POLITIK
Gesundheitsreform: Bekannte Überschriften statt neuer Details
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Miteinander verzahnt: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt
und Kommissionschef Prof. Bert Rürup sollen bis Mai einen gemeinsamen
Reformentwurf vorlegen. Foto: dpa
Eckpunkte vorgelegt. Doch ohne die Mithilfe der Union werden sie
auf keinen Fall Gesetz – entsprechend vage sind sie gehalten.
Für einen Moment blickten die Journalisten von ihren Notizblöcken auf, und Gelächter erfüllte das vollbesetzte Foyer des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung in Berlin. Dort präsentierte Ministerin Ulla Schmidt (SPD) gerade die mit Spannung erwarteten „Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesens“. Die Zeit der Spekulationen und der immer neuen Reformvorschläge sei nun vorbei, sagte Schmidt und fügte schmunzelnd hinzu: „Das muss doch auch in Ihrem Interesse sein – endlich mal durchatmen zu können.“
Dazu gab es tatsächlich kaum Gelegenheit. Seit Anfang Januar hat Ministerin Schmidt die öffentliche Präsentation ihrer Reformeckpunkte immer wieder verschoben. Nach den verlorenen Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar mahnte dann Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Eile. Die Vorschläge der Rürup-Kommission zur Verbesserung der Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenkassen dürften nicht erst wie geplant im Juli, sondern müssten spätestens im Mai vorliegen, verlangte folgerichtig Anfang Februar SPD-Generalsekretär Olaf Scholz.
Der neue Plan sieht vor, das Konzept aus dem Ministerium mit den Ergebnissen der Sozialreformkommission um den Darmstädter Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bert Rürup zu verzahnen. Dem Bundestag will man spätestens bis Mai einen Gesetzentwurf „aus einem Guss“ vorlegen. Am Donnerstag vergangener Woche legte Schmidt ihre Eckpunkte zunächst der Arbeitsgruppe Gesundheit der Rürup-Kommission vor und anschließend der Öffentlichkeit. Dabei zeigte sie sich zuversichtlich, das Gesetzgebungsverfahren noch in diesem Jahr abschließen zu können.
Wer gehofft hatte, sie würde in den Eckpunkten ihre Reformvorstellungen präziser fassen als bisher, wurde enttäuscht. Die darin enthaltenen acht Maßnahmenbündel für Qualität und Wirtschaftlichkeit sickerten im Grunde alle in den letzten Wochen durch und werden seitdem diskutiert. „Nichts Neues, das interessant wäre, nichts Interessantes, das neu wäre“, kritisierte Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer.
Wesentlich für die Ärzteschaft ist die Positionierung des Hausarztes als „Lotsen“ im Gesundheitswesen, der eine „patientenorientierte Vergütung“ erhalten soll. Fachärzte sollen hingegen Fallpauschalen und Komplexgebühren für ihre Leistungen und für ambulante Operationen bekommen. Festgeschrieben wird zudem die Übertragung des Sicherstellungsauftrags für die ambulante Versorgung auf Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen.
Weitere, bereits bekannt gewordene Vorhaben: Neben Kollektivverträgen soll es für die Krankenkassen die Möglichkeit geben, in bestimmten fachärztlichen Bereichen Einzelverträge abzuschließen. Zudem will Schmidt die Krankenhäuser über das bisher Mögliche hinaus für die ambulante Versorgung öffnen, zunächst in unterversorgten Regionen und für hoch spezialisierte Leistungen. Diese Vorgabe scheint den Vorstellungen der Ärzteschaft auf den ersten Blick näher zu kommen als die bisher erwogene weitgehende institutionelle Öffnung. Doch großer Optimismus ist jedoch sicherlich fehl am Platz.
