ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2003Intensitätsmodulierte Strahlentherapie: Wenn im Tumor „Dosisgebirge“ entstehen

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Intensitätsmodulierte Strahlentherapie: Wenn im Tumor „Dosisgebirge“ entstehen

Bördlein, Ingeborg

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LNSLNS Bei der Präzisionsstrahlentherapie kann man die Dosis im Karzinom erhöhen, ohne benachbarte Organe in Mitleidenschaft zu ziehen.

Mit dem Deutschen Krebspreis wurden die Forschungsarbeiten zur Optimierung der Präzisionsstrahlentherapie gewürdigt. Das Konzept der Intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT), das innerhalb der letzten 15 Jahre von Prof. Dr. Wolfgang Schlegel, Leiter der Abteilung Medizinische Physik am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg entwickelt wurde, wird seit sechs Jahren erfolgreich bei Krebspatienten umgesetzt.
Idealerweise wird einem Tumor eine so hohe Strahlendosis verabreicht, dass alle Krebszellen zerstört werden. Dies ist jedoch schwer zu erreichen, wenn bösartige Tumoren strahlenempfindliche Organe – wie den Sehnerv oder das Rückenmark – hufeisenförmig umwachsen, sodass die empfindlichen Gewebe bei der Strahlentherapie direkt in der „Schusslinie“ liegen. Die Folge ist, dass die Tumoren in der Nähe von Risikoorganen unterdosiert bestrahlt werden müssen und die Heilungschance der Patienten geschmälert wird.
Hier setzten die Entwicklungen des Teams um Schlegel an. Sie erreichten, dass der Tumor nicht, wie sonst üblich, mit gleichmäßig ausgeleuchteten Strahlenfeldern bestrahlt wird, sondern die Intensität der Strahlendosis auf dem Strahlenfeld Punkt für Punkt variiert. Deshalb spricht man von der intensitätsmodulierten Strahlentherapie. Die intensitätsmodulierten Strahlenfelder werden dem Patienten aus mehreren Richtungen verabreicht, sodass sich die Intensitäten im Tumor zu einer gleichmäßigen Dosis überlagern. Das umliegende Gewebe indes bleibt dank der punktgenauen Bestrahlung verschont. Voraussetzung ist, dass im Vorfeld in einem aufwendigen Computerrechenprogramm die Strahlenfelder unter Aussparung des gesunden Gewebes vorausberechnet werden. „Dies ist ein mathematisches Problem mit vielen Tausend Unbekannten“, erklärt Schlegel.
Zusammen mit Informatikern haben die Physiker am DKFZ deshalb ein Berechnungsverfahren mit dem Akronym KONRAD für „konformale Radiotherapie“ entwickelt. Der Arzt gibt Parameter, wie den Tumorumriss, die Risikoorgane, die therapeutische Dosis und die Toleranzwerte der umliegenden Risikoorgane, ein. Das Computerprogramm KONRAD errechnet dann automatisch die bestmögliche Dosisverteilung im Tumor.
Multi-Leaf-Kollimatoren
Um die Risikoorgane vor den Röntgenstrahlen zu schützen, haben die Wissenschaftler ein Blendensystem entwickelt. Mittels zahlreicher beweglicher Wolframscheiben, die in einem so genannten Multi-Leaf-Kollimatoren computergesteuert bewegt und in bestimmten Mustern um den Tumor angelegt werden, ist es möglich, verschiedene Einzelfelder mit konstanter Intensität einzustellen. Die Einzelfelder werden ganz oder teilweise überlagert, und es entstehen aus fünf bis sieben Einstrahlrichtungen regelrechte „Dosisgebirge“ im Tumor, die sich dort insgesamt zu einer gleichmäßigen, der Geschwulst genau angepassten Strahlendosisverteilung addieren. Das umliegende Gewebe indes ist dabei „ausgeblendet“.
Das Verfahren hat sich bereits in der Klinik bewährt. Sein Einsatzgebiet sind ungünstig liegende, kompliziert geformte Tumoren. Mehr als 400 Patienten mit schwierigen Tumorlokalisationen in unmittelbarer Nähe von Rückenmark und im Kopf-Hals-Bereich sowie bei Prostata-, Lungen- und Brustkrebs konnten so mit adäquater Dosis bestrahlt werden.
Die größten klinischen Erfahrungen mit diesem System liegen aus den USA vor. Mehr als 1 000 Patienten mit einem Prostatakarzinom wurden am Sloan Kettering Cancer Center in New York damit behandelt. Im Vergleich mit der herkömmlichen Radiotherapie konnte die Heilungsrate hier von 47 auf 80 Prozent gesteigert werden und das Risiko einer Darmblutung von zehn auf zwei Prozent gesenkt werden. Inzwischen wird die Methode in den USA an mehr als 200 Zentren angewendet. Zum Bedauern des Heidelberger Forschers kommt dieses hocheffiziente Radiotherapieverfahren in Deutschland bislang nur wenig zum Einsatz. Nach seinen Schätzungen könnten etwa 40 000 Krebspatienten mit ungünstig gelegenen malignen Tumoren von der IMRT profitieren. Bislang reichen die Behandlungskapazitäten jedoch nur für 400 Patienten jährlich aus.
Allerdings wird den Krankenhäusern die aufwendige IMRT mit nur
rund 1 500 Euro vergütet, demselben Satz wie für eine herkömmliche Präzisionsstrahlenbehandlung. „Daher findet die neue Behandlungsform, die mit doppelt so hohen Kosten zu Buche schlägt, in Deutschland nur zögerlich den Weg in die Klinik, zum Nachteil der Patienten, deren Heilungschancen durch die IMRT erhöht wären“, sagte Schlegel.
Deutsche Kliniken, in denen die IMRT etabliert oder im Aufbau ist: Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg; Humboldt-Universität Berlin; Klinikum Charité, Berlin; Klinik für Strahlentherapie der Universitätsklinik Dresden; Ruppiner Kliniken, Neuruppin; Südharz Klinik Nordhausen; TU-München, Klinik rechts der Isar; Universitätsklinik Eppendorf, Hamburg; Universitätsklinik Tübingen; Universitätsklinikum Heidelberg; Universitätsklinikum Mannheim. Ingeborg Bördlein

Der Deutsche Krebspreis wurde im Rahmen des AEK-(Abteilung Experimentelle Krebsforschung)-Kongresses der Deutschen Krebsgesellschaft am 26. März 2003 in Würzburg verliehen.

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