ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2003Krankenversicherung: Schöne neue (Krankenkassen-)Welt

POLITIK

Krankenversicherung: Schöne neue (Krankenkassen-)Welt

Hess, Renate

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LNSLNS Zwischenbericht der „Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechtes“ beim Bundesjustizministerium will der privaten Krankenversicherung Steuerungsmacht über Privatpatienten und Ärzte einräumen.

Die private Krankenversicherung (PKV) fordert – wie ihre gesetzlichen Mitbewerber – mehr „Steuerungsmacht“ im Gesundheitswesen. Alle wollen vom „payer“ zum „player“ werden. Alle Großen der Branche setzen auf Managed Care in seinen verschiedenen Ausprägungen als „Königsweg“ zur Lösung ihrer Kostenprobleme. Sie propagieren unverdrossen, dass nur dann, wenn sie sich steuernd in den Behandlungsprozess zwischen Patient und Arzt einschalten, die Qualität der ärztlichen Behandlung verbessert werden könne und auch die Kosten gesenkt würden. Worin kann eine Verbesse-rung denn bestehen, wenn die demographische Entwicklung und der medizinische Fortschritt die wesentlichen Kosten verursachenden Faktoren sind? Müssen Privatpatienten, die in Zukunft „Managed-Care-Tarife“ wählen, damit rechnen, dass ihnen medizinische Maßnahmen vorenthalten oder sie sogar vom Fortschritt abgekoppelt werden? – ein Weg, der von einigen Versicherungen durch Ausschluss analoger Bewertungen aus den Versicherungsvertragsbedingungen bereits versucht wurde.
Leitziel: Managed Care
Diese Fragen stellen sich, wenn man den Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts – eingesetzt von der ehemaligen Bundesjustizministerin, Professorin Dr. jur. Herta Däubler-Gmelin (SPD) – vom Mai 2002 liest. Diese Kommission hat unter anderem den Auftrag, das Vertragsrecht der Versicherungssparten, auch der privaten Krankenversicherung, zeitgemäß und übersichtlich zu gestalten. Vorarbeiten hat die 1996 vom Bundesfinanzministerium eingesetzte „Unabhängige Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter“ geleistet.
Auch die neue Kommission sieht „das Leitbild der privaten Krankenversicherung zukunftsbezogen nicht nur auf die reine Kostenerstattung begrenzt“, sondern will „den Rahmen eröffnen für neue Formen und Methoden zur wirksamen Kostensteuerung bei gleichzeitigem Erhalt beziehungsweise Steigerung der medizinischen Behandlungsqualität“. Dazu schlägt sie Managed Care, Leistungsmanagement, Direktabrechnung mit Leistungserbringern, Beratung über medizinische Leistungen und über Leistungsanbieter bis zur Erbringung medizinischer und sonstiger Gesundheitsleistungen durch die PKV oder durch von ihr beauftragte Gesundheitsdienstleister (Naturalleistung) vor. Damit werden Entwicklungen jetzt auch auf die privatärztliche Versorgung übertragen, die im US-amerikanischen Gesundheitswesen mit seiner wettbewerblichen Ausprägung zu eklatanten Fehlentwicklungen geführt haben: „Managed care has failed to manage care.“ Aufgrund der Wettbewerbseuphorie, die das Gesundheitswesen erfasst hat, propagieren Sachverständige unverändert eine marktwirtschaftliche Ausrichtung des deutschen Gesundheitswesens – trotz bekannter negativer Auswirkungen wie Risikoselektionen zulasten Schwerkranker und multimorbider älterer Patienten, Übermacht von Ökonomie und Steuerungsbürokratie über die Medizin, Fremdbestimmung des ärztlichen Handelns, bis hin zur Kontrolle und Gängelung von Arzt und Patient.
In den USA hat der privatwirtschaftliche Gesundheitsmarkt dazu geführt, dass Patienten um ihre Rechte kämpfen mussten. Die Ärzteschaft hat gegen zunehmende Abhängigkeit und Einmischung in ihre Therapieentscheidungen eigene, ärztlich gesteuerte Einrichtungen gegründet. Profitiert haben „Gesundheitsverwalter“ und „Consulting-Firmen“, auf Kosten der medizinischen Versorgung der Patienten. Wesentliche Einsparungen wurden nicht erzielt, denn die USA verbraucht rund 14 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die medizinische Versorgung, obwohl etwa 44 Millionen der 281 Millionen Einwohner ohne Versicherungsschutz sind (Stand: 1999).
Einkaufsmodell: PKV-Wunsch
Offenbar ist es auch Ziel der deutschen privaten Krankenversicherung, Ärzte oder Arztgruppen auszuwählen, mit denen sie Direktverträge abschließt, oder Ärzte direkt anzustellen (Beispiel: DKV). Privatpatienten mit einem solchen Tarif dürfen dann auch nur „Vertragsärzte“ aufsuchen. Die Kommission „Versicherungsvertragsrecht“ soll dazu den Weg ebnen. Die Ärzteschaft ist in dieser Kommission weder vertreten, noch hat sie bisher Gelegenheit zu einer Stellungnahme erhalten. Dabei steht außer Frage, dass die Ärzteschaft Verantwortung für eine patientengerechte Medizin und den wirtschaftlich sorgsamen Umgang mit begrenzten finanziellen Ressourcen trägt und diese auch wahrnehmen muss. Auch die Garantie einer qualitätsgesicherten Versorgung ist ureigenes ärztliches Interesse. Der vorgezeichnete Weg der Kommission ist jedoch eine falsche Weichenstellung, die weder zu einer Kostenreduzierung noch zur Qualitätsverbesserung führen wird.
Erkennbare Linie der PKV ist es, ärztliche Leistungen durch vertragliche Vereinbarungen – weg von der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) – vermehrt pauschaliert zu vergüten, um damit auch in der privatärztlichen Versorgung das Morbiditätsrisiko auf die Ärzte abzuwälzen. Die GOÄ würde als Vergütungsgrundlage ausgehöhlt und letztlich überflüssig. Neben Vergütungsbegrenzungen beziehungsweise -senkungen sind Vorgaben für die ärztliche Behandlung denkbar, die von Positivlisten für Arzneimittel über Anweisungen bei der Wahl von Behandlungsmaßnahmen bis zur extensiven Bewertung der Ergebnisse in Form von „Outcome-Reports“ gehen. Sie münden damit – ähnlich wie in den USA – in eine permanente Kontrolle und Gängelung des Arztes, aber auch des Patienten. Die dadurch eingesparten Kosten fließen der Verwaltung für die Steuerung der Abläufe zu. Eine Qualitätsverbesserung wird dadurch nicht erreicht. Das besondere Merkmal der privatärztlichen Versorgung – die freie Arztwahl – wird ausgehebelt. Der Weg zum Sachleistungssystem verwischt das eigenständige Profil der PKV und nähert sie noch weiter der GKV an, sodass einer Fusion von privater und Gesetzlicher Krankenversicherung, in welchen sich ähnliche Strukturen entwickeln, nichts mehr im Weg steht. Allerdings haben in solchen Strukturen gesetzlich Krankenversicherte den Vorteil, ihre Krankenkasse wechseln zu können, wohingegen privat Versicherte aufgrund der fehlenden Transferierbarkeit ihrer Alterungsrückstellungen bei der PKV verbleiben müssen. Allenfalls ein Tarifwechsel in einen Normaltarif könnte stattfinden, der jedoch mit finanziellen Mehrbelastungen verbunden sein dürfte.
Wenn der Wettbewerb im Gesundheitswesen – auch zwischen privater und Gesetzlicher Krankenversicherung – als modernes wettbewerbskonformes Kostendämpfungsinstrument „Einkaufsmodelle“ mit selektiven Verträgen der Krankenversicherer zur Steuerung der ärztlichen Behandlung „zum Maß aller Dinge macht“, dann werden auch in Deutschland Patientenrechte gesetzlich abgesichert werden müssen. Die Freiberuflichkeit des Arztes und die dadurch garantierte Weisungsfreiheit in seinen medizinischen Entscheidungen sind gefährdet. Renate Hess, BÄK

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