Weitere Maßnahmen: Ärztinnen und Ärzten wird die Möglichkeit eröffnet, in Gesundheitszentren zu arbeiten. Darüber hinaus ist, wie schon bekannt geworden, vorgesehen, ein Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin zu gründen. Neu ist allenfalls, dass das Mehrbesitzverbot bei Apotheken aufgehoben werden soll. Zudem heißt es im Begleittext zu den Kernforderungen, als Schutz vor Missbrauch und Korruption im Gesundheitswesen sollten „Prüf- und Ermittlungseinheiten bei den Krankenkassen“ eingerichtet werden.
Die unscharfen Aussagen provozierten in der vergangenen Woche zahlreiche Nachfragen der Journalisten. Daraufhin erläuterte Ulla Schmidt unter anderem, dass das Zentrum für Qualität in der Medizin keine staatliche Einrichtung werden solle, sondern ein staats- und industriefernes Institut, vermutlich in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Leitung einer solchen „Stiftung Warentest im Gesundheitswesen“ könne ein Kuratorium übernehmen, in dem Vertreter der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und von Patientenorganisationen Sitz und Stimme hätten. Ähnlich „staatsfern“ und „industrieunabhängig“ müsse auch die verpflichtende Fortbildung der Ärzte gestaltet sein, betonte Schmidt. Die Ausgestaltung sei dann Sache der Selbstverwaltung.
Ulla Schmidt leidet nicht unter Gedächtnisschwund, sondern unter landtagswahlenbedingtem Realismus. Ohne die Union wird bis auf weiteres kein Gesundheitsreformpaket mehr Gesetz. Im Bundesrat hat sie ihre Mehrheit durch die Wahlsiege in Hessen und Niedersachsen ausgebaut. Im Vermittlungsausschuss herrscht nun ein Patt mit der Regierungskoalition, die bisher einen Stimmenvorteil hatte. Wer aber auf jeden Fall mit der Opposition verhandeln muss, legt sich besser noch nicht allzu sehr fest – oder rudert schon mal ein wenig zurück. Auffällig war bei der Eckpunkte-Präsentation, dass Schmidt nicht wie sonst in den letzten Wochen die Ärzteschaft kritisierte und abwatschte, sondern hier und da ganz selbstverständlich die (gemeinsame) Selbstverwaltung ins Spiel brachte, beispielsweise bei der Umsetzung der Fortbildungsvorgaben.
Wer nun wann worüber mit der Union verhandeln wird – darüber wollte Schmidt nur ungern sprechen. Kurz angebunden erklärte sie: „Noch weiß ich nicht, wer in der Union Prokura für Verhandlungen hat.“ Vorstellbar seien rasche Gespräche auf der Ebene der Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Von einem zweiten Lahnstein (siehe Seite eins in diesem Heft) scheint man zumindest im Moment noch weit entfernt. So äußerte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) sich skeptisch, ob das vorgelegte Eckpunkte-Konzept tatsächlich die Position der Regierung widerspiegele. Vor Konsensgesprächen müsse die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen, bekräftigte Seehofer die zentrale Forderung der Opposition.
Das SPD-Präsidium hat sich am 3. Februar allerdings unmissverständlich festgelegt: Ein breiter Konsens müsse gelingen, deshalb „wollen wir in Anlehnung an die letzte große Einigung in der Gesundheitspolitik
1992 gemeinsam mit der Opposition zu einem Ergebnis kommen.“ Kon-
sensgespräche könnten „noch vor Eintritt in den Gesetzgebungsprozess“ stattfinden.
Nun bestimmt Taktik das politische Handeln. SPD, Grüne, die Union – alle kämpfen damit, dass die gesundheitspolitischen Reformvorstellungen nicht einmal in den eigenen Reihen schon ganz ausgegoren sind. Gleichzeitig will man miteinander ins Geschäft kommen. Die SPD würde am liebsten so früh und so konkret wie möglich die Kompromissbereitschaft von CDU/ CSU ausloten, denn die Zeit drängt. Doch da es bei den Reformen im Gesundheitswesen um unpopuläre Maßnahmen gehen wird, dürfte sich die Union so lange wie möglich zieren, Zusagen zu machen.
Wie weit die Vorstellungen von Regierung und Opposition auseinander liegen, zeigt ein Thesenpapier, das die CDU-Gesundheitsexperten Andreas Storm und Annette Widmann-Mauz bei der Führungsklausur der CDU-Bundestagsfraktion vergangenen Sonntag in Berlin vorlegten. Beide Politiker schlagen unter anderem eine Eigenbeteiligung der Patienten von 150 bis 300 Euro sowie die Streichung der Zahnbehandlung aus dem Kassenkatalog vor.
Während derlei Maximalforderungen aller Voraussicht nach auf den erbitterten Widerstand insbesondere der SPD-Linken stoßen werden, scheinen die Grünen kompromissbereit zu sein. „CDU und Grüne eint das Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Birgitt Bender, der Berliner Tageszeitung. Sie unterstrich die Bereitschaft ihrer Partei, über eine stärkere Beteiligung der Patienten an den Behandlungskosten zu verhandeln.
So viel Offenheit dürfte zumindest Kommissionschef Bert Rürup erfreuen. Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren sei von zentraler Bedeutung, erklärte der Ökonom mit einem höflichen Seitenblick auf Ministerin Schmidt. Es ersetze aber nicht die Suche nach einer nachhaltigen Finanzierungsgrundlage für die GKV. Auf eben diese muss man sich nun mit Hochdruck machen. Rürup kritisierte zwar, es vertrage sich nicht mit der Unabhängigkeit einer Kommission, von Parteigremien Termine gesetzt zu bekommen. Gleichwohl stellte er lakonisch fest: „4,6 Millionen Arbeitslose sind ein nicht zu schlagendes Argument hinsichtlich der Dringlichkeit von Reformen.“ Schmidts Eckpunkte lobte der Professor als „mutig und innovativ“. Die generelle Zustimmung in der Arbeitsgruppe Gesundheit bedeute jedoch nicht, „dass man mit jedem Punkt einverstanden sein muss“. Und am wichtigen Abschlussbericht im Herbst halte man fest.
Bis dahin lassen sich die Kommissionsmitglieder sicher keinen Maulkorb umhängen und kein Denkverbot erteilen. Auch Rürup ist bei aller Höflichkeit in der Form hart in der Sache. Bonus- und Malussysteme müsse man vorurteilsfrei prüfen, betonte er beispielsweise – auch wenn Schmidt hier anderer Meinung ist. Und die Diskussion über GKV-Beiträge in Form von Kopfpauschalen will sich die Kommission trotz des Kanzlereinspruchs nicht verbieten lassen.
Enttäuscht zeigte sich die Ärzteschaft über die mit Spannung erwarteten Eckpunkte. Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe verwies in einer ersten Reaktion auf den außerordentlichen Deutschen Ärztetag am 18. Februar in Berlin, auf dem die Eckpunkte „ausführlich diskutiert und mit Vorschlägen aus der Praxis kontrastiert werden“ sollen. Mangelnde Praxistauglichkeit attestierte er insbesondere dem von Ministerin Schmidt geplanten „Zentrum
für Qualität in der Medizin“. Die Debatte um eine übergeordnete Prüfinstanz werde darüber entscheiden, ob Deutschland an der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen festhalte oder „sich dem englischen Weg der Staatsmedizin nähere“, sagte Hoppe.
Die Eckpunkte seien „wenig konkret und lassen keine Systematik erkennen“, bemängelte Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er begrüßte jedoch, dass Schmidt von ihrem ursprünglichen Vorhaben Abstand genommen habe, die Krankenhäuser generell für die ambulante Versorgung zu öffnen. Richter-Reichhelm betonte zudem, man unterstütze den freiwilligen Hausarzttarif, aber kein verpflichtendes Primärarztmodell. Samir Rabbata, Sabine Rieser