oder Nicht-Scheidung Maßstab für den therapeutischen
Erfolg sind. Aber diese Untersuchung verdeutlicht, daß die Therapierichtungen mit ihren unterschiedlichen
Zielsetzungen qualitativ unterscheidbare Ergebnisse hervorrufen.
Therapiedauer
Ergebnisse zur Therapiedauer hinterfragen insbesondere die langjährigen Psychoanalysen. Eine sinnvolle
Therapiedauer scheint durchschnittlich bei 40 bis 50 Stunden zu liegen (2, 4). Bei der Hälfte der Patienten
könne eine signifikante Verbesserung innerhalb von acht Sitzungen und bei 75 Prozent bis zur 26. Sitzung
erzielt werden. Daher sollte ernsthaft eine andere therapeutische Methode erwogen werden, wenn nach einem
halben Jahr keine wesentliche Verbesserung eingetreten ist (4). Sicherlich variiert die erforderliche
Therapiedauer erheblich und teilweise können auch 100 Stunden und deutlich mehr sinnvoll sein.
Schlußfolgerungen
Durch die bisherigen Ergebnisse der Psychotherapieforschung kann keine Therapieschule so bleiben, wie sie
war. So muß unter anderem die Verhaltenstherapie die zentrale Bedeutung der therapeutischen Beziehung
stärker in ihr Vorgehen integrieren. Die Psychoanalyse muß erkennen, daß das Bewußtwerden des Verdrängten
nicht unabdingbare Voraussetzung für eine Genesung ist, und sie wird gezwungen, zielgerichteter und in
kürzerem Zeitrahmen zu arbeiten.
Es bleibt zu hoffen, daß die verschiedenen Schulen konstruktiv voneinander lernen und sich aufeinander
zubewegen, damit in Zukunft individueller auf den jeweiligen Patienten eingegangen und entsprechend dem
jeweiligen Stand der Therapie die bestmögliche Vorgehensweise ausgewählt werden kann. Hierbei darf jedoch
nicht der Blick auf die Frage nach der "richtigen Technik" verkürzt werden. Grundlegend ist stets die Qualität
der therapeutischen Beziehung, eine zwischenmenschliche Begegnung, die eine gute Selbstkenntnis des
Therapeuten voraussetzt. Unter dieser Voraussetzung wird durch eine differenziellere Vorgehensweise die
Wirksamkeit und der Nutzen von Psychotherapie weiter zunehmen.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1995; 92: A-41–45
[Heft 1-2]
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Dr. med. Hermann Federschmidt
Abteilung Psychotherapie und Psychosomatische Medizin
Universitätsklinik Freiburg
Hauptstraße 8
79104 Freiburg