POLITIK: Leitartikel
Deutscher Apothekertag 1996: Im Schulterschluß mit den Ärzten Probleme lösen


Für eine Dynamisierung des Arzneimittelbudgets hat sich der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände (ABDA), Klaus Stürzbecher, anläßlich des Deutschen Apothekertages in Leipzig
ausgesprochen. Die Verlagerung von Therapien aus dem stationären in den ambulanten Sektor, die gestiegene
Bevölkerungszahl, die Einführung innovativer Arzneimittel sowie Veränderungen der Morbidität machten eine
Anpassung unbedingt erforderlich.
Angesichts der Tatsache, daß das von 1991 an "gedeckelte" Arzneimittelbudget in diesem Jahr erstmals um
vermutlich bis zu drei Milliarden Mark überschritten wird, "können und dürfen wir Apotheker die Ärzte mit
ihrem Budgetproblem nicht allein lassen", so Stürzbecher. Der Schulterschluß zwischen beiden Heilberufen sei
die aussichtsreichste Zukunftsoption, die Strukturkrise im Gesundheitssystem zu überwinden.
Die Gemeinsamkeiten beider Berufsgruppen sollen unter anderem durch Arzt-Apotheker-Gesprächskreise
gefördert werden, von denen bereits hundert – in regional unterschiedlichem Ausmaß – fest installiert sind.
Während im Kammerbereich Westfalen-Lippe bereits 50 Gesprächskreise existieren, ist das Interesse in BadenWürttemberg und Mecklenburg-Vorpommern ausgesprochen gering. Die ABDA strebt eine Ausweitung dieser
Kommunikationszirkel auf 1 000 an. Qualifizierte Beratung bei Präparatewechseln soll den Ärzten auch mittels
einer Datenbank vermittelt werden, die derzeit am Zentrallaboratorium der Deutschen Apotheker in Eschborn
aufgebaut wird (siehe DÄ 43). Hier können die unterschiedlichen Bioverfügbarkeitsprofile der Arzneimittel im
Hinblick auf ihre klinische Wirksamkeit abgerufen werden.
Kritik an den Krankenkassen
Stürzbecher betonte, daß mit diesen Maßnahmen nicht an der Therapiehoheit des Arztes gerüttelt werden soll:
"Diese war, ist und bleibt beim Arzt." Die Beratungsleistung der Apotheker für den Arzt dürfe sich aber auch
nicht allein auf den Preis beschränken. In diesem Zusammenhang forderte die ABDA eine wesentliche
Änderung der Preisspannenverordnung für Arzneimittel. Ihr konkreter Lösungsansatz: das System der
Festbetragsgruppenspezifischen Festzuschläge (FF), das auf dem durchschnittlichen Einkaufspreis einer
Festbetragsgruppe basiert.
Damit wird die Handelsspanne bei Festbetragsarzneimitteln zu einem festen DM-Bestandteil, unabhängig vom
konkreten Produktpreis. "Das FF-System macht uns überall dort, wo Arzneimittelfestbeträge gelten,
unabhängig vom einzelnen Herstellerabgabepreis", war in Leipzig zu hören. Die Krankenkassen unterstützen
diese Vorstellungen laut Stürzbecher zwar nicht, halten sie aber für rechnerisch korrekt. Im Gegensatz zu den
verbindenden Worten an die Ärzteschaft wurde herbe Kritik an Krankenkassen und Politik geäußert. Ein Stein
des Anstoßes ist der zentrale Baustein des 1. GKV-Neuordnungsgesetzes (NOG), wonach eine
Beitragssatzerhöhung einer Krankenkasse per Gesetz mit einer kassenspezifischen Zuzahlungserhöhung
gekoppelt wird. Dazu Stürzbecher: "Ich appeliere an die Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung, daß
sie ihre Versicherten frühzeitig über ihre Zuzahlungserhöhungen informiert. Wir werden uns nicht nochmals
wie 1993 dem geballten Zorn der Versicherten aussetzen, nur weil die Krankenkassen versagt haben."
Der gerade vorgelegte Referentenentwurf zum 2. GKV-Neuordnungsgesetz, der den Krankenkassen das
generelle Recht auf Zuzahlungserhöhungen, gestaffelt nach Indikationsgebieten und Stoffgruppen, einräumt, ist
bei der ABDA-Spitze auf breite Ablehnung gestoßen. "Wer soll den Überblick behalten, wenn sich bei circa
600 Arzneimittelstoffgruppen und bei circa 600 Krankenkassen theoretisch 360 000 Zuzahlungsmöglichkeiten
ergeben?" erklärte Stürzbecher in Leipzig. Dies bedeute kassenspezifische Zuzahlungslisten.
Der ABDA-Präsident erinnerte die Politiker daran, daß der Arzt bei einer indikationsgebundenen Zuzahlung
die Diagnose des Patienten auf dem Rezept eintragen muß, da viele Präparate aus unterschiedlichen
Indikationen verordnet werden. Dies bedeute ein Durchbrechen der Schweigepflicht, damit der Apotheker die
richtige Zuzahlung ermitteln kann.
Kritische Worte richtete Stürzbecher auch an die SPD: Die in ihrem Sofortprogramm "Solidarische
Umverteilung" geforderte Erhöhung des Zwangsabschlages der Apotheken an die Krankenkassen sei "alles
andere als solidarisch". "Weiß denn die SPD nicht, daß schon ein halber Prozentpunkt Kassenabschlag für die
Apotheken einen fünfprozentigen Rückgang ihres zu versteuernden Einkommens bedeutet?", so Stürzbecher in
Leipzig.
Sorge im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit bereitet den Apothekern die Einfuhr von Medikamenten
durch den Versandhandel via Internet. Nach Einschätzung der ABDA werden auf diese Weise Medika- mente
nicht mit der Absicht eines Preisvorteils angeboten, sondern um die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln
mit einer äußerst schmalen therapeutischen Breite zu unterlaufen. Auch die Deutsche Post AG, vertreten durch
die Abteilung PostMed, sieht eine günstige Erwerbsquelle im Ver-sand von Arzneimitteln. Der ABDA liegen
Informationen vor, wonach die PostMed die Versandlogistik für 18 Prozent des Warenwertes anbieten will –
sofern es sich um Arzneimittel der oberen Preisklasse handelt.
Zum "behutsamen Umgang" mit der neuerworbenen, vom Bundesverfassungsricht stattgegebenen
Werbefreiheit im Randsortiment forderte Stürzbecher seine Kollegen auf, damit sich die Apotheke auch
äußerlich vom Erscheinungsbild eines "drugstore" unterscheide. Mit Unbehagen registrierte die ABDA-Spitze,
daß das Bundesverfassungsgericht die Apotheker auch zu Kaufleuten erklärt hatte. "Wir sind keine halben
Kaufleute, sondern vor allem anderen Heilberufler", erklärte Stürzbecher in Leipzig. Dr. Vera ZylkaMenhorn
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