THEMEN DER ZEIT
Homöopathie: „Keine Erfahrungsheilkunde, sondern Naturwissenschaft”


wissenschaftlich erklären und reformieren.
Kügelchen in Glasröhrchen – für die einen sind sie Wundermittel, für die anderen nur fauler Zauber. Nach Ansicht von Prof. Dr. med. Walter Köster steht jedoch die Wende im Ansehen der Homöopathie unmittelbar bevor. Der ehemalige niedergelassene Schulmediziner und jetzige Professor für Homöopathie an der Universität Sevilla, Spanien, ist davon überzeugt, dass die Homöopathie bald nicht mehr abseits stehen und mit dem Stempel der Unwissenschaftlichkeit versehen sein wird.
Köster sieht die Homöopathie nicht als Erfahrungsheilkunde, sondern als physikalisches Verfahren, als „quantenlogisch erklärbare Naturwissenschaft“. Sie sollte künftig auch an den Universitäten etabliert werden, sagte er auf dem 4. Internationalen Homöopathie-Kongress vom 28. bis 30. März in Leipzig. Etwa 650 Ärzte und Heilpraktiker tauschten dort ihre Erfahrungen bei der Behandlung von Krebserkrankungen, chronischen Erkrankungen von Kindern und von Hautleiden aus – nicht in Form von Studien, sondern von Fallbeispielen und Beobachtungen. Dass die Homöopathie eben doch (noch) eine Erfahrungsheilkunde ist, suggerierte auch der Untertitel des Homöopathie-Kongresses: Learn from Errors – Aus Fehlern lernen.
Tatsächlich sei die homöopathische Behandlung bislang vom Probieren geprägt, erklärte Köster, der den Kongress wissenschaftlich leitete. „Doch jetzt stehen wir vor der Revolution der Homöopathie. Durch die funktionalen und quantenlogischen Grundsätze ist die Homöopathie ein in sich logisch strukturiertes, wissenschaftliches System“, erläutert er. „Die anwendenden Ärzte wissen, warum sie etwas tun, und vollziehen nicht mehr nur Erfahrungsregeln nach.“ Dadurch werde eine deutlich höhere Treffsicherheit und damit Erfolgssicherheit für den Patienten erreicht.
Heute würden bei den homöopathischen Behandlungen viele Fehler gemacht, gesteht Köster zu. Dies mache die Homöopathie so anfechtbar. Den Grund für die Irrtümer sieht der ehemalige Schulmediziner jedoch keineswegs bei der Homöopathie selbst, sondern nur in ihrem unwissenschaftlichen Einsatz. „Die Homöopathen haben bisher kein Modell, sondern nur die Thesen Samuel Hahnemanns, die während der letzten 200 Jahre nicht weiterentwickelt wurden.“
Häufig wird Pseudo- homöopathie praktiziert
Die Erklärung der Verfechter der „reinen Lehre“, dass die Homöopathie phänomenologisch sei und deshalb ihre Ergebnisse nicht durch Studien verifizierbar seien, befriedigt längst nicht alle Ärzte und Patienten. Auch Köster nicht. „Ich wusste“, berichtet er, „dass homöopathische Mittel nicht chemisch wirken, da sich in ihnen statistisch kein chemischer Wirkstoff nachweisen lässt. Dennoch nahm ich ihre Wirkung im physischen, physikalischen Bereich wahr. Also musste die Wirkung physikalisch erklärbar sein.“ Köster nutzte die Quantenphysik als Modell, um die Prozesse in Körper und Psyche zu verstehen, die sich als Krankheitssymptome äußern. „Hinter Psyche und Körper steht das Funktionale“, erklärt der klassische Homöopath. „Die Funktion ist mathematisch da und wirkt in Form von Symptomen, die virtuell miteinander verbunden sind. Es gilt, sämtliche Symptome zu bündeln, die Funktion dahinter zu erkennen und so das (eine!) geeignete Arzneimittel zu finden.“
Für gefährlich hält der Homöopath den unkontrollierten Einsatz der Homöopathie. „Viele Ärzte wenden die Homöopathie nebenbei an – in fünf Minuten, obwohl sie eine Stunde braucht“, klagt Köster. Auf diese Weise verkomme die Homöopathie zur Pseudohomöopathie. Sie zeige dann nur ihren Placebocharakter. „Es ist an der Zeit zu erkennen, dass es unwissenschaftlich ist, auf die positive Wirkung einer Methode zu spekulieren und gleichzeitig die Möglichkeit einer negativen Wirkung der gleichen Methode kategorisch zu ignorieren“, betont Köster. „Es muss daher auch als unärztlich erkannt werden, mit einer solch unwissenschaftlichen Einstellung zu behandeln.“ Durch die inexakte Gabe homöopathischer Mittel könne großer Schaden entstehen.
Unter hohem Zeitdruck dürften in der kassenärztlichen Praxis keine homöopathischen Mittel vergeben werden. Darin waren sich die Teilnehmer des diesjährigen Homöopathie-Kongresses einig. „Bei den gegenwärtig gezahlten Honoraren ist eine so qualifizierte und zeitintensive Medizin wie die Homöopathie nicht möglich“, erklärte Dr. med. Martina Scheufler, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Hanau. Illusionen, dass sich der Widerspruch Zeitdruck und aufwendige homöopathische Behandlung lösen könnte, haben die Homöopathen nicht. Angesichts des drohenden Kollapses des Gesundheitswesens sei es völlig unrealistisch zu erwarten, dass Politik und Krankenkassen eine extrabudgetäre Summe für die Homöopathie zur Verfügung stellten. Dies wäre jedoch notwendig, um „wahre“ Homöopathie zu betreiben.
Wissenschaftliche Studien sollen künftig möglich sein
Ein weiteres Dilemma: Die Nachfrage der Patienten nach den kleinen „Wunder-Kügelchen“, mit denen teilweise so verblüffende Behandlungserfolge erzielt werden können, wächst. „Nicht jedoch das Wissen der Ärzte“, bedauert Köster. Die derzeitigen Ausbildungen zum Homöopathen, die zwar von den Ärztekammern anerkannt würden, reichten nicht aus, um eine exakte Homöopathie zu betreiben. Köster verweist dabei auf die in Sevilla universitär gelehrte, quantenlogisch verstandene Homöopathie. Seit Januar 2002 existiert auch ein Zweig in Deutschland. In Frankfurt am Main werden derzeit 35 Ärzte, Zahnärzte und Pharmazeuten erstmals an einer staatlichen Universität in Homöopathie ausgebildet und erhalten nach bestandenem Examen den Titel „Master univ. in Homöopathie“. „Damit ist eine historische Wende für die Homöopathie eingetreten, die sie wissenschaftlich diskussionsfähig macht“, erklärt Köster.
Doch dies wird sie vermutlich erst dann sein, wenn sich ihre Wirksamkeit empirisch belegen lässt. Homöopathische Mittel mit schulmedizinischen Medikamenten durch randomisierte Doppelblindstudien direkt zu vergleichen, hält Köster nicht für möglich – noch nicht. Erst müsse sich das wissenschaftliche Denken in der Homöopathie durchsetzen. Gleichzeitig müsse ganzheitlich behandelt werden, wie es auch Hahnemann immer forderte. Symptome dürften nicht isoliert therapiert werden. „Studien über homöopathische Arzneien mit Einzelpunktwirkung entarten wissenschaftlich zu einer Farce“, meint Köster. Sie könnten nur auf den Gesamtpatienten bezogen sein. Dies erschwert einen Vergleich mit der Schulmedizin zusätzlich. Eine oft geforderte „evidenzbasierte Homöopathie“ dürfte somit zunächst in weite Ferne rücken – sofern sie überhaupt möglich ist. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Zurowski, Bartosz
Mylenbusch, Helmut
Klimm, Rolf
